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Wolfgang Kindermann: Metamorphosen MEMORY

Theater / Kunst > Kunst > Theater


Wolfgang Kindermann


Metamorphosen MEMORY
nach Ovid


(in der Übersetzung von Erich Rösch,
Aufführungsrechte bei Pero Verlag)


Wolfgang Kindermann 2001

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LOST IN A ROMAN WILDERNESS OF PAIN
AND ALL THE CHILDREN ARE INSANE
WAITING FOR THE SUMMER RAIN
(The End, Jim Morrison)


Szenen und Personen:


Myrrha, mein Liebling

Myrrha
Vater
Haushälterin


Arachne Couture

Arachne
Pallas
Journalistin
Anwalt
Kellner


Das Juppiter Projekt 1

Juppiter


I wie Icarus

Icarus


Midas Management

Assistentin 1
Assistentin 2
Midas


Das Juppiter Projekt 2

Juppiter


I'll be your mirror

Narcissus
Echo



Diana am Pool

Diana
Dienerin
Paparazzo
TV-Sprecherin


Changes Iphis

Iphis
Ianthe
Ligdus
Telethusa


Das Juppiter Projekt 3

Juppiter


The Funeral

Alter Mann
Tote Gattin
Angehörige
Juppiter


Dr. Phaeton

Phaeton
Phoebus
Experte
Moderatorin


Das Juppiter Projekt 4

Journalistin 1
Journalistin 2




Myrrha, mein Liebling


Myrrhas Lachen vom Band. Myrrha am Dachboden. Sie steigt auf einen Schemel, knüpft einen Strick um einen Balken und legt sich die Schlinge am anderen Ende um den Hals. Kurz zögert, dann springt sie. Ihre Füße schlagen aus, sie röchelt, der Knoten war falsch gebunden, im Todeskampf versucht sie die Schlinge zu lockern, vergeblich. Sie wird bewusstlos. Da stürmt die Haushälterin in den Raum und bindet die Reglose nach einer Schrecksekunde vom Balken. Sie legt Myrrha behutsam auf den Boden und versucht sie wieder zu Bewusstsein zu bringen.


HAUSHÄLTERIN

O rede! Mich lass Hilfe dir bringen! Rasen der Liebe? Ich kann mit Lied und Kräutern es heilen.
Tat es einer dir an? Ist es der Götter Zorn? Er lässt sich durch Opfer versöhnen. Was soll ich denken noch sonst? Das Glück deines Hauses, es ist doch heil und in fröhlicher Fahrt. Es leben Mutter und Vater ...


Myrrha, die langsam zu sich gekommen ist, verfällt beim Wort „Vater“ in einen hysterischen Lachkrampf.

HAUSHÄLTERIN

Dich hat mit stygischem Brand, mit geblähtem Viperngezücht der Furien eine behaucht.
Ein Verbrechen, den Vater zu hassen! – So, ihn zu lieben, größer Verbrechen als Hass!
Dich begehren Edle, erlesen im Umkreis, da ist die Jugend des ganzen Ostens im Wettstreit
um dich. Von allen wähle, o Myrrha, einen zum Mann, nur sei unter allen nicht eben der Eine!


VATER (an seinem Schreibtisch)

Myrrha, mein Liebling!


Myrrha tritt auf ihn zu. Sie steht starren Blickes eine Zeit lang neben ihm, bis er sich von seinen Papieren ab- und ihr zuwendet. Er lächelt sie an, sie weicht seinem Blick aus. Er entdeckt eine Träne auf ihrer Wange und wischt sie behutsam mit seiner Hand weg.


VATER

Wie geht es dir heute?


MYRRHA

Es geht.


VATER

Was macht dein Freund?


MYRRHA

Er ist dir ähnlich.


VATER

Du bist noch immer so ... kindlich. Gib deinem Vater einen Kuss.


Sie setzt sich wie unter Hypnose auf seinen Schoß und legt die Arme um seinen Hals. Er küsst sie. Zuerst väterlich auf Stirn und Wangen, dann auf den Mund, schließlich mit der Zunge. Sie erwidert seinen Kuss. Sie beginnt, seine Hose zu öffnen.


