Amadé Esperer: Die Bewohnbarkeit des Mondlichts
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Timo Brandt
gesehenes gesuchtes
gedachtes geschriebens
„der rhythmus von tausend dingendicht~in~einander~verwobendurchdringt mit tausend stimmenselbst noch den stumpfsinnigsten tag“
Es gibt Gedichte, deren Typographie zum Gesamtkunstwerk
dazugehört, manchmal wird der Text durch sie erst zu einem Gedicht, einem
poetischen Verfahren. Bei anderen Gedichten wundere ich mich, warum sie einen
größeren/besonderen typographischen Aufwand betreiben, denn er erscheint mir
weder notwendig noch zweckdienlich und könnte im schlimmsten Fall als Form der
Eitelkeit oder der Überstilisierung, des Manierismus, angesehen werden.
Die Gedichte in „Die Bewohnbarkeit des Mondlichts“ liegen
meist irgendwo dazwischen. Ich kann einige typographischen und formalen Aspekte
nachvollziehen, andere erscheinen ein wenig schrullig, ein wenig eigenwillig
unnütz. Manchmal geben sie den Gedichten eine besondere Eleganz, an anderen
Stellen würde ich dazu neigen, zu sagen: sie strapazieren sie.
„als lyrikerschreibe ichdass das künftige leichter wiegtals das vergeblicheweil die träume schneller sindals die erfahrungen“
Abseits des Formalen erwartet die Lesenden in Amadé Esperers
Band eine solide und angenehme Mischung aus mehr oder weniger handelsüblichen
Themen. Es geht um das Ich als Wahrneh-mungskonstante, um die Anverwandlung der
Phänomene, es gibt kritische Intermezzi, Meta-physisches und Profanes, die
Gedichte verhandeln das Schreiben, Zeitgeist und, na klar, die Liebe.
Alle Gedichte vereint, mehr oder weniger, Esperers Art, den
jeweiligen Gegenstand in eine langsam eintretende, sich Stück für Stück
offenbarende Feststellung zu verpacken. Als würde er das jeweilige Objekt wie
eine Sehenswürdigkeit oder eine Landschaft besichtigen, studieren, schreibt er
sich in den Gegenstand hinein, und gleichsam ist es, als treibe er einen Nagel
in die Wand, an dem er den Gegenstand aufhängt.
„die sprache // hält / fest /was weiter willwas nicht verweilen willwas weiter wollend schon wegwäre“
Die Gedichte über das Schreiben sind, wie man ersehen kann,
weniger programmatisch orientiert, vielmehr versuchen sie das Symptomatische an
der Sprache zu (be)greifen. Die Gedichte zum Zeitgeist sind mal verhalten, dann
fast schon wieder im Übermaß konstatierend.
„die welt istvoll / die fakten fließen / auseinander ist nicht mehr zu traun“
Wirklich berührt und umgetrieben haben mich die eher
verhaltenen, ambivalenteren Gedichte, in denen Esperer seine eigenen Gedanken
und große wie kleine historische Bögen kreuzt, einander annähert wie zwei
Parallelen in der Unendlichkeit. Es gibt ein Gedicht, das „Vor dem Denkmal“
heißt und eigentlich auch sehr konstatierend, aufzählend daherkommt. Aber es
gelingt Esperer hier, die Furcht des Individuums mit der Furcht, die generell
im Historischen wurzelt, zu verbinden.
„ist am schönen ende das schreckliche?ist der engel der geschichte schrecklich?ist der baum am abhang ein treffpunkt?ist die straße von gestern noch gangbar?ist der wind nicht / noch immer voll rauch!“
Auch berührt und teilweise überrascht haben mich die
Liebesgedichte. Sprachlich ist der ganze Band akkurat, immer wieder gibt es
Treffliches, aber in den Liebesgedichten blüht Esperers Sprache richtiggehend
auf und bekommt, ohne komplex zu werden, etwas Innovatives, zumindest sehr
Eigenes. Ihm gelingen auch erotische Gedichte, die ja noch mal ein schwereres
Sujet sind.
„da lagen wir, zwei angeschälte orangen-hälften, klebrig noch und voller saft die finger-spitzen tief im fleisch des anderenvergraben, vergaßen kurz für einen wimpern~schlagdas messer, das uns fertig zu schälen bereit warund sahen es / im sonnenlicht blitzen“
„Die Bewohnbarkeit des Mondlichts“ ist mal wieder so ein
Lyrikband, der nichts Herausragendes, dafür aber sehr viel Lesenswertes,
Erfreuliches, Berührendes und einige kleinere Anstöße bietet. Großes Staunen
wird hier nicht stattfinden, dafür jede Menge Beglückendes, Kurzweiliges. Diese
Gedichte verpflichten sich nicht selten einer schlichten, aber großen
Tradition: sie versuchen ihren Gegenstand in der Sprache zu beheimaten.
„als meine mutter die neunzig erreichtewurde sie immer mehr wie die Sargassosee:lange flauten und plötzliche wendungzu sturm und orkan“
Amadé Esperer: Die Bewohnbarkeit des Mondlichts. Würzburg. (Verlag Königshausen & Neumann) 2018. 136 Seiten. 16,30 Euro.