(Ralf Thenior:) Die elektrischen Glühbirnen
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Timo Brandt
Vier Stimmen aus
Georgien
„Wohin fahren die Züge um Mitternacht?Wenn sich im Zimmer ein Teil des Spiegels erleuchtet,flitzen die Gespenster schweigsam durchs Zimmer,über den Fluss, das Straßenpflaster, sie rennen dahin.“
Diese Sammlung mit Stimmen der georgischen Lyrik – deren
Gedichte jeweils zunächst interlinear übersetzt und dann von deutschen
Dichter*innen nachgedichtet wurden – eröffnet mit Andro Buatchidze (dessen
Gedichte von Shorena Schamanadze übersetzt und von Jürgen Brôcan nachgedichtet
wurden). In Georgen ist er laut Biographie bereits ein gestandener und vielfach
ausgezeichneter Dichter.
„Helft mir!seine Stimme wird rau und müde,die Glühbirnen jedoch summen,weil die Vergangenheit ein Unfug ist,der nicht mehr existiert.“
Das Vorwort beschreibt Buatchidzes Gedichte als „Nachrichten
aus den Armenvierteln der Toten“, im weiteren Verlauf als „Requiems“ und ein
Gedicht als „irrlichterndes Kaddish“. In der Tat ist auch mir dieser Begriff
des jüdischen Trauer-Gebetes bei der Lektüre in den Sinn gekommen. Etwas
Erhabenes und zugleich Verhärmtes liegt in der Art, mit der diese Gedichte
anheben und bei Atem bleiben.
Meist gleichen sie weit ausholenden Gesängen, in denen es viel um Aussichtslosigkeit geht, die undumpfe Aussichts-losigkeit des Menschen, der die dumpfen Verrichtungen der Dinge gegenüberstehen. Die Gedicht klagen, sehen ihre Klage aber selbst verrinnen – und beklagen wiederum dieses Verrinnen und dass die Inständigkeit der eigenen Poesie es nicht aufzuhalten, die Lage nicht zu ändern vermag.
„GottHier ist Honigden hat mir Dato Akriani gebracht,komme mit diesem Honig in mich hineinund korrigiere die Fehler in meinem Körper,in meiner SeeleHier ist Joghurtden hat mir Dato Barbakadze gebrachtkomme mit diesem Joghurt in mich hineinrette mich“

Es folgen Gedichte von Shota Iatashvili (übersetzt von Maia
Liparteliani, nachgedichtet von Lütfiye Güzel), dem im Vorwort die Kunst
nachgesagt wird „über Ernsthaftes Witze zu machen, ohne die Ernsthaftigkeit zu
verraten“. Auch wird der Dichter ein „Schlitzohr“ genannt.
Ganz schlicht lässt sich feststellen, dass Iatashvilis Texte
vermutlich die zugänglichsten des Bandes sind – sie haben eine saloppe, oft
sogar spaßige Art und es trifft zu, dass es ihnen gelingt, manch ernstere
Themen (wobei diese nicht in der Überzahl sind) humoristisch aufzugreifen, ohne
dass die Dringlichkeit und Problematik der Angelegenheit vom Tisch gewischt
wird.
So gibt es zum Beispiel ein Gedicht das „Demotivationsbrief“
heißt und in dem jemand davon spricht, dass alle seine Versuche sich
umzubringen zum Scheitern verdammt sind und man ihn deswegen doch, weil diese
Alternative nicht in Frage komme, anstellen soll. In einem anderen Gedicht wird
ein Bleistift beerdigt, was zu einem fast mythischen Akt gerät, mit Schalk im
Augenwinkel. Auch eine „Ode an die Kleidung“ wird angestimmt, in einem anderen
Text preist das lyrische Ich spottend sein Münzgeld.
