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2. Münchner Poesie=Marathon

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2. Münchner Poesie=Marathon
Ann Cotten und Elke Erb

Ann Cotten las als erste der beiden Lyrikerinnen, die zu den wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartslyrik zählen. Cotten hatte alle ihre Publikationen mitgebracht und begann mit ihrem Debutband "Fremdwörterbuchsonette", 2007 bei Suhrkamp erschienen. Feurig und elektrifizierend trug sie in ihrem ihr eingegebenen Rhythmus vor, der auch ihre Passagen aus dem Essayband "Helm aus Phlox" zu einer Poesie machte, die ihre Gedichte metrisch weiterführte.

Nach etwa einer Stunde unterhielt sie sich mit dem Moderator über ihren Umgang mit der Sonettform und über die Tiefe ihrer Wahrnehmung (Einprägen von Bildern).

Danach wieder lesebereit und sichtlich aufgetaut, wollte sie heitere Passagen ihrer Arbeit vorstellen.

Pega Mund, eine Lyrikerin unter den Gästen, schreibt dazu in ihren Notizen zum 2. Münchner Poesie-Marathon am 15.11.2013:
hierarchie, natur. etwas mehr. ein spiel.

"Auf diesen Abend hatte ich mich gefreut. - Als Ann Cotten zu lesen begann, scheuchte ich die aufdringlichen, akademisch-analytisch sich plusternden Quergedanken davon; auf die Stimme wollte ich mich einlassen, auf Stimm- und Stimmungswandlungen, auf das Hören, auf den Lesefluss; wollte unangestrengt, unabgelenkt mit den Versen schwimmen; hatte zugleich den Impuls, von den fischgleich im Schwarm vorbeischlüpfenden Worten und Wendungen diejenigen festzuhalten, die mich (warum auch immer) ansprangen, affizierten; begann also (das geht sogar, wenn man dunkel im Publikum sitzt), Gehörtes ins Handy zu tippen und hatte am Ende des Abends Beute gemacht: zwei Netze, Doppelfang, in Fragmenten (m)ein Abbild der Lesung ..."

Wie warst du schön, als ich dich ficken wollte!
Wie war das Hellbraun deiner Logorrhöe egal!
Wie durch Insektenlupen monstrisiert Revolte
konvexe Konvulsionen, im Kommemorisiern zumal.

Für meine Dichtung bist du null.
(und alles, jede Null hat noch ein Guckloch)
Fest steht, ich fall alleine auseinander.

(Aus "Stilett, am Boden", Fremdwörterbuchsonette, 23)

Elke Erb, nach der Pause, berichtete fast chronologisch von ihrer Arbeit und den Verknüpfungen damit in der DDR sowie später im Westen. ("Ich lese aus allen meinen Gedichtbüchern der Reihe nach, außer dann, wenn ich über mehrere Gedichte hin ein Motiv verfolge. Oft werden die Gedichte kommentiert. Es beginnt mit dem DDR-Teil. Zum Schluß folgen ungedruckte.") Erb begann 1967 mit ihrem Gutachten zu Gullivers Reisen, fuhr fort mit Beispielen aus den Gedichtbänden "Kastanienallee", "Unschuld, du meine Lichter", dann mit "Sonanz", ihren 5-Minuten-Notaten, "Meins" (2010) und "Das Hündle kam weiter auf drein" (2013)

Auch mit ihr unterhielt sich der Moderator gegen Mitte ihres Vortrags über ihre Poetik, vor allem über das Eigenleben der Sätze (beim richtigen Schreiben).
"Jetzt die neuen, ungedruckten. Das erste heißt Poetologie. Die Tagebuchnotiz, von der es herkommt, ist von 2003. Alle meine Gedichte sind zuerst Tagebucheintragungen, die ihre Zukunft als Buchtext nicht im Sinn haben. Erst wenn ich sie in den PC abschreibe, suche ich die heraus, die als Buchtext infrage kommen."

Pega Mund, hierarchie, natur. etwas mehr. ein spiel, über Elke Erb:

Ich saß da wie eine Klapperschlange aufgerichtet und habe gewartet, dass der Text kommt.

Fotos: Martina Kerl

MÜNDIG

Die Tränen der Plattform,
ehe sie verlaufen,
reden mit mir: wie die Meinung
mich reute.

Ruhe, Ruhe, zur Ruh
spricht die Buche mir zu.
Ja, lallt die Pappel?
Was verficht denn die Fichte.

Fingerhut? Füchse? Nichts
sagen Birken. Zum Ahorn! was
ist eine Ahorns-Antwort?
Und was lispelte die Linde?

Tränen und Berg und Tal.
Ehe sie verlaufen,
die Tränen der Plattfom
reden mit mir wie die Leute.

Dezember 1981. Für Franz Fühmann
(Kastanienallee, S. 44 f.)


Ein langer Abend, der lange nachwirkte, wie eine Verzauberung.

KK

Später, auf dem Nachhauseweg, muss ich am Hauptbahnhof lange warten; stehe ganz nah an der Bahnsteigkante und sehe: Es huscht da unten im Gleisbett. Winzige schwarzgraue Mäuse sind gut getarnt zwischen den Steinbrocken unterwegs; je länger man schaut, desto belebter wird das Panorama, und plötzlich springt mir dieses frische Apfelstück ins Auge, leuchtend weiß das Apfelfleisch und rot die Schale, wie das hervor sticht aus dem ewigen Staubkohlegrau! Das Apfelstück: groß, größer als jede Maus; eine kriecht schließlich darunter, um zu fressen, der Apfel bewegt sich. Da rauscht die S-Bahn heran ... (Pega Mund, hierarchie, natur. etwas mehr. ein spiel)

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