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Zoltán Lesi: Helen Stephens, Stella Walsh & Richie Clarke

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Zoltán Lesi:

Helen Stephens, Stella Walsh & Richie Clarke

übersetzt  von Nóra Keszerice


Helen Stephens

Hochgewachsen bin ich,
fast sechs Fuß groß; man gab mir
den Spitznamen Popeye,
obwohl ich Spinat hasse.
Der Trainer in der Schule
kam zu mir herüber.
Zuerst dachte ich, er mache mir
den Hof, als er sagte, er wolle
meine Zeit beim Fünfzig-Yards-Lauf
stoppen – ich liefe so schnell
wie eine Gazelle, meinte er.

Meine erste Zeit entsprach genau
dem Weltrekord. Im nächsten
Jahr wurde ich für die Olympischen
Spiele ausgewählt, wo ich
die hundert Meter in 11,5 Sekunden
schaffte und Stella Walsh,
die Titelverteidigerin, überholte.

Als sie einen Geschlechtstest
machen wollten, flippte ich aus.
Sehe ich wie ein Mann aus?
Bin ich hässlich? War das die Idee
dieser rachsüchtigen Polen?
Weil ich ihren Champion
besiegt hatte? Oder wollten sie
einen Blick in mein Höschen werfen?

Ich bewies ihnen, dass ich
eine Frau bin, entschied aber,
nicht mehr an Wettbewerben
teilzunehmen. Doch da ließ mich
der Führer zu sich rufen.
Er salutierte, woraufhin ich ihm
die Hand reichte und erklärte,
dass wir in Missouri uns so begrüßten.

Dann fasste er mich dort unten an,
wovon ich einen roten Kopf
bekam. Er umarmte mich:
Ich sehe wie eine Arierin aus,
sagte er schmunzelnd,
und ich könnte beim Wettbewerb
sogar die Farben des Reiches
tragen, meinte er. Ich solle mir
das überlegen, er würde mich
am Wochenende gerne
in Berchtesgaden willkommen
heißen. Glücklicherweise
konnte ich das Angebot ablehnen.

Bereits damals grauste mir
vor Männern. Mit der Leichtathletik
hörte ich tatsächlich auf.
Um weniger im Rampenlicht
zu stehen, begann ich,
Basketball zu spielen –
so hatte ich auch mehr Zeit für
meine Freundin. Über Stella
wusste ich kaum etwas,
bis ich einmal in der Zeitung las,
dass sie von zwei Pennern
auf einem Parkplatz in Cleveland
erschossen wurde. Dem Bericht
des Leichenbeschauers zufolge waren
ihre primären Geschlechtsmerkmale
nicht eindeutig.



Stella Walsh

In der Schule wetteiferte ich mit Burschen,
die mich wegen meines muskulösen
Körpers und massigen Nackens Stier
von Montana nannten. Ich war beliebt,
sie luden mich zum Tanzen ein, doch
mich interessierte so etwas nicht –
allein beim Laufen fühlte ich mich
am wohlsten.

Vor der Olympiade in Los Angeles 1932
ging ich in der Behörde monatelang
ein und aus, aber die Dreckskerle
schoben meine Akte nur umher.
Ohne Arbeitsplatz konnte ich
keine amerikanische Staatsbürgerschaft
erhalten – ich fand schließlich eine Stelle
in einem Sportzentrum in Cleveland.

Dann stellte sich heraus, dass
an den Spielen nur diejenigen
teilnehmen durften, die fürs Sporttreiben
kein Gehalt beziehen. Ich konnte den Job
also nicht annehmen. Indes hätte
ich die Arbeit dringend gebraucht,
da ich für die Reise nach L.A.
selbst aufkommen musste.

Ein polnisches Kulturzentrum
stellte mich an, und letztendlich
trug ich die Farben Rot und Weiß
auf der Brust. Danach musste ich mir
ständig anhören, Amerika untreu
geworden zu sein. Alleine
Babe Didrickson freute sich,
mich für Polen starten zu sehen –
so konnte sie nämlich statt meiner
als Amerikanerin an den Spielen
teilnehmen. Ich wurde zum Paria
und erhielt für lange Zeit noch
keine Staatsbürgerschaft.

Der Lauf dauert nur wenige Sekunden.
Das Adrenalin macht Taub:
Hilda Strike hatte mich in Los Angeles
überrascht. Sie war sofort losgeschossen,
eine harte Nuss, die ich jedoch überholte,
um den Weltrekord zu laufen. Die anderen
Polinnen verstanden nicht, warum ich
mich nach dem Wettbewerb zurückzog,
doch in der durchgeschwitzten
Kleidung hätten sie etwas erkennen können,
was besser im Verborgenen bleibt.

Bei den Olympischen Spielen in Berlin
besiegte mich Helen Stephens,
woraufhin die hirnlosen polnischen
Reporter sie bezichtigten, ein Mann
zu sein. Helen war keine Schönheit,
aber das ...

Schließlich bewies sie, dass sie
eine Frau ist – sie verklagte sogar
die Zeitung. Sie dachte, ich stecke
mit denen unter einer Decke,
und sagte in einem Interview
aus Rache, sie wisse gar nicht,
wer Stella Walsh ist.



Richie Clarke

Don war ein Griff in die Kloschüssel!
Die alte Hexe am Parkplatz
rückte die Kohle nicht raus, fuchtelte
so lange rum, bis ein Schuss fiel.
Ich schoss der Idiotin in die Brust
und dachte: Das geschieht
dir recht, du Schachtel! Hättest dich
nicht bewegen sollen! Don
und ich rannten weg. Zum Glück
sah uns keiner.

Hätte ich nicht die legendäre
Stella Walsh abgeknallt,
wäre nichts passiert.
Zu allem Überfluss stellte sich heraus,
dass sie ein Kerl war.
Auch einige Tage später ging es
im Fernsehen nur um ihren Schwanz
und ihre winzigen Eier.

Ich war so aufgebracht,
dass ich Don anrief, obwohl wir Funkstille
vereinbart hatten. Er kriegte
kaum Luft.

Schließlich sagte er, seines Wissens
nach hatte Stella, the fella
in den 40er-Jahren sogar geheiratet.
Einen Boxer. Das arme Schwein
muss seitdem nur im Puff
gewesen sein – um seinen Kummer
zu ersaufen. Auf uns wurde
ein Kopfgeld ausgesetzt,
es ist nur eine Frage der Zeit,
bis uns dieser oder
jener Kumpel für die zehntausend
Dollar verpfeift.

Echt mies, sagte Don am Telefon,
doch wir sollten uns mal
den kleinen Laden an der Ecke
Searsdale Ave und Broadview
Road ansehen, das Hinterfenster
lassen sie abends immer offen.


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