(Michael Braun:) „Was ich weiß, geht mich nichts an“. Zu Günter Eich
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Meinolf
Reul
„Was
ich weiß, geht mich nichts an“.
Zu Günter Eich. Herausgegeben von Michael Braun. Mit Anmerkungen, Zeittafel,
bibliographischen Hinweise und Kurzviten der Autorinnen und Autoren. 128
Seiten, Klappenbroschur. Poetenladen, Leipzig 2022. 18,80 Euro
Der
stille Anarchist. Essays zu Günter Eich
„Aber wie gesagt, es gibt diese Briefe und die sind entweder im Suhrkamp Verlag in irgendeiner Kiste oder mittlerweile in Marbach in irgendeiner Kiste oder im Nachlass von Axel Vieregg. Ich weiß es nicht. Da müsste sich mal jemand darum kümmern.“ -Mirjam Eich
Um das
Nachleben Günter Eichs ist es nicht zum besten bestellt, das Zitat von Mirjam
Eich, der Tochter von Ilse Aichinger und Günter Eich, deutet es an. Eine
geplante und lange angekündigte Briefausgabe im Suhrkamp Verlag kam nicht
zustande, weil der dafür vorgesehene Herausgeber, Axel Vieregg, auf Eichs
Aufnahmeantrag in die NSDAP von Mai 1933 gestoßen war (dieser wurde nicht
bearbeitet, nebenbei bemerkt) und es darüber zum Zerwürfnis mit dem Verlag
gekommen war, in dem immerhin 1991 noch die von Vieregg und Karl Karst
herausgegebene revidierte und erweiterte vierbändige Ausgabe der Gesammelten
Werke erscheinen konnte, die die erste Edition von 1973 ersetzte und
weiterhin lieferbar ist.
Als sich
am 20.12.2022 der Todestag des Dichters und Hörspielautors zum fünfzigsten Mal
jährte, schaltete der Verlag bloß eine Nachricht (immerhin besser als nichts).
Die Autorenpflege haben längst andere übernommen. Die unter dem Titel „Was
ich weiß, geht mich nichts an“. Zu Günter Eich publizierten Essays, für die
sich einige „Günter Eich-Enthusiasten“ zusammengetan haben, erschienen im
Leipziger Poetenladen Verlag.
Kurz vor
Weihnachten kam die Nachricht, dass Michael Braun gestorben sei. So wird die
Würdigung Günter Eichs auch zum Vermächtnis Michael Brauns, dessen Todesanzeige
in der Frankfurter Allgemeine Zeitung Günter Eich mit den Versen
zitiert:
„hebt mich auf / für die vorletzte Sprechstunde, / wenn die endgültigen Winde / die langen Gedichte hersagen.“
Der Gedenkband umfasst neun Beiträge, die Eichs Wirken als Lyriker, Hörspielautor und Prosaisten beleuchten, ihn aber auch als Freund und Familienmensch porträtieren. Das Vorwort charakterisiert die Veröffentlichung als gegen die „Gedächtnis-schwäche des Literaturbetriebs“ gerichtet. Vor allem wendet es sich dagegen, Eich als Autor des Kanons kaltzustellen. Dem wird die Forderung entgegengehalten, sich seinen „Provoka-tionen zu stellen“, wie zum Beispiel dieser: „Jedes Gedicht ist zu lang“.
1949 schrieb Eich einen Aufsatz mit dem Titel „Schlaf-pulver oder Explosivstoff?“ Er hatte seine Wahl getroffen. Als er 1959 die Verleihung des Georg Büchner-Preises zu einer scharfen Attacke gegen die Macht und die Mächtigen nutzte, weigerte sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung, seine Rede abzudrucken. Das bereits überwiesene Honorar gab Eich zurück.
Die
Formel (Eichs Bezeichnung) „Was ich weiß, geht mich nichts an“ aus Anlässe
und Steingärten (1966) wird nicht weiter kommentiert. Sie ist wohl nicht
als Zurücknahme des früheren Diktums aus dem Hörspiel Träume zu
verstehen: „Alles, was geschieht, geht dich an“. Im Gegenteil, eher scheinen
zwei verschiedene, einander bedingende Wesensaspekte ange-sprochen: das des
künstlerisch schaffenden, und das des moralisch bewussten und um seine
Verstricktheit wissenden Ichs. Im ersten Zitat wäre dann zum Ausdruck gebracht,
was der Musik-wissenschafter Christoph Haffter so formulierte: „Kunsterfahrung
ist das Gegenteil von Bescheid-wissen.“ Zugleich verbietet das Bewusstsein der
eigenen Verantwortung im Weltgefüge künstlerische Gemütlichkeit; es fordert
ästhetische Kühnheit, oder Verweigerung.
