(Elke Erb, Manfred Rothenberger:) Tanzende Ordnungslust
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Jan Kuhlbrodt
Elke Erb im Gespräch
Im Januar des letzten Jahres ist Elke Erb gestorben. Vielleicht kann man sagen, dass es sich um einen Einschnitt in der Poesiegeschichte handelte, denn ihr Einfluss auf mehrere Generationen von Dichterinnen und Dichtern und wahrscheinlich auch darüber hinaus ist kaum zu überschätzen.
Nun ist es nicht so, dass sich Schreibende stilistisch an Erb orientieren, was ohnehin nicht funktionieren würde, weil sie nicht auf eine Einheitlichkeit eines Werks im klassischen Sinn abzielte, an dem sich Nachfolgende formal hätten orientieren können. Vielmehr öffnet ihr Schreiben und Denken in seiner kontinuierlichen Veränderung einen experimentellen Raum, in dem man sich gewissermaßen in Zwiesprache bewegen kann.
Liest man in ihrem „Notizbuch Ende der 90er“, heraus-gegeben von Steffen Popp, hat man den Eindruck, dass sie diesen Raum auch sich selbst geschaffen hat. Beweglichkeit ist wahrscheinlich eines der zutreffendsten Attribute.
Schon in Erbs Band „Der Faden der Geduld“ von 1978 (Aufbau Verlag) ist ein Gespräch mit Christa Wolf abge-druckt, von dem ich mir kaum vorstellen kann, dass es spur-los an der Romanautorin vorübergegangen ist. Aber das ist natürlich Spekulation.

Unter dem Titel „Tanzende Ordnungslust – Manfred Rothenberger im Gespräch mit Elke Erb“ ist bei *starfruit publications ein Band erschienen, der Kommunikationen versammelt, die Rothenberger zwischen 2015 und 2022 bei Besuchen in der Wohnung in der Schwedenstraße in Berlin, in Erbs Sommerdomizil in der Lausitz und am Telefon geführt hat. Durchschossen ist der Band mit Fotografien aus den verschiedenen Lebensphasen der Dichterin.
Bei Gesprächen, die ich selbst mit Elke Erb führte, stellte sich bei mir nach einer gewissen Zeit eine große Er-schöpfung ein. Ihre Gedanken und Wortkaskaden ergossen sich in den Äther, und ich hatte Mühe, den einzelnen Sprüngen zu folgen.

Dennoch waren sie auf ihre Weise unglaublich erhellend. Schwierig allerdings ist zu beschreiben, worin die Erhellung bestand, denn meinen reaktiven Gedanken blieb kaum Zeit, sich zu festigen. Sie mitschwingen zu lassen, war wohl der beste Weg. Umso dankbarer bin ich für dieses Buch, denn lesend ist meine Konzentrationsfähigkeit weniger eingeschränkt als im unmittelbaren Gespräch. In seiner Nachbemerkung bringt Manfred Rothenberger es wie folgt auf den Punkt:
„Ursprünglich wollte ich mit Elke Erb chronologisch durch ihr Leben und Werk gehen, aber von Begegnung zu Begegnung führte uns die Dynamik der Gespräche immer weiter fort von meinem Fragenkatalog, bis wir schließlich auch über Viren und Boxkämpfe sprachen, über intelligibles Eiweiß und das Stocknagelwesen, über die Gesänge der Pessimisten und Bäume als seelische Veranstaltung.“
Und dennoch spazieren die Gespräche, wenn auch zuweilen Haken schlagend, durch die Schreibbewegungen der Autorin, und es entsteht ein – wenn auch zuweilen ausgefranstes – aber doch höchst anregendes Bild. Geschlossenheit wäre auch, das lernt man dabei, tödlich.
Elke Erb: Notizbuch Ende der 90er. Auf Grundlage der Abschrift von 2020 herausgegeben von Steffen Popp. Schupfart (Engeler Verlage) 2022. 92 Seiten. 12,00 Euro.
(Elke Erb, Manfred Rothenberger:) Tanzende Ordnungslust - Manfred Rothenberger im Gespräch mit Elke Erb. Fürth (*starfruit publications) 2024. 272 Seiten. 26,00 Euro.