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Alexander Graeff: Die Reduktion der Pfirsichsaucen im köstlichen Ereignishorizont

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Stefan Hölscher:

Lyrisches Konzentrat saftiger Saucen


Wenn ein queerer, in Berlin lebender Autor mit so facettenreichen Hintergründen wie Philosophie, Wirtschafts-, Ingenieur- und Erziehungswissenschaften einen Lyrikband mit dem Titel „Die Reduktion der Pfirsichsaucen im köstlichen Ereignishorizont“ verfasst - erschienen im Frühjahr 2019 im Verlagshaus Berlin -, weckt das mein Interesse. Schon der Titel von Alexander Graeffs Gedichtband löst dabei Fragen und Neugier in mir aus: Was sind das für Konzentrate pfirsichartiger Saucen, die sich dort ereignen? Wie sinnlich-saftig, wie konzentriert-eingekocht, wie köstlich-greifbar oder intellektuell-abgehoben mag das sein, was sich hinter dem violett-blau-weiß gestalteten Cover verbirgt? Und wie werden die versammelten Reduktionen nicht nur „im köstlichen Ereignis Horizont“ des Autors, sondern auch in meinem Verstehens-Horizont wahrnehmbar und greifbar?

Graeffs Buch bietet den Lesenden dabei zuerst mal eine Grundstruktur an in Form von drei Kapiteln: „Ohne Kuvertüre, die du für mich bist“, „Statt körpereigener Substanzen“, „Gegen das Kentern und Sinken“. Angedeutet werden hier bereits verschiedene rote Fäden, die das Buch durchziehen: Das Fehlen von süßlichen Schokoüberzügen in Beziehungs- und Weltverhältnissen, das verzwickte Verhältnis von Körpereigenem und –fremdem, das Aufbegehren und Ankämpfen gegen das immer drohende „Kentern und Sinken“. Zu den roten Fäden in Graeffs Gedichtband gehören auch, wie der Titel ja schon vorgibt, die Metaphern des Kulinarischen, zu denen sich am Ende des Bandes auch ein „Kleines Lexikon der verwendeten kulinarischen Begriffe“ als Orientierung für den Lesenden findet. Ebenso der Bezug auf Hunde, der in verschiedenen Varianten immer wieder auftaucht und die nicht ganz unsexualisierten und phallusfreien Zeichnungen von Mario Hamborg, die den Band illustrieren. Das Ganze ist insgesamt sehr liebevoll gestaltet, wenngleich vom Schriftbild her meines Erachtens unkomfortabel (und unnötig) klein gehalten.

Am stärksten finde ich Graeffs Gedichte da, wo sie gar nicht so viel zu wollen scheinen:

smells like piss and tourists
wir leben, was wir hassen.
im queer district in Porto
die Schraffur des Backsteinstrichs
mein Ich dir Stütze am Toilettenrand.
Der Anblick, dann doch
tragisch, was hast du dich nur fort-
gelebt, so völlig ohne Sonne
wo ist das Kindgesicht der Tage?
wer schüttelt dir die Felle?
       
(aus dem Gedicht „Variabel“, S. 57)

Oder:

„Low Angle Untersicht

Froschperspektive Nasenring, ein
Stecker in der Lippe und dein
Gewippe mit dem Bein, das
Erdbeben erzeugt.

Du fährst den Seelöwen-Style, den
Stecher im Gepäck, dein Make-
Up maßlos überspannt: es riecht
nach salzigem Parfüm           

im Seismogramm der Tram.
Deine Lokalleben-Magnitude, eine
zerrütete Geophysik
Fluchtpunkt in ein sozial
darwinistisches Comeback.“
Hier gelingen Graeff, wie ich finde, zugleich sinnlich intensive wie assoziativ schillernde kleine lyrische Szenen, die über das individuell Erotische deutlich hinausweisen. Schwerer getan habe ich mich mit Gedichten, die für meinen Geschmack etwas zu überladen sind, die zu viel auf einmal wollen, sodass es mir nicht leicht fällt, überhaupt Zugang zu ihnen zu finden:

„Die blätternde Patina, ein Übersetzungsstück
im Spiegelschatten entzündeter Augen.
Später sie im Beistellbett der Zusatzüber-
nachtung, das Motiv der Regelmäßigkeit
Emergenz meines angstbefühlten Willens.

(aus dem Gedicht „Beim Betrachten eines Fotos von vier mittelalterlichen Altarflügen“, S. 44)  
             
Oder:

„ADAM SAGT
: Die Schufterei im Feld ist
Zorniges Kartoffelnrupfen.
Ein Trumpf des Lebens      der fehlt      zelebriert die
Symbolischen Saucen der Abgewrackten im Igluzelt. Die
Beständigen Kampagnen für ein Land der
Toxischen Frucht und die pulmologischen
Entzugsprogramme Pressearbeit für vorgefahrene Ideen
Machen das Geschehen minotaurisch“

(aus dem Gedicht „Adam sagt“, S. 84)                    

Hier muss ich als Leser ein paarmal tief durchatmen, ein paar Leseanläufe nehmen, meine Eindrücke irgendwie sortieren, versuchen, in eine Schwingung mit dem Text zu kommen  - und werde trotzdem nicht ganz glücklich damit.

Auf der Umschlagrückseite von Graeffs Buch steht als kleine Erläuterung: „In diese Welt toxischer Männlichkeit geht Graeff hinein, ohne den Bankrott des Individuums zu erklären: Mechan- /Ismen Lieder Utopien“. Vielleicht ist es diese intendierte Verwebung der lyrischen Realisierung von all dem zugleich, die die Stärken und zugleich Klippen von Graeffs Gedichtband ausmacht: Queere Lyrik als konstruktivistische Ereignisverdichtung. So oder so: „Die Reduktion der Pfirsich Saucen“ verlangt auch den Lesenden einiges an eigener Horizont Konzentration und Reflexion ab.


Alexander Graeff: Die Reduktion der Pfirsichsaucen im köstlichen Ereignishorizont. Berlin (Verlagshaus Berlin) 2019. 120 Seiten. 17,90 Euro.
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