Der
Eich-Band hebt einigermaßen sinister mit einer Fahrt zur Grabstelle des
Dichters in Nähe des Bieler Sees an. Einst wurde dort seine Asche auf Brachland
unter jungen Eichen verstreut („Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume! //
Wie gut, daß sie am Sterben teilhaben!“). Vielleicht ist es diese Örtlichkeit,
auf die das Umschlagbild von Franziska Neubert verweist. Michael Braun
unternahm die „Spurensuche“ mit einem Begleiter im Frühjahr letzten Jahres. Man
kann kaum umhin, sie als Vorwegnahme des eigenen Todes zu lesen. (Carolin
Callies zeigte sich „erschrocken über die Todesnähe dieses Bandes“.) Dabei sind
die vier Seiten durchaus anekdotisch zu lesen, berühmte Schriftsteller treten
auf, W.G. Sebald, Wolfgang Koeppen, der Anarchist Michail Bakunin und, als
einstiger Fährmann, der ortsansässige Literaturkritiker Heinz F. Schafroth.
Wer das Foto „Schiff auf dem Bieler See“ betrachtet, mag dennoch an Charons
Fähre denken.
Während
Jürgen Nendza Eichs „ästhetische Zäsur“ Mitte der 60er Jahre nicht zuletzt
durch den Frankfurter Auschwitz-Prozess und Eichs selbstkritische Sicht auf seine
Rolle als vielbeschäftigter Hörspielautor zur Zeit des Nationalsozialismus
motiviert sieht („Zuarbeiter im Getriebe des nationalsozialistischen
Machtmechanismus“, schreibt Nendza), arbeitet Michael A. Braun in seinem
Beitrag über Eichs Hörspiele das Beunruhigungspotential dieser Texte heraus.
Der Hörerprotest nach Erstsendung der „Träume“ 1951 ist legendär.
Zwanzig Jahre später distanzierte sich Eich von seinen Hörspielen der fünfziger
Jahre und ließ nur noch die späten Arbeiten gelten. Michael A. Braun plädiert
dafür, gerade dies wenig bekannte 'Alterswerk' stärker zu rezipieren.
Der Rabe
Sabeth aus dem gleichnamigen Hörspiel wird in der Reihenfolge der Texte
sozusagen an Àxel Sanjosé weitergereicht, der sich unter der Überschrift
„Sabeths kurzer Schatten“ dem Vogelmotiv bei Eich widmet, und dazu eine
Kulturgeschichte des Vogels skizziert, von den römischen Auguren über die
nordische Mythologie bis hin zu Edgar Allen Poe.
Er
zeichnet die Linie vom graphisch wirkenden Vogelflug hin zur Vogelschrift nach
(„Krähen schreiben mit trägem Flügel / eine Schrift in den Himmel, die keiner
kennt“), bemerkt überhaupt in den Gedichten viel Zeichenhaftigkeit, die aber
leer, jedenfalls unentzifferbar, bleibt.
Sanjosé,
der eine Statistik über die Häufigkeit des Vorkommens der jeweiligen Spezies führt,
hält fest, dass die Corvidae am stärksten vertreten sind (neben
Raben auch Krähen – „'Klassiker' des Jenseitigen“ –, Dohlen, Häher und Elstern).
In den
Gedichtbänden Zu den Akten (1964) und Anlässe und Steingärten
(1966) fehlen Zeichen und Vögel weitgehend, die wenigen angeführten Ausnahmen
sind: „ein geköpfter Hahn […], Fasane, als Speise serviert [...], «Kanarienvögel,
die leichthin sterben»“.
Die Möglichkeit der Transzendenz früherer Texte ist kalt abserviert.
Als 1972 Nach Seumes Papieren erschien, kamen darin keine Vögel mehr
vor.
„Wer
sich mit den späten Gedichten Günter Eichs beschäftigt, sollte auf die
hartnäckige Verweigerung metaphysischen Trostes und auf eine forcierte
Desillusionierung gefasst sein“, schließt Michael Braun nahtlos an den
nihilistischen Befund Àxel Sanjosés an. Seine Skizze zu „Günter Eichs
Topographien“ schreibt in gewisser Weise die „Spurensuche in Biel“ vom Anfang
des Bandes fort und enthält darüber hinaus eine vergleichende Lektüre von Eich
und Aichinger: eine freundliche und helle Episode.
Im
Hinblick auf das Spätwerk nennt Braun die „poetische Topographierung der Welt“
die für Eich „probateste Form der Wirklichkeitsberührung“.
Die
diesseitigen Orte verweisen auf keinen besseren jenseitigen Ort, die Topoi
fügen sich in der Summe zu keiner Utopie. Um so mehr lässt aufhorchen, wenn
Kurt Drawert in seinem Beitrag vom „utopischen Imperativ im Verweigerungstext“
spricht. Der Verweigerungstext dessen, der sich vor keinen Karren spannen
lässt.
Nancy Hünger wirbt in einem emphatischen „Hoch auf die Maulwürfe!“ für die
Lektüre oder Wiederlektüre der Eich'schen Maulwurf-Prosa, die ab 1967 bis zu
Eichs Tod im Jahr 1972 erschien. Lebhaft, poetisch und politisch – der schönste
Aufsatz dieses Bands.
Ein
Gespräch mit Roland Berbig über den Briefwechsel zwischen Günter Eich und
seinem Dichterfreund Rainer Brambach sowie ein weiteres Gespräch, das Michael
Braun und Jürgen Nendza mit Mirjam Eich geführt haben, stehen am Schluss dieser
lesens- und lobenswerten Initiative, die fortdauernde Aktualität der
Eich'schen poetischen Provokationen ins Bewusstsein zu rufen.