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Alexander Gumz: barbaren erwarten

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Mario Osterland

Angenehm verunsichernd
 
Alexander Gumz' dritter Gedichtband „barbaren erwarten“


„sprich unruhig mit mir, lass dich schütteln.“ heißt es zu Beginn des Gedichts reißendes material von Alexander Gumz. Ein Vers, der als Lesemotto für den gesamten Band barbaren erwarten stehen könnte, der in diesem Frühjahr bei kookbooks erschien. Es ist Gumz' dritter Gedichtband, nach ausrücken mit modellen (kookbooks, 2011) und Verschwörungscartoons (parasitenpresse, 2015) – und sein bisher unharmonischster, was nicht abwertend zu verstehen ist. Bereits der Titel lässt eine gewisse Unruhe vermuten und tatsächlich hält barbaren erwarten einige Momente bereit, die ebenso von emotionalen und zwischenmenschlichen Unsicherheiten wie auch handfester suspense geprägt sind.

showdown d'amore

du könntest die schlinge versteigern, vor der ich mich so fürchte,
könntest mir berichten, wohin wir gerade gehen,
damit ich nicht im finstern gegen meinen freitod stoße.

ich stecke zwischen säulen fest. bevor ich mich
in diesem bunker niederließ, war ich ein tramp,
drehte mich um das, was scharfschützen von mir dachten.

heute stehen gebrauchtwagenhändler vor meinem fenster schlange.
wie wärs, herr gumz: ein staatsgeheimnis, ein paar flugzeuge,
ein trikot der b-mannschaft, ein bröckchen salz?
darf ich ihnen meine minderjährige tochter überreichen?

weit hinten seh ich dich über den parkplatz schlendern,
eine braune ledertasche unterm arm. ich springe auf,
winke dir einen geisterjäger in den weg.

jede laterne, die du passierst, erlischt.

Herr Gumz als Figur in seinem eigenen Gedicht? Das macht natürlich hellhörig und lässt so manches „ich“ in diesem Band noch einmal besonders klingen, allerdings ohne den Autor mit dem lyrischen Ich zu verwechseln. Vielmehr intensiviert sich dieses „ich“ beim Lesen, dessen Verunsicherungen sich auf den Leser übertragen. Im Gedicht warum war ich drei mal, wer ich nicht sein wollte? tauchen etwa zwei Doppelgänger aus dem Nichts auf und zwingen das „ich“, seine Individualität zu behaupten. „warum musste ich drei mal sein, der sich durch kälte wälzt,/ seine oberfläche eindellt, der stolpert und den forst anschreit?“
    Vieles bleibt in diesem Band im Vagen und öffnet dadurch einen großen Spielraum für Assoziation und Interpretation. „im schwersten moment klopft er einem von hinten auf die schulter, sagt:/ biste harmlos genug für diesen ausflug, alter?/ versuch da mal nicht zu zucken.“

Ein Initiationsritus, ein krummes Ding oder bloßes angstmachspiel – so rätselhaft die Konstellationen in diesen Gedichten oft sind, so präzise ist Gumz wiederum in seinen poetischen Bildern. Da reicht manchmal schon ein halber Vers, „jalousien, fallbeile meiner kindheit […]“, um das Rattern der Verbunkerung im Eigenheim bei eintretender Abenddämmerung heraufzubeschwören. Und diese Situation lässt es schon erahnen, Gumz nimmt uns mindestens mit an die Ränder der Städte, meist jedoch ohne Umschweife mit auf die Dörfer, wo Not erfinderisch macht. Den vielzitierten Frauenmangel kompensiert man hier etwa mit Geschlechtsumwandlungen. Opfern von rücksichtslosem Jagdverhalten verkauft man schnell noch eine Versicherung, nachdem sie ins Fangeisen getreten sind. Gumz' Gedichte sind alles andere als humorbefreit, seine Ironie gegenüber den Dorfgemeinschaften ist bissig. Hier und da vielleicht etwas zu sehr. Mag sein, dass der Autor sich dessen bewusst ist, seinen eigenen Stand- bzw. Blickpunkt relativiert, indem er gleich zu Beginn des ersten Kapitels oh dörflichkeit, veränderung schreibt „wir singen laufend über felder, durch die wir gar nicht gehen“. Ein Vers, der Gumz im Folgenden davor schützt, als übergriffiger Großstädter gelesen zu werden, wenn er wiederholt Momente der Fremdheit, der „einsamkeit von uns neuankömmligen“ im ländlichen Raum erzeugt.
    Jürgen Brôcan hat in seiner Besprechung auf fixpoetry* darauf hingewiesen. Er schreibt: „Idyllen-Exorzimus at its best. In diesem Vademecum für den Großstädter versammeln sich Situationen, die alle etwas Spukhaft-Albträumerisches haben, weil jede vermeintliche Sicherheit schnell den Boden unter den Füßen verliert. Das geschieht weniger bei den Bildfolgen als vielmehr in [...] sprachlichen Brüchen und Schnurritäten.“
    Interessanterweise bewirken diese Brüche und „Schnurritäten“ (ein herrliches Wort) in den Liebesgedichten, die sich im Band ebenso finden, eine fast schon angenehme Verunsicherung, die von einer bedrohlichen, bedrohten Zweisamkeit zu einer Art Großstadtromantik führt.
 
in real life

wir denken uns als auffahrunfall, doch so richtig leidet niemand.
mein mittelfinger kneift, dir juckt die pupille.

noch vor tagen hätten wir uns geopfert, tapfere burschen
in einem schwimmbassin, die gürtel voller munition.

jetzt tänzele ich über den gehweg, hin und her gerissen
zwischen anlaufnehmen und zusammenbruch.
 
leg dich mal ne weile in die erde, sagst du, zur übung.
beim absprung nickst du mir zu.

ich lockere den strick um meinen hals. im wahren leben
wären wir nach diesem dialog für einen kuss aufs dach gestiegen.

die aussicht wär brutal: bahnsteige, im kreis gelegt.
selbstmörder warten, plaudern mit passanten, bis der zug einfährt.


* https://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritik/alexander-gumz/barbaren-erwarten

Alexander Gumz: barbaren erwarten. Gedichte. Berlin (kookbooks) 2018. 88 Seiten. 19.90 Euro.
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