VATER  

Jetzt nicht. Ich habe noch zu arbeiten. (Sie löst sich von ihm, ab)


MYRRHA (zu sich)

Wohin reißt mich mein Sinn? Was will ich beginnen? Götter, heilige Scheu,
ihr geheiligten Bande des Blutes, lasst den Frevel nicht zu, widersetzt euch
meinem Verbrechen! –  Wenn es Verbrechen ist. – Man leugnet, dass heilige
Scheu ein solches Lieben verdammt. Es paaren die übrigen Wesen ohne zu
wählen sich doch. Auf dem Rücken den Vater zu dulden, gilt nicht für
Schande dem Rind, dem Hengst wird die Tochter zur Gattin, die er gezeugt,
die Ziegen bespringt der Bock, und von dem, aus dessen Samen einst er
empfangen, empfängt auch der Vogel. Gehässige Satzung haben Menschen
gesetzt, und, was die Natur uns erlaubt, das wehrt ein neidisches Recht. –  
ES ist stärker als ich. ES, das ist ER.


VATER (an seinem Schreibtisch)

Myrrha, mein Liebling!


MYRRHA

Ja, Vater.


VATER

Was gibt es Neues.


MYRRHA (sieht ihn nicht an, nach einer Pause)

Ich bin schwanger.


VATER (nach einer Pause)

Du bist was? (Pause) Bist du sicher? (Pause) Seit wann? (Pause) Wie ...
wie konnte das passieren?


Myrrha lacht hysterisch.

VATER

Hör auf zu lachen. Du sollst aufhören zu lachen! Hör endlich auf!
(schlägt sie) Es ... es tut mir Leid.


Myrrha spuckt ihn an.

VATER

Ich habe keine Tochter mehr. Du bist für mich gestorben. Verlass
dieses Haus.


Myrrha beginnt zu weinen.

VATER (schreit)

Mach, dass du rauskommst! Verschwinde!


Myrrha weinend ab.

VATER

Myrrha. Myrrha, mein Liebling! So warte doch! Es tut mir Leid!
(läuft ihr nach, ab)


HAUSHÄLTERIN (liest Myrrhas Abschiedsbrief)

In mir wird nichts geboren. In mir ist etwas gestorben. O Götter, wenn jemals dem,
der bekennt, das Ohr ihr geliehen: ich hab’ es verdient und versage der schwersten Strafe
mich nicht; doch damit ich nicht die Lebenden lebend kränke, die Toten tot, vertreibt mich
aus beider Bereichen, wandelt meine Gestalt und versagt so Leben und Tod mir. Leb wohl,
du Liebe, die du diesen Brief liest, wie ich hoffe, und nicht er. Wenn du in den Garten gehst,
siehst du einen Baum. Denk’ dir, er sei ich und vielleicht ist ES so und ES aufgehoben in ihm.
Gut aufgehoben. Leb wohl.


Der Vater geht wie in Trance zu den Worten der Haushälterin auf den Baum zu, umarmt ihn und weint. Myrrhas Lachen vom Band.


VATER

Myrrha. Mein Liebling.





Arachne Couture

PALLAS (mit zunehmender Verärgerung laut Zeitung lesend)

„Diese Lyderin war nicht berühmt durch Stand oder Abkunft, sondern allein durch
die Kunst. Ihr Vater aus Colophon, Idmon, tränkt’ mit dem purpurnen Saft der
phocaeischen Schnecke die Wolle. Schon gestorben die Mutter, doch war auch
sie ihrem Manne gleich aus dem Volke gewesen. Trotzdem hatte jene in Lydiens
Städten durch ihr Gewerb einen Namen gewonnen, obgleich sie stammend aus
kleinem Haus, in dem kleinen Hypaepa daheim war. Ihre bewunderswerten
Gewirke zu schauen, verließen oft das Rebengeländ ihres Tmolus die Nymphen,
verließen oft ihre wogende Flut die Nymphen des Flusses Pactolus. Nicht nur die
fertigen Stoffe, nein, auch sie werden zu sehen, war ein Vergnügen, mit solcher
Gefälligkeit übt’ sie ihr Können. Mochte die rohe Wolle zunächst zu Knäulen sie
ballen oder sie schlichten darauf mit den Fingern, entfilzen mit langen, oft
wiederholten Zügen die Wolken gleichenden Flocken, mochte mit leichtem
Daumen die glatte Spindel sie drehen. Mochte sie wirken in bunt. – Sie musste
von Pallas belehrt sein. Sie verneint es und spricht, beleidigt mit solch einer
Meistrin: ´Messe sie doch sich mit mir! Nichts gibt’s, was besiegt, ich verweigert’`“
Nun sieh’ sich einer diese kleine Schlampe an!


