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(Astrid Nischkauer, Kalle Aldis Laar:) Mir war, als ob es klopfte

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Barbara Zeizinger

(Astrid Nischkauer, Kalle Aldis Laar:) Mir war, als ob es klopfte. Neue Gedichte aus Lettland. Übersetzt und herausgegeben von Astrid Nischkauer und Kalle Aldis Laar. Mit Texten von Anna Auziņa, Anna Belkovska, Krista Anna Belševica, Madara Gruntmane, Valentīns Lukaševičs, Anita Mileika, Artis Ostups, Inga Pizāne, Ligija Purinaša, Agnese Rutkēviča, Māris Salējs und Toms Treibergs. Köln (Parasitenpresse) 2023. 122 Seiten. 15,00 Euro.

Lyrische Reise durch Lettland


»Gedichte öffnen Türen in fremde Welten. Unsere Anthologie öffnet sich in alle Richtungen und möchte dazu anregen, sich, neugierig geworden, selbst auf Entdeckungsreise zu begeben ...«, schreibt Astrid Nischkauer im Nachwort der von ihr und Kalle Aldis Laar in der parasitenpresse herausgegebenen und übersetzten Anthologie lettischer Gedichte, Mir war, als ob es klopfte.
         Aufmerksame Leser von Signaturen werden das eine oder andere Gedicht schon kennen, da das Buch auf der Reihe »IntroVersion. Lyrik aus Lettland« beruht.
        Begeben wir uns also auf lyrische Reise. Zwölf Dichter/innen steuern je fünf Gedichte bei. Beginnen wir mit Anna Auziņa, deren lyrisches Ich in einer Art Zeitschleife auf ihr Leben blickt: ich wachte auf, ganz jung, heißt es da und ein paar Strophen weiter: bis ich erwachte, diesmal schon ganz alt.

Erinnerungen und Träume spielen in anderen Gedichten ebenfalls eine Rolle. Anna Belkovska entführt uns nach Portugal. Ein portugiesischer Onkel trat aus dem Traum, schreibt sie. Ihre Gedichte sind konkret und geheimnisvoll zugleich. Da gibt es ein Manifest und die Aufzählung: Die besten Lesezeichen geben gefundene oder gestohlene Dinge ab. Dann wieder beschreibt sie ihre Wünsche und fantasievollen Vorstellungen. Hinter Augenliedern aus Seidenpapier würde ich rot leben.
      Erinnerung und Traum. Diese Verbindung ist auch in den Gedichten von Agnese Rutkēviča vertreten. Wir sind friedlich in unseren jeweiligen Träumen, schreibt sie, und es ist der Großvater, der im Traum Brot schneidet.

So wurde
der August zu einem Traum
einem vollkommen einsamen
Traum

Diese Zeilen sind typisch für die Gedichte von Anita Mileika, denn alle ihre Gedichte haben eindrucksvolle Bilder und einen traumwandlerischen Ton. Da gibt es Spaziergänge am Strand in der Dunkelheit, die schön wie Honig ist, verbunden mit einer gewissen Unruhe, die ein Du nicht schlafen lässt. Obwohl sie sagt, es gebe ohnehin keine Jahreszeiten, spielen sie in ihren Gedichten eine wichtige Rolle.
    Jahreszeiten und die damit verbundene Natur stehen bei mehreren Dichter/innen für tiefergehende Überlegungen. Māris Salējs beispielsweise kommt vom Duft gefallener Äpfel über den Duft gefallener Sprachen zu dem mehrdeutig auszulegenden Geruch gefallener Welten. Dazu passt sein anderes Gedicht, in dem er in drastischen Bildern (rotes Blut, gelbe Heuschwaden) den Tod, oder wie Astrid Nischkauer im Nachwort schreibt, gegen den Tod schreibt.
        Lettgallisch ist eine Sprache, die im südöstlichen Teil Lettlands gesprochen und in der auch gedichtet wird. In der Ausgabe wird sie von Ligija Purinaša und Valentīns Lukaševičs repräsentiert. Dass es vielleicht nicht immer leicht ist, diese Sprache im lettischen Umfeld zu sprechen, davon erzählt Ligija Purinaša in ihrem prosaischen Gedicht, das vom Rhythmus lebt.

Ich erinnere mich dass du wolltest dass ich dir verspreche dass
wir und unsere Kinder nie Lettgallisch sprechen werden und
dass ich dir sagte dass das eine töricht große Dummheit wäre
und du sagtest sch sch Liebes die Zeit vergeht …

Valentīns Lukaševičs schreibt kurze Gedichte. Teilweise ähneln sie fast einem Haiku. Dabei gelingt es ihm in wenigen Zeilen ernste Themen wie Krieg oder Umwelt anzusprechen. Daneben sind Käse und Apfelbeerwein wichtige Zutaten seiner Gedichte.

Gestern kam der Erlöser
Zu mir in die Küche.
Ich schenkte ihm etwas lettgallischen
Apfelbeerwein ein.
Er sagte,
Er sei nicht schwächer
Als der vom Ufer des Jordan.

Überhaupt werden Apfelbeerwein oder auch Vogelbeerwein in mehreren Gedichten erwähnt, worauf auch das Titelbild der Ausgabe anspielt.  
      Nicht alle zwölf Dichter und Dichterinnen können in dieser Rezension erwähnt und gewürdigt werden. Lesenswert sind sie alle. Mit unterschiedlichen Tönen, Inhalten und Schreibweisen. Uns lettische Lyrik vorzustellen, neugierig auf diese Literatur zu machen, dieses Anliegen der beiden Herausgeberinnen ist sehr gut gelungen. Vielen Dank!


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