Ein weiteres Motiv in Iatashvilis Lyrik ist die Dialektik
von Poetiken und poetischen Prozessen. Schon im ersten Gedicht wird verhandelt,
wie sich Leben und Dichten zueinander verhalten, und das lyrische Ich vertritt
die Meinung, dass man sich, um zu brillieren, für eines der beiden Gebiete
entscheiden müsse. In einem anderen Gedicht wird eine Stadt zum poetischen
Text, der täglich überarbeitet und neu veröffentlicht wird. Ein vielschichtiger
und spannender Lyriker.
„ich, noch nie so recht gottesfürchtig,stehe vor dir und versprecheweder in guten noch in schlechten zeitenwerde ich dich lieben und ehren[…]ich, weder sehr weiblich noch mütterlich, versprechenicht mutter deiner kinder zu werden.wir werden sie nicht nach deinen eltern nennen.ich werde nicht mit ihnen angeben oder stolz auf sie seinund sie werden nicht zum studium ins ausland gehen.“
Während das Vorwort die Sujets der jüngsten Beiträgerin Lia
Likokeli (ihre Gedichte wurden übersetzt von Maja Lisowski und nachgedichtet
von Ivette Vivien Kunkel) in die Nähe der Bildwelten von Leonora Carrington
rückt, habe ich mich eher an die phantastischen Elemente aus Tania Blixens
Erzählungen erinnert gefühlt.
Ähnlich wie bei der dänischen Schriftstellerin und
feministischen Vorreiterin, geht es auch in Likokelis Gedichten um
existenzielle Erfahrungen (von Frauen) und familiäre Angelegen-heiten/Konflikte.
Ihre Poesie hat eine enorme Durchschlagskraft und bietet vermutlich die
intensivsten Erfahrungen des Bandes, was auch an der Ausführlichkeit und
Unnachgiebigkeit liegt, mit der sie ihre Gedichte antreibt und aufstellt.
So etwa das Hochzeitsgedicht, aus dem oben zitiert wird und
das minutiös den Erwartungen und Formulierungen von Ehegelöbnissen
zuwiderläuft. Oder auch ein Gedicht, das als Brief an einen Bruder bezeichnet
wird und in dem auf unterschwellige Weise so etwas wie ein Verstoß, vielleicht
sogar eine Vertreibung aus dem Kreis der Familie geschildert wird. Folgerichtig
geht es in zwei anderen Gedichten auch um eine verbotene oder zumindest
unschickliche Liebe.
Bewegt hat mich auch ein Gedicht, in dem es um eine Abtreibung
oder Fehlgeburt geht und in dessen Verlauf heftig über Trauer und den Wert von
Leben und die Idee des Sterbens reflektiert wird. Allein wegen Likokelis
Gedichten ist diese Anthologie schon sehr empfehlenswert.
„Und wir schwatzen und scherzen so rum,und von der Wahrheit keine Silbe,kommt lasst uns durch die Stille reisen,da brauchen wir keinen Wortproviant.“
Leider nicht zustimmen kann ich dem Vorwort (und dem
Herausgeber) in der Begeisterung über die Gedichte von Gaga Nakhutsrishvili
(übersetzt von Maia Tabukashvili, nachgedichtet vom Herausgeber Ralf Thenior).
Er wird dort als „Weiser aus Osteuropa bezeichnet“, als Realist gerühmt.
Ich finde, seine Gedichte haben etwas Lapidares, fast schon
etwas Gönnerhaftes. Seine Dichtung mag den Kurs des knallharten Realismus
fahren, aber obgleich sie meist konkret ist, fühlt sie sich doch sehr
artifiziell und abstrakt an, unbestimmt in ihrer Bestimmtheit. Vielleicht kann
ich auch einfach mit den Motiven nichts anfangen, mit der Art, wie diese
Gedichte sich eingängig geben. Kurzum: auf mich wirken sie unbelebt.
Das soll aber die Verdienste dieser Anthologie nicht
schmälern, ebenso wenig die Empfehlung, die ich am Ende doch deutlich
aussprechen will!
(Ralf Thenior:) Die elektrischen Glühbirnen. Lyrik aus
Georgien. Düsseldorf (Edition Virgines) 2018. 150 Seiten. 14,00 Euro.