Ein Cafe oder Restaurant. Arachne an einem Tisch über Modeskizzen.

PALLAS (zu Arachne)

Ist hier noch frei?


ARACHNE (weist, ohne aufzusehen, auf einen Stuhl)

Bitte.


PALLAS

Danke. (zu einem Kellner) Einen Macchiato und ein San Pellegrino.
Ohne Kohlensäure. (Sie zündet sich eine Zigarette an. Nach einer Weile,
wie beiläufig
) Nicht alles, was höheres Alter uns bringt, nicht alles sollten
wir fliehn: auch Gutes kommt mit den Jahren.


ARACHNE (sieht irritiert auf)

Wie bitte?


PALLAS (ohne Arachne anzusehen)

Meinen Rat missachte ihn nicht: Unter Sterblichen magst du suchen den Ruhm,
die Erste zu sein in der Wolle Bereitung. Weiche der Göttin und bitte für das,
was du frevelnd gesprochen, flehend um Gnade, der Bittenden wird sie Gnade
gewähren.


ARACHNE

Was ... wer sind sie? Was erlauben Sie sich eigentlich?


PALLAS  

Na, hast du den Faden verloren?


Der Kellner bringt den Macchiato und das San Pellegrino.

ARACHNE

Ah, jetzt, weiß ich, wer dich schickt! Sinnlos kommst du daher. Es hör’ auf
dein Schwatzen, wenn du vielleicht hast, eine Tochter oder Schwiegertochter.
Ich find Rates genug bei mir selbst. Und, dass du nicht glaubst, du hättest mit
Mahnen Erfolg: Es bleibt meine Meinung die gleiche: Sag, was kommt sie
nicht selbst, was meidet sie hier den Wettkampf?


PALLAS

Sie kam. Und hat dich gewarnt. (zum Kellner) Die Rechnung bitte!


Prêt-à-porter im Fernsehen, Journalistin mit Mikrophon zu den Zusehern.

JOURNALISTIN

... da wird Purpur verwebt, der in tyrischem Kessel getränkt ward, zartere
Schattungen auch, von einander nur wenig verschieden. So wie in mächtiger
Wölbung der Bogen die Weite des Himmels färbt, wenn der Regen die Strahlen
der scheinenden Sonne gebrochen: Während tausend Farben in ihm verschieden
erglänzen, lässt sich vom spähenden Auge nicht fassen der Übergang selbst,
so gleich ist, was sich berührt, und doch das Entfernte verschieden. Da wird
unter die Fäden gewirkt auch schmiedsames Gold und eingewoben dem Stoff
die Geschichte aus alten Zeiten. Die heurigen Höhepunkt sind zweifelsohne
die Darbietungen von Pallas und Arachne.


Auftritt Pallas als Model ihrer eigenen Kollektion auf der Bühne.

JOURNALISTIN

Pallas webte in Farben den Hügel des Mars bei des Cecrops Burg und den alten
Streit, wer den Namen gebe dem Lande.


TV-Einblendung von hochrangigen Politikern im Publikum, Großaufnahme des grinsenden Juppiter.

JOURNALISTIN

Hier übrigens die himmlischen Zwölf in erhabener Würde auf hohen Sitzen,
inmitten Juppiter selbst. Juppiter zeigt sein königlich Aussehn.


Man sieht wieder die Journalistin im TV.

JOURNALISTIN

Pallas, wie gesagt, webte, wie die Erde vom Stoß ihrer Lanze getroffen,
des Ölbaums schimmernden Spross mit den Früchten hervortreibt.
Und sie beendet ihre Kollektion mit der Göttin des Sieges. Doch, dass
quasi an Beispielen seh’ ihres Ruhmes Neiderin, welcher Lohn ihr zu
hoffen steh’ für solch wahnwitziges Wagnis, fügt in den Ecken des
Laufsteges, noch vier Wettkämpfe in klaren, treffenden Farben sie bei
in deutlichen kleinen Gestalten.


