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Aloysius Bertrand: Der Maurer

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Aloysius Bertrand
aus dem Ersten Buch "Flämische Schule"
übersetzt von Werner Wanitschek


DER MAURER

MEISTER STEINMETZ. – Seht diese Flanken, diese Strebepfeiler,
Die stehn, wie für die Ewigkeit gebaut!
                                                                                            SCHILLER, Wilhelm Tell

Der Maurer Abraham Knupfer singt, die Kelle in der Hand, auf luftigem Gerüste – so hoch, daß, wenn er die gotischen Verse der großen Glocke liest, er mit den Füßen gleichauf ist, sowohl mit der Kirche von dreißig Strebepfeilern, als auch mit der Stadt von dreißig Kirchen.

Er sieht die Steinungeheuer das Wasser der Schiefer in den wirren Abgrund der Galerien, der Fenster, der Bögen, der Glockentürme, der Türmchen, der Dächer und der Gebälke spein, den der sichelbogige und unbewegliche Flügel des Falkenmännchens mit einem grauen Punkt befleckt.

Er sieht die sternförmig sich abzeichnenden Festungswerke, die Zitadelle, die sich aufplustert wie eine Henne auf einem Fladen, die Höfe der Paläste, wo die Sonne die Brunnen austrocknet, und die Kreuzgänge der Klöster, wo der Schatten sich um die Pfeiler dreht.

Die kaiserlichen Truppen haben sich in der Vorstadt einquartiert. Da hinten trommelt ein Reiter. Abraham Knupfer erkennt seinen dreispitzigen Hut, seine Achselschnüre aus roter Wolle, seine von einer Rundschnur durchquerte Kokarde, und seinen mit einem Band geknoteten Zopf.

Was er noch sieht, sind Söldner, die in dem mit riesigem Laubwerk befiederten Park, auf weiten smaragdenen Rasenflächen, einen an der Spitze eines Maibaums festgemachten Holzvogel mit Büchsenschüssen durchsieben.

Und am Abend, als das harmonische Schiff der Kathedrale schlief, die Arme kreuzweis ausgestreckt, sah er, von der Leiter aus, am Horizont, ein von den Kriegsleuten angezündetes Dorf, das wie ein Komet aufleuchtete in dem Himmelsblau.


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