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(Najem Wali:) 25 Jahre Writers in Exile

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Barbara Zeizinger

Najem Wali (Hrsg): 25 Jahre Writers in Exile. Gefährdete Stimmen einer Welt in Gefahr. Anthologie. Berlin (Secession Verlag) 2025. 300 Seiten. 25,00 Euro. ISBN 978-3-96639-092-7

Ein Text lässt sich nicht töten


»Schriftstellerinnen und Schriftsteller leisten Widerstand, setzen sich für Gerechtigkeit und freie Gesellschaften ein. Dafür werden viele von ihnen verfolgt, bedroht, angegriffen, eingekerkert, verbannt und nicht selten getötet. Solange eine oder einer von ihnen irgendwo nicht frei ist, ist niemand frei.«

Das schreibt Najem Wali, Vizepräsident des PEN Deutschland und Herausgeber der Anthologie »25 Jahre Writers in Exile. Gefährdete Stimmen einer Welt in Gefahr.«

Um diesen Stimmen dennoch Gehör zu verschaffen, unterstützt der PEN in seinem Writers-in-Exile-Programm seit 1999 diese Autoren und Autorinnen. Mit Hilfe einer Projektförderung durch die jeweiligen Bundesbeauftragten für Kultur und Medien wird Betroffenen dabei geholfen, im deutschen Exil frei zu leben und zu schreiben. Die vorliegende Anthologie feiert gleich zwei Jubiläen: 100 Jahre PEN-Zentrum Deutschland sowie 25 Jahre Writers-in-Exile-Programm.

Die Orte der Verfolgung sind weit über den Globus verstreut. Türkei, Sudan, Belarus, Afghanistan, Iran, Irak, Kuba, um nur einige nennen. Ebenso vielfältig sind die Themen, an denen Regierungen und sogenannte Sittenwächter Anstoß nehmen. Oft ist es Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen, weswegen Dichter und Dichterinnen verhaftet werden. Aber auch feministische Texte oder solche, die sich mit Homosexualität befassen, können Anlass zur Verfolgung sein.

In unterschiedlichen, teilweise sehr anrührenden, literarischen Texten erzählen uns Lyriker, Erzähler, Blogger, Dramaturgen, Journalisten von ihrem Land und den dort gemachten Erfahrungen. Von ihrer Ohnmacht, ihrem Ausgeliefertsein, ihrer Verzweiflung und manchmal von Solidarität und von Glücksmomenten, trotz alledem.

So schreibt der türkische Schriftsteller Barbaros Altuğ: »Nicht wenn er erlebt, ist der Mensch glücklich, sondern wenn er sich erinnert.« Dieser Satz könnte für mehrere Texte als Überschrift gelten, besonders aber für »Secondhand-Zeit« der Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Darin beschreibt sie die Entfremdung einer russischen Mutter von ihrem Sohn. Denn während die Mutter immer wieder an ihre nicht einfache sowjetische Vergangenheit denken muss, lebt der materialistisch ausgerichtete Sohn in einer oberflächlichen Gegenwart: »Zwischen uns liegt ein Abgrund, als wären Jahrhunderte vergangen.«
Die Flucht vor lebensbedrohlicher Verfolgung geht oft einher mit der Trennung von der Familie. Obwohl in Bangladesch die Säkularisation des Landes in der Verfassung steht, geriet der Bibliothekar Zobaen Sondhi als Blogger in die Fänge der Islamisten, da er sich in seinen Texten für Menschenrechte und freiheitliches Denken einsetzte. In »Auf der Flucht vor der Machete« beschreibt er, wie sich sein Leben veränderte. »Und so verließ ich mein zeitweiliges Versteck in Indien und ging zurück nach Bangladesch, wo mich buchstäblich die Todesangst packte – ich fürchtete von terroristischen Banden überfallen zu werden.« Schließlich erhält er die Einladung für das Writers-in-Exile-Programm. Es fällt ihm schwer, sich von seiner Frau und den Kindern zu trennen. Aber letztlich schreibt er: »Ich muss für die Menschen um mich herum arbeiten, so gut ich es vermag, und damit ich das kann, muss ich am Leben bleiben.«
So unterschiedlich die Autoren und Autorinnen in der Anthologie sind, so verschieden sind die Texte. Da gibt es die hintergründige Geschichte des Ukrainers Alexei Bobrovnikov »Monolog eines Bleistifts«, in dem er seinen Autor warnt, dass Geschriebenes sich nie auslöschen lassen würde. »Und der Radiergummi hinterlässt zu viele Spuren. / Man kann sich nicht reinwaschen. / Ein Text lässt sich nicht töten. / Er bleibt in jedem Fall.«

Bùi Thanh Hiếu aus Vietnam begegnet der Bedrohung mit Humor. »In Tagebuch einer Ausreise. Das Verhör« beschreibt er, wie er den Ermittlungsbeamten raffiniert an der Nase herumführt. »Ich krümmte mich vor Lachen«, schreibt er.

Gerne würde ich noch aus vielen Texten zitieren, viele Autoren und Autorinnen genauer vorstellen. Doch lesen Sie selbst. Nicht nur die Geschichten und Gedichte zeigen uns, wie wertvoll das Writers-in-Exile-Programm ist. Zusätzlich zu den Geschichten erhält der Leser durch die ausführlichen Biografien Informationen über die Herkunftsländer.

Najem Wali in einem Vorwort und der ehemalige Präsident des PEN-Zentrums Deutschland José F.A. Oliver in einem Nachwort erweitern in ihren Essays die Thematik des Buches. Exil als unendliche Geschichte, als eigentliche Verfasstheit jedes schreibenden Menschen, Exil, für das es viele Sprachen gibt.

Lassen Sie mich etwas hoffnungsvoll schließen. Mit Zeilen aus einem langen wunderschönen Gedicht von Volha Hapeyeva aus Belarus:

kinder kommen vom strand zurück
sie können noch nicht lesen oder schreiben
sie müssen alles in sich selbst tragen

so wächst das gedächtnis

sie zappeln plaudern streiten tummeln sich
und plötzlich
nimmt eins die hand des anderen
so einfach und natürlich
wessen hand – spielt keine rolle
eines freundes oder eines feindes
die sind noch nicht hier
die kommen später mit den buchstaben
jetzt gibt es nur hier und jetzt
und das gefühl der hand, die auf dem weg zur hand ist
um zusammen zu sein
wenn es gefährlich wird


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