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Adam Zagajewski: Poesie für Anfänger

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Jan Kuhlbrodt

Adam Zagajewski: Poesie für Anfänger. Essays. Übersetzt von Renate Schmidgall. München (Carl Hanser Verlag) 2021. 280 Seiten. 24,00 Euro.

Zu Adam Zagajewski: Poesie für Anfänger


Was für ein treffender Titel?! Auf diesem Feld werden wir immer Anfängerinnen und Anfänger sein, denn im Gegensatz zum Autofahren lässt Kunst keine Routine zu.

Am 21. März 2021 ist Adam Zagajewski gestorben. Geboren ist er 1945, im damals noch oder gerade polnischen Lemberg, das heute in der Ukraine liegt. Er wurde also geboren, als die Verschiebung der europäischen Staatsgrenzen zu einem Ende kam. Dennoch hinterließen die Verwirbelung der Länder und Völkerschaften, der Faschismus und die Vernichtung der Jüdischen Bevölkerung durch die deutschen Besatzer, und überhaupt die Besatzung, ihre Spuren. Aber eben auch die Auswirkungen des Stalinismus und ein dräuender andauernder Antisemitismus nach 1945.
     Ein Umstand, der den Autor letztlich ins Exil trieb, der ihn aber nach dem Zusammenbruch des Kommunismus im Osten Europas auch zurückkehren ließ. Umstände und Positionen, die sich in einem reflexiven Gespür ausdrücken, mit dem Zagajewski sich in seinen Essays anderen Autoren zuwendet, und dies in einer Sensibilität für sprachliche Strukturen bezüglich der Texte von Kolleginnen und Kollegen, aber auch für die Wege und Verschiebungen in der Rezeption dieser Texte.
     Den Anfang des im Münchner Hanser Verlag erschienenen Essaybands zum Beispiel bildet ein langer Rilke-Essay. Er zielt zum Teil und vor allem auch auf eine nationale Ungebundenheit des Dichters ab, die sich vor allem in den Duineser Elegien zeigt:

„In den Elegien befinden wir uns weder in der Schweiz noch in Österreich, Frankreich oder Deutschland. Das Poem Das wüste Land, die angelsächsische Entsprechung von Rilkes Meisterwerk, ist, wie wir wissen, in London angesiedelt. Die Duineser Elegien dagegen schaffen einen Raum, der nie eine Flagge oder eine Nationalhymne haben wird – es ist der menschliche Raum par excellence, und bei der in einer der Elegien erwähnten Post könnten wir vielleicht Briefmarken kaufen (aber in welcher Währung?), es würde sich allerdings herausstellen, dass der Kosmos selbst sie in Umlauf gebracht hat, kein konkreter zur UNO gehörender Staat. Doch die in den Elegien dargestellten menschlichen Leidenschaften, Sehsüchte und Situationen erkennen wir sofort als unsere eigenen.“

Die Nationen haben sich, könnte man behaupten, spätestens im zwanzigsten Jahrhundert, weniger wie ein Rückhalt als vielmehr als Hemmnisse erwiesen, und Literatur und Sprache ist das, was notwendig über ihre Borniertheit hinausweist.
 
    Es gibt in diesem Buch einen längeren Essay über die Brüder Heinrich und Thomas Mann. An ihrem Verhältnis zeigt Zagajewski eine Grundspannung im Europäischen literarischen Erbe. Selten habe ich einen Text gelesen, der dieses Verhältnis derart prägnant ins Allgemeine stellt und zugleich erdet.

„Die Gleichgültigkeit hat zugenommen, aber die Spannungen zwischen dem Erbe der Aufklärung und der romantischen, bisweilen religiös gefärbten Sehn-sucht ist geblieben. Die beiden Seiten können sich oft nicht miteinander verständigen, es kommt vor, dass sie einander verspotten, einander verachten, aber es kommt auch vor, dass die Spannung in die Brust eines einzigen Menschen einzieht (denn so war es ja im Fall unserer entzweiten Brüder).“

Und über das beheimatet-Sein im Fremden schreibt Zagajewski auch in einem großartigen Text zu W.G. Sebald.

Es könnte jetzt den Anschein haben, die Essays des Bandes drehten sich größtenteils um deutschsprachige Autoren. Aber das ist bei Weitem nicht der Fall, ich erwähnte sie, weil sie mir zunächst einmal vertrauter sind. Aber Zagajewski eröffnet mir auch das vorerst unüberschaubare Feld polnischer Literatur, und zeigt mir, dass die Autorinnen und Autoren, die ich aus unserem Nachbarland kenne, nur etwas wie ein erstes Leuchten sind, aber eben Bestandteile eines Lichtmeeres.

Ein Name hat sich mir besonders eingebrannt, es ist der des Tagebuchschreibers Józef Czapski, von dem Zagajewski in einem Essay mit dem grandiosen Titel: Granit und Regenbogen berichtet.

„Ja, er ist jemand, der das mystische Licht sucht, dem die arrogante Antipathie gegen die Religion, die ein großer Teil der künstlerischen Avantgarde pflegt, fremd ist, doch zugleich ist er ein Moderner – wenn dieses Wort noch irgendetwas bedeutet.“

Der Text spricht auf eine derart suggestive Weise, dass ich unweigerlich nach Titeln von Czapski suchte. Von diesem Autor liegt auf Deutsch aber leider nur eine kleinere Publikation in der Friedenauer Presse vor, die ich mir allerdings postwendend besorgen werde, und künftig werde ich die Verlagsankündigungen nach dem Namen Czapski durchforsten.

Aber auch andere Sprachen kommen zu Wort, in Essays über Tranströmer oder Machado zum Beispiel.

Als ich von Zagajewkis Buch erfuhr, hatten wir gerade beschlossen, in der Reihe Neue Lyrik im Poetenladen einen Band mit Texten des Dichters Utz Rachowski zu veröffentlichen. Und wie der Zufall so spielt, findet sich in dem Essayband auch ein Text zu Rachowski, was für mich auch persönlich ein großes Glück darstellte.


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