Auftritt Arachne als Model ihrer eigenen Kollektion auf der Bühne.

JOURNALISTIN

Lydiens Tochter wirkte dagegen die von des Stieres Trugbild getäuschte
Europa: Man glaubt wirklich den Stier und wirklich das Meer. Man sieht sie
selbst zum verlassenen Ufer blicken, den Freundinnen rufen, des gegen sie
springenden kühlen Wassers Berührung scheun und ängstlich die Sohlen
zurückziehn. Auch Asterien ließ sie vom ringenden Adler gefasst sein,
dann auch unter den Schwingen des Schwanes Leda sich lagern; Juppitern
fügte sie bei, wie mit zwiefacher Frucht er des Nycteus herrliche Tochter
erfüllt, in Gestalt eines Satyrn sich hehlend, wie er Amphitryon war, als er
Alcmene gewann, wie golden er Danaen trog, als Feuer Aeginen, als Hirte
Mnemonen, aber die Tochter der Deo als schillernde Schlange. Doch auch
zeigt sie Neptun, der Aelostochter zulieb zum grimmigen Stiere geworden;
er schafft, als Enipeus erscheinend, auch dem Aloeus die Söhne, Theophanen
täuscht er als Widder. Und ihr eigen Gesicht gab jeder Gestalt sie und jedem
Orte. Da ist im Stoff eines Bauern Phoebus, und wie er bald eines Habichts
Gefieder und bald das Fell eines Löwen trägt, und Saturn, wie als Hengst er
des Chiron Zwiegestalt zeugte. Blumen, mit Efeugerank unterwoben,
nehmen den letzten Raum des Gewebes ein, von schmalen Saume umrandet.
Dieses Werk – es konnt’ es nicht Pallas, es konnt es’ der Neid nicht tadeln.


Pallas reißt sich wutentbrannt ihre Kleider vom Leib.

ANWALT (einer Sekretärin diktierend)

… so lebe du zwar, Komma, doch hänge, Komma, du Schlechte. Punkt. Und
dass du sicher der Zukunft nicht seist, Komma, soll der selben Strafe Gesetz
auch gelten deinem Geschlecht bis hin zu den spätesten Enkeln. Punkt.


Arachne hält am Laufsteg inne, stolpert, greift sich an die Kehle, bekommt offensichtlich keine Luft mehr. Auf der Bühne und im Fernsehen geht ein Aufschrei geht durch das Publikum. Ihre Bewegungen werden wie der Ton langsamer, bis beides abstirbt. Sie torkelt, geht auf die Knie, röchelt und wird bewusstlos. Sie erwacht wie in einem Traum oder nächsten Leben. Wie in Trance streift sie ihre Stilettos ab, sucht den Boden ab, bis sie schließlich ein Wollknäuel findet. Sie befestigt ein Ende auf der Bühne, spannt es ein paar Meter und befestigt die Schnur erneut. So spannt sie die Fäden wie bei einem Spinnennetz und spinnt sich dabei ein. Projektion UNITED COLORS OF BENETTON.


ARACHNE (singt)
 … a spiderman is having me for dinner tonight ... (Lullaby von The Cure)




Das Juppiter Projekt 1


JUPPITER (an einem Rednerpult vor Mikrophonen, setzt eine Brille auf)

Liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen, Kameradinnen und
Kameraden. Als ihre hundert Arme die Schlangenfüßigen alle reckten, schon im
Begriff, den eroberten Himmel zu fassen, damals war um die Herrschaft der Welt
nicht mehr ich in Sorge; denn, war wild auch der Feind, so drohte der Krieg doch
von einem Gegner allein und nur aus einem einzigen Ursprung. Jetzt muss ich
aber vernichten der Menschen Geschlecht auf dem ganzen Erdkreis, soweit ihn
Neues umrauscht. Ich schwöre beim Flusse, der in der Tiefe durchgleitet den
stygischen Hain, dass alles versucht ist zuvor. Jedoch die unheilbare Geschwulst
muss das Eisen beschneiden, damit sie das Reine nicht angreift. Habe ich Halbgötter
doch und Feldes Gottheiten, Nymphen, Satyrn, Faune, und habe des Bergwalds
Bewohner, Silvane. Die wir der Ehre des Himmels, die Treue heißt, nicht würdigen,
sollten gewisslich doch, die wir ihnen gegeben, die Erde wir lassen bewohnen.
Aber glaubt ihr genugsam sicher noch sie, wenn mir, der gebietend die Macht über
Blitz und euch ich besitze, nachzustellen versucht der berüchtigte wilde Lycaon?


