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André Schinkel: Tagwerk

Montags=Text
André Schinkel

Tagwerk


»Ein gewisses Maß an Dunkelheit ist nötig, um die Sterne zu sehen …« – es muß einer der Sprüche gewesen sein, mit dem mich die Radiomoderatorin in den Morgen schickte; da war ich gerade durch Berge von dampfenden Kaffeebohnen gewatet, saß mit verquollenen Klüsen am Tisch und fragte mich, was werden sollte bis zum Abend. Elend blökte die Sonne vorm Fenster, aber es war keine Aussicht, halb sieben schon auf die Nacht zu spekulieren. Wie war ich hierhergekommen? Ich bin ein Wesen, das die Dunkelheit braucht, um das Glühwürmchen in mir zum Leuchten zu bringen – nun hing dieser dusselige Sommer vor der Scheibe und blakte und blökte, daß es einem die Haare dünner machte. Ich hatte mich inwendig mit Koffein ausgestopft, es nützte nichts, ich konnte nur sitzen und warten, daß es vorbeiging. Da würgte mir die Alte aus dem Äther diesen Spruch rein. Es war zum Pickel-an-der-Schreibhand-Kriegen. So mancher wußte nicht, wie er zu Schlaf und Ruhe kam, mich machte die Aussicht mürbe, den Tag im Licht zuzubringen – ich hatte es in einem dunklen Monat versäumt, mich mit Rollos und Jalousien einzudecken, die Fenster meiner Bude erst nach Osten, über den Tag nach Süden und am frühen Abend nach Westen gerichtet, ich mußte tatenlos die ganze Zeit in der Grelle brutzeln, die der Stern vor dem unsäglichen Flirren der Scheibe produzierte. In meine Decke gehüllt, saß ich, inwendig mit Kaffee tapeziert, die Seele wie verbrüht, und hörte mir das Geseier der Radiokuh an. Ich bin Poet, müssen Sie wissen, ich brülle um Ruhe, obwohl mir nichts einfällt, ich leide an der Leere, wenn keiner da ist und mich stört. Ich ersehne und hasse die Stimme der Moderatorin, schalte ich das Radio aber ab, fühle ich mich schlicht toter als tot. Also muß ich es ertragen, froh und wütend zugleich. Im brüllenden Licht verdüstern sich meine Gedanken, die Sekunden zähle ich, und ist es erst Mittag, versuche ich schneller zu zählen. Den Nachmittag verleide ich mit geröteten Augen, den austrockenden Stift im Anschlag, Nachrichten und noch mehr blöde Sprüche an den Kopf geklebt, so wie mein schwindendes Haar. Der Kaffee verdorrt, bildet eine schwärzliche Kruste auf meiner Seele. Und wenn schließlich das Licht sich dreht in die Blaue Stunde, wenn ich denke, es ist schon nicht mehr auszuhalten, senkt sich endlich, nun, unendlich der Schein aus meinem westlichen Fenster, und etwas Belebung tritt ein, ja, es erscheint mir sogar, als würde die Musik in den Äthern besser und weniger schrill. Das ist der erste Moment des Tages, an dem ich Hoffnung fasse. Ich lege den Stift weg und sehe mit entzündeten Augen ins abnehmende Licht, beobachte die Dämmerung, und wenn ganz weit hinten in der aufkommenden Dunkelheit das erste Gestirn aufblitzt, wage ich das erste Mal seit dem Morgen wieder zu atmen. Die Tante in den Äthern legt Arvo Pärt auf, und das Tagwerk ist beendet. Das ist nämlich die Aufgabe von Poeten, sich aufregend ein Nichts zu produzieren, das ihre ganze Kraft braucht. Es ist der anstrengendste und ertragärmste Beruf der Welt. Ich lege den Stift weg und betrachte die nun eins ums andere aufblitzende Himmelsmechanik, im Radio tönt das »Stabat mater« und freut mein gestorbenes Ohr. Und das Leuchten der Sterne beruhigt mein gebrochenes Aug’, bis der nächste Morgen heraufkommt. Es braucht so wenig, um glücklich zu sein, sagt die Stimme im Radio, und ich weiß, sie meint mich.


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