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Alexandru Bulucz: Aus sein auf uns

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Jan Kuhlbrodt


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zu Alexandru Bulucz: Aus sein auf uns. Gedichte


Wie aktuellen Meldungen zu entnehmen war, wird die Münchner Lyrikedition 2000 im Laufe des Jahres ihre Publikationstätigkeit einstellen. Das ist schade, machte sie doch so manche vergriffene Gedichtausgabe wieder zugänglich und veröffentlichte eine Reihe spannender Debüts. So auch dieses von Alexandru Bulucz, der 1987 in Rumänien geboren wurde und heute in Frankfurt am Main lebt.


Das Aufwachsen des Autors zwischen den Kulturen bescherte ihm Mehrsprachigkeit. Und wenn man einmal zweisprachig aufwuchs, ist es, wie es scheint, ein kleineres Problem, sich weitere Sprachen anzueignen. Die Vielsprachigkeit ermöglicht zudem das Eindringen fremder Kulturen in den eigenen Kopf und Text, erweitert den Blick über das übliche Englisch hinaus, was so einige Schreibweisen beeinflusst.


Als Motto dient dem Gedichtband dann auch eine Sentenz des rumänisch französischen Philosophen Emil Cioran:


Fragt man mich nach meinem Programm:
Atmen, ist das keines?


So ganz programmfrei sind Buluczs Gedichte natürlich nicht.

Die Räume, die sie öffnen, sind eben die Sprachräume der Gegenwart und Vergangenheit des Autors. Zuweilen machen sie seine Autobiografie zum Material, vor allem im ersten Kapitel des Bandes:


Geboren im Osten im Westen des Siebenbürgischen
Beckens der Gebärmutter, Eltern Musiker, Vater Gesang
und Gitarre, Mutter Hausfrau und schrill     die
Erinnerung an wer weiß wie viele wertlose Scheinlöwen
(Lei, Münzen und Scheine) in der Pfütze am Plattenbauhof,
...


Aber der Band dient nicht der Beschwörung irgendeiner Kindheitsidylle oder gar -hölle, sondern er  erprobt auch am Erinnerungsmaterial sein lyrisches Verfahren, eben das der Defragmentierung. Wahrnehmungs- und Gedankenmaterial, so vereinzelt und so bruchstückhaft es erscheint, wird nach Maßgaben eines Dichtungssubjekts in eine Ordnung gebracht, die eine künstliche und künstlerische ist. Pate stehen dabei eine Reihe von vor allem französischen Dichtern und Philosophen. Dieses Verfahren kulminiert meiner Meinung nach in zwei Texten, die souverän auch mit Fremdmaterial arbeiten. Sie stehen sich im Band gegenüber, der eine wird eingeleitet mit einem Zitat René Chars und heißt Dies Verschränken der Bilder, dem Gegenüber ein Gedicht, das auf ein berühmtes Selbstbildnis Max Beckmanns zurückgeht.

Im ersten heißt es:

Lichtecho verrät ihn. Dann wiederum versteckt sich aus
der Sicht jedes Eindringlings der Wachhabende, denn
der Text ist ein müder ein gestresster ein magenkranker
Soldat.
Dann ist es soweit und ich schalte die Lampe


und das Ende des Beckmanntextes:

Und du, ja, du bäumst dich auf wie
          eine Pappel in der Winterglut und applaudierst
den Konturen der Augenringe.


Wie die Sprachen, so begegnen sich hier die Medien, und die Selbstansprache erhält expressiven Charakter.

Sehr interessant ist auch das Nachwort zum Buch von Kristoffer Patrick Cornils, denn es stellt ein Ringen um die Texte dar, die Cornils zunächst „ nicht wirklich mochte.“ Ob er sie letztendlich mag, bleibt offen, was ihn aber vorwärtsbrachte, war die Auseinandersetzung.


Alexandru Bulucz: Aus sein auf uns. Gedichte. (Allitera Verlag - Lyrikedition 2000), 2016. 64 Seiten. 9,50 Euro.

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