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(Thomas O. Höllmann:) Abscheu. Politische Gedichte aus dem alten China

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Jan Kuhlbrodt

(Thomas O. Höllmann:) Abscheu. Politische Gedichte aus dem alten China. Chinesisch / deutsch. Übersetzt von Thomas O. Höllmann. München und Schupfart (roughbook 051) 164 Seiten. 15,00 Euro.

Chinesische politische Lyrik


Gestern Mittag fand ich zwei neue roughbooks im Briefkasten. 051 und 052. Und wie es so ist bei neuen Büchern, man wirft schnell mal einen kurzen Blick hinein und auf die Klappe. Gerade aber las ich schon die letzten Zeilen des Nachwortes von 051. Ich war vom ersten Text an elektrisiert.

Es handelt sich um eine Anthologie klassischer chinesischer Dichtung, die von Thomas O. Höllmann übersetzt und herausgegeben wurde und unter dem Namen „Abscheu“ politische und regimekritische Gedichte versammelt.
     Herausgekommen ist eine überaus spannende Anthologie mit Texten, die in ihrer Zeitrelevanz einen Blick auf historische Verwerfungen, den Aufstieg und den Niedergang antiker chinesischer Dynastien bieten, sondern darüber hinaus Texte vorstellen, die in ihrer Stoßrichtung eine Art überzeitlichen Kern menschlichen Zusammenlebens und politischer Organisation offenlegen.
  Zum Teil sind die Texte über zweitausend Jahre alt; und doch entfalten sie eine fast gespenstische Aktualität. Gerade in Coronazeiten, in denen doch unterschwellig auf eine chinesische Schuld verwiesen wird, ist es angebracht, auf die gegenseitige Nähe und eine gewisse Universalität menschlicher gesellschaftlicher Strukturen hinzuweisen.

Imperiale Vergänglichkeit

Immer wieder ist mir zu Ohren gekommen, wie die Kaiser –
angeregt durch Erzählungen über Unsterbliche und Geister –
versuchten, ihr Leben zu verlängern.
Vergeblich! Ihre goldenen Türme sind eingestürzt,
ihre Paläste verschwunden, ihre Gräber von Gestrüpp überzogen.

Hanshan zugeschrieben (vermutlich 7. Jh.)               

Hier wäre zum Beispiel eine Nähe zu verschiedensten Produktionen Bertold Brechts zu konstatieren, der sich von fernöstlicher Dichtung und Philosophie stark beeindruckt zeigte, was sich in seinen „Meti – Buch der Wendungen“ niedergeschlagen hat, und auch in Gedichten wie „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“

Die Texte im Buch „Abscheu“ sind zweisprachig abgedruckt. Auf der linken Seite jeweils die chinesische Variante, was natürlich auf den ersten Blick die Frage der Übersetzbarkeit aufkommen lässt. Die meisten Texte machen grafisch einen monolithischen Eindruck. Die meist einheitliche Anzahl der Schriftzeichen pro Zeile (pro Vers) wirft die Frage auf, wie sich diese Form (und ob) im sprachlichen Rhythmus spiegelt. Jedenfalls übersetzt Höllmann in eine deutsche Rhythmik, was anders wahrscheinlich gar nicht zu machen ist. Das führt natürlich zu unterschiedlich langen Versen. Allerdings gelingt es dem Übersetzer, den Texten eine eindringliche Musikalität zu unterlegen.

Aber, und das war mir bei der Lektüre das Entscheidende, und wahrscheinlich war das auch der Grund, dass ich bei sich steigerndem Interesse bis zum letzten Text festhielt: die Gedichte entbergen eine enorme politische Leidenschaft. Diese findet in den Texten allerdings auch die verschiedensten Charaktere. Von der nüchternen Beschreibung eigentlich unhaltbarer Zustände, von Trauer bis hin zu einer umstürzlerischen Wut. An allen Stellen wird jedoch das Unhaltbare des jeweiligen Zustands deutlich. Und immer klingt neben der Klage auch die Anklage hindurch.

Tanz und Gesang

Schnee bedeckt zum Jahresende
die Palastanlagen der Hauptstadt,
wo der in Purpur gekleidete Adel,
die Flocken und den Wind besingt,
ohne sich um die Verzweiflung der
Hungernden und Frierenden zu scheren.
Gezecht wird von Mittag bis Mitternacht,
und auch danach gibt’s keine Ruh.
Offenbar kümmert es niemanden,
wenn im Zuchthaus die Gefangenen erfrieren.
                
Im Nachwort beschreibt Höllmann die Problemlagen chinesischer politischer Dichtung im historischen sozialen Gefüge, und in einem Glossar sind Angaben zu den einzelnen Dichterinnen und Dichtern versammelt.


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