Ana Luisa Amaral: Was ist ein Name
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Elke
Engelhardt
Ana
Luisa Amaral: Was ist ein Name. Gedichte. Übersetzt von Michael Kegler und
Piero Salabè. München (Carl Hanser Verlag – Edition Lyrik Kabinett) 2021. 112
Seiten. 20,00 Euro. (Bei Amazon Euro 14,98)
Archäologie
des Alltags
Einen
Gedichtband, dem bei lediglich vier Gedichten das Original der Übersetzung
gegenüber-gestellt wird, als zweisprachig zu bezeichnen, empfinde ich als
zumindest fragwürdig. Das nur vorab. Und es ist eigentlich die einzige
vielleicht als kritisch zu bezeichnende Anmerkung zu der schönen Sammlung von
Ana Luisa Amarals Gedichten, die als Band 47 der Edition Lyrik Kabinett im
letzten Jahr im Hanser Verlag erschienen ist.
Das
titelgebende Gedicht „What´s in a name“¹ dekliniert im Grunde alles durch, worum es in den aus drei Jahrzehnten (1990 –
2020) stammenden Gedichten der in ihrem Heimatland Portugal zu den wichtigsten
literarischen Stimmen zählenden Dichterin Ana Luisa Amaral gehen wird.
Abstammung, die Konflikte, die damit einhergehen, die Liebe, der Mythos, Duft
und Freiheit. Nicht die schlechtesten Themen für einen Lyrikband.
Die
spezifische Art und Weise der Untersuchung ihrer Gegenstände führt Amaral
exemplarisch am folgenden Gedicht mit dem klingend warmen Titel „Coisas“ vor.
Den die Übersetzer Michael Kegler und Piero Salabé aus Mangel an weich und warm
klingenden Worten im deutschen Sprachschatz nur mit „Dinge“ übersetzen konnten.
Hart und nüchtern. So wie der Auftakt des Gedichtes, in dem zunächst eine
sachliche, wissenschaftlich untermauerte Benennung stattfindet, bevor die Verse
sich von der Pupille über das Gesicht zum Herzen fortschreiben. Um von diesem
Punkt aus in poetisch produktives Zweifeln zu verfallen, und schließlich bei
nichts geringerem als Erkenntnis zu landen:
„Oder an die Farbe dieser Augen,die ich nach und nach als die meinen erkenneund nicht konjugieren kann. Nur deklinieren,wenn ich mich in sie vertiefeDeswegen und trotzdem benenne ich Dinge:weil ich eine bessere Form dafürnicht weiß:“
Eine
Weile bleiben auch die folgenden Gedichte in dieser Sammlung noch bei den
Augen. Bevor im letzten zweisprachig abgedruckten Gedicht Amarals gesamte
Charakteristik auf-scheint, die in „Coisas“ bereits angedeutete Bewegung von
kleinen, sehr greifbaren Dingen, hin zum Unfassbaren, bis hin-ein ins Universum Reichenden.
Dieses Gedicht: „Töten ist einfach“, beginnt mit der Ermordung einer Mücke und
endet mit einem „Komentenschweif“.
So
viel zum inhaltlichen Vorgehen von Amaral. Stilistisch sind die Gedichte fast
ausschließlich zunächst beschreibend. Amaral betrachtet einen Sinneseindruck,
einen Gedanken, ein Phäno-men, ob es nun um eine Kastanie geht, oder um ein auf
der Parkbank liegengelassenes Buch, und begibt sich dann in ihre typische
Bewegung vom Alltäglichen zum Metaphysischen. Als Beispiel kann vielleicht die
erste Strophe von „Lächeln“ dienen:
„Das Lächelnfestgehalten im Bild:jener sich neigende Punktan dem tausende Muskeln langsamwie ein Stern alles kreisen lassen:den Mund, das Gesicht, den Blick-winkel
sowie
dessen letzte Strophe:
Schwebendes Einfrierenjenes Punkts der einstStern war,des Blickwinkels, der einsthöheres Lied warein beseelter Gletscheraus Licht“
Die
Bewegung vom Anfang, die zum Ende führt, wie im Leben, über Zwischenräume und
Zweifel, Zuversicht und Raserei.
Nahezu
alles kann für Amaral Anlass für ein Gedicht werden; eine tot geschlagene
Mücke, eine blaue Jacke in einem Laden, Staub, Papier, Flüge, der Astragalus
oder Tauben. Egal woraus der Anlass besteht, immer gelingt ihr die Bewegung vom
Alltäglichen zum Metaphysischen.
Dabei
ist ihr Stil lakonisch, und das ist bemerkenswert angesichts dieser Bewegung,
die nicht selten auf das Universum zielt. Das sagt sicher mehr aus über diese
Dichterin als eine Ent-wicklung ihrer Dichtung, die man einer Chronologie² der ausgewählten Gedichte entnehmen
könnte.
Einige
von Amarals Gedichten sind sehr konkret, man könnte beinahe sagen politisch.
Z.B. diejenigen, die von den – manchmal widersprüchlichen – Seiten des Mutter-
und Frauseins erzählen, und dabei nicht zuletzt von der an Unmöglichkeit
grenzenden Schwierigkeit erzählen, die zwei Seiten Dichterin und Mutter in ein
funktionierendes Gleichgewicht zu bringen.
Feierlichkeiten
zu Deutschlands Wiedervereinigung veranlassen Amaral dazu, über das scheinbar
unüberwindbare Denken in Gegensätzen nachzusinnen. So bringt sie das Politische
ins Zwischenmenschliche. Ihre Alltagsgedichte sind ebenso politisch wie die
explizit politische Themen aufgreifenden Gedichte, die immer auch die Ebenen
des Alltags durchdringen. Amarals Dichtung macht keinen großen Unterschied
zwischen politisch und privat, weil alles aufgeht im Menschlichen. Und wir
Menschen, das wissen wir von Maggie Nelson, sind aus Sternstaub gemacht³.
¹ Das Zitat hat wiederum
seinen Ursprung bei Shakespeares Romeo and Juliet: „What´s in a name? That which
we call a rose/ by any other name would smell as sweet.“
² In „Was ist ein Name“
fehlen Angaben über den Entstehungszeitraum der Gedichte.
³ „Empirisch
gesehen, sind wir aus Sternenstaub gemacht. Warum sprechen wir nicht öfter
darüber?“, Maggie Nelson, „Die Argonauten“.