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Alexandra Bernhardt: Weiße Salamander

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Sebastian Weirauch

Alexandra Bernhardt: Weiße Salamander. Dortmund (edition offenes feld) 2020. 88 S. 15,80 Euro.

Als würde da noch etwas lauern
Zu Alexandra Bernhardt: Weiße Salamander


Traumblind

waten Geier im Aas der brackigen Zeit
Elend ist denen, die auf den Poldern harren,
die erhoffte Eiszeit aber kommt nicht.
Nicht auch beginnen die Flüsse zu kochen,
nur weit über begradigte Ufer treten sie: uns nahe.
Unumzäunte Windräder entleben Flure.
Wälder schlafen ein in Gasen.
Der Mond ist auf der Hut.

Die Autorin, Übersetzerin und Herausgeberin Alexandra Bernhardt greift in ihrem nunmehr dritten Gedichtband »Weiße Salamander« altertümliche, mythische, ja manchmal mittelalterlich anmutende Sprachbestände und Sujets auf. Das titelgebende Tier ist in antiken mythologischen und auch in alchemistischen Vorstellungen ein Elementarwesen, das im Feuer zu leben vermag ‒ aufgrund seiner inneren Kälte. Als häufig verwendetes Emblem verschwimmt der Salamander mit Vorstellungen von Drachengestalten, mit solchen vom Stein der Weisen oder mit der ikonographisch weit verbreiteten Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt und ewige Wiederkehr symbolisiert. Weißfarbige Salamander sind allerdings überaus selten; zumindest dann, wenn man albinistische Salamander darunter versteht. Man mag im weiteren Sinn natürlich auch an den mexikanischen, leuzistischen, also ebenfalls bleichen Axolotl denken; ein auch popkulturell umtriebiges Tierchen, das u.a. in Julio Cortázars gleichnamiger Erzählung auftaucht oder in Helene Hegemanns Debütroman.

Erwartet man bei Bernhardts Lyrikband nun ein von Drachen wimmelndes Bestiarium, so wird man im positiven Sinn enttäuscht: Fabelhaftes, Sagenhaftes, Altertümliches ‒ all das findet man in den Gedichten. Jedoch in einer kargen, minimalistischen Form, in Texten, die sich eher mit Ich- und Wir-Instanzen als mit Fabelwesen befassen. Dort, wo ein Ich, zumeist in der Natur, spricht, mutet es überlegen an, aber auch ehrfürchtig und auf Rache sinnend: »Irgendwann/ komme ich lodernd/ zurück«. Ich und Wir sehen sich beide konfrontiert mit Zäsuren ‒ zwischen Kindheit und Erwachsensein, Augenblicken der Erfüllung und der Trennung, mythischen und profanen Zeiten.

In großer Nähe zur Jahreszyklik ist der Band in zwölf Sektionen aufgeteilt, auf die sich die 44 Gedichte äußerst ungleichmäßig verteilen. Ihre Sujets sind klassisch bis mittelalterlich, sie heißen »Nachtmahr«, »Zeitenlauf«, »marketendern«, »Galizischer Herbstsegen«, »Rabenherz« oder »Von den Parzen«. Das verwendete Vokabular kann fremdsprachliche Anleihen aus dem Rumänischen umfassen (»Amintire«) oder entwickelt Charakteristika einer Kunstsprache mit Begriffen mittelhochdeutscher, süddeutsch-österreichischer oder norddeutsch-dialektaler Anmu-tung wie »Poldern«, »Scheiding«, »Märenstein« oder »harmreich«.
    Zumeist wird mit diesen Wörtern verfremdend, jedoch äußerst sparsam umgegangen. Sprachliche Vertracktheiten sind reduziert in den homogen erscheinenden Texten, die über eine größere formale Varianz verfügen, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Aufgerufen wird die Differenz von Laut und Schrift, die in »Nachtmahr« spielerische wie verstörende Bilder erzeugt: »hart kantest du/ an den Kimmen der Träume/die rechten dir eine Ahnung ins Blut«. Das Spiel mit Worten und deren Mehrdeutigkeiten (auch in unterschiedlichen Sprachen) durchzieht den Band: »Von ferne weht/ Asche übers Meer/ sich weiß ins Nest/ aller gelegten Gelege/ legend«. Mittelalterlichen Liedformen nicht unähnlich finden sich oftmals Stabreime bzw. Alliterationen: »Berückt besieget betend dann/ [...] Im Stein im hellen Silberwald«. Gerade die dritte Sektion des Bandes erinnert aber auch an flächige, moderne Gedichtformen, die sich in der Nähe österreichischer Lyrik und Prosa bewegen.
    Im Altertümelnden versinkt Bernhardts Band also nicht. Wie im vorangestellten »Traumblind« gibt es Kippmomente zwischen einer Erwartung, die mit dem hermetisch-magischen Vokabular heraufbeschworen wird, und einem Bruch mit dieser, durch den zumeist ein zukunftsoffenes, aber auch alarmierendes Spannungsmoment entsteht. Dieser Bewegung verdankt »Weiße Salamander« seine intensivsten Momente. Sprache ist Albtraum und Freiheit zugleich. Die Übermacht der Fantasie und die Wiederverzauberung der Welt bleiben ambivalent. Die Hoffnung darauf, einen neuen Sang zu finden, wechselt sich ab mit der Angst vorm Stimmverlust. Augenblicke der Erhabenheit oder des Überlegenseins führen zu Bewegungen der Flucht oder wecken die Angst vor Fremdbestimmung.
   Alles jedoch geht in diesem ständigen Dazwischen nicht auf. Streckenweise bleibt ein Übergewicht von unverarbeiteten Symbolismen; Mohn, Vögel, Honig etc. ‒ alles poetisch sehr einschlägig. Wo ein Gedicht fasziniert und den Bruch mit Erwartungen vollzieht, bleibt ihnen ein anderes verhaftet. Besonders gelungen etwa ist in »Anfang Februar«, wenn ein Stereotyp gegen ein anderes ausgespielt wird. Hier heißt es: »Die Krähen sitzen in den lichten Bäumen/ wie wartende Totengräber«. Sie aber warten eigentlich nicht auf den Tod, sondern auf sein Gegenteil: »Sie wissen, daß der Winter bald stirbt«. In dem Gedicht »Vorfrühling«, eine Seite weiter, sprießen dann allerdings »blasse Elfenfinger« und lassen »ein kraftvoll Grün erahnen«, was trotz atmosphärischer Wirkung recht abgegriffen wirkt.
    Überzeugend geraten sind in Bernhardts Band vor allem jene Poeme, die etwas Ungewisses, Hintergründiges verströmen, als würde da noch etwas lauern. Neben dem bereits zitierten »Traumblind« sind u.a. die Gedichte »Elektra«, »Am Meer«, »Heimlich«, »Nacht: numerologisch« oder »Visio« hervorzuheben. Der Gesamteindruck von »Weiße Salamander« bleibt nach wiederholter Lektüre etwas durchwachsen bis positiv. Manchmal wünscht man sich, dass Bernhardts reduktionistisch gehaltener lyrischer Sprechgestus an manchen Stellen durch einen gewissen Schwung aufgebrochen würde.


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