STIMMEN VOM BAND

Schweinerei!
Das ist ja unerhört!
Weg mit dem Lump!


JUPPITER

Aber, liebe Freundinnen und Freunde, er hat bezahlt – darum zu
sorgen, lasst – seine Buße. Doch wie weit es schon kam, und wie es
gesühnt, will ich künden: Bis zu meinem Ohr war gedrungen der
schändliche Ruf der Zeit. Ich schwebe herab vom Olymp, ihn falsch
zu erfinden hoffend, und wandle als Gott unter Menschengestalt auf
der Erde.




I wie Icarus

Icarus im Anzug, mit einer Aktentasche. Er wartet offensichtlich auf etwas, vielleicht steht er in einem Aufzug. Ab und zu sieht er nach rechts, links, oben oder auf seine Armbanduhr.


DAEDALUS (Stimme, wie aus dem Telefon)

Mein Icarus, lass dich ermahnen. Halte die Mitte der Bahn. Denn fliegst du zu tief,
dann beschwert die Welle die Federn, zu hoch, dann wird die Glut sie versengen,
zwischen beidem dein Flug! Und schaue du nicht auf Boote, nicht auf den Bären
und nicht aufs gezückte Schwert des Orion.


ICARUS (verächtlich)

So gab er die Richtung dem Flug und passte den Schultern an das unvertraute
Gefieder. Während er schafft und mahnt, benetzt sich die Wange des Greises,
zittert des Vaters Hand. Er küsst sein Söhnchen – es sollte niemals wieder
geschehn – und dann, vom Fittich erhoben, fliegt er voraus voller Sorg um den
zarten Gefährten, dem Vogel gleich, der von hohem Nest seine Jungen lockt in
die Lüfte, mahnt ihn zu folgen und zeigt die gefahrvolle Kunst; seine eignen
Flügel rührt er und blickt zurück auf die seines Sohnes. Wer sie erblickt,
ein Fischer vielleicht, der mit schwankender Rute angelt, ein Hirte, gelehnt
auf den Stab, ein Pflüger, sie schauen und staunen und glauben Götter zu sehen,
da durch den Äther sie nahn. Schon liegt zur Linken der Juno heiliges Samos,
liegt im Rücken Delos und Paros, rechts schon Lebinthus erscheint und das
honigreiche Calymne ...


Man hört das Öffnen einer mächtigen Tür, im Hintergrund gleißendes Licht. Icarus bemerkt es, wendet sich nervös um und beginnt langsam auf das Licht zuzugehen.


DAEDALUS (Stimme, wie aus dem Telefon)

... als der Knabe beginnt, sich des kühnen Fluges zu freuen, als er den
Führer verlässt und im Drang, sich zum Himmel zu heben, höher den
Weg sich wählt. Da erweicht der näheren Sonne zehrende Glut das
duftende Wachs; er rührt die nackenden Arme, kann seiner Flügelruder
beraubt, keine Lüfte mehr fassen. Und seinen Mund der ...


ICARUS (verschwindet im Licht)

Vater!?


DAEDALUS (Stimme, wie aus dem Telefon)

... noch ruft, verschlingen die dunkeln Wogen der blauen Flut, die seinen
Namen erhalten. Doch der Unselige – Vater nicht mehr – „Mein Icarus!“,
ruft er, „Icarus!“, ruft er, „wo bist du? Wo soll in der Welt ich dich suchen?“





Midas Management


Das Vorzimmer des Midas, ein modernes Büro, zwei ASSISTENTINNEN DER GESCHÄFTSFÜHRUNG. Durch die Milchglasscheibe, die sie vom Chef trennt, sieht man diesen telefonieren, ab und zu dringen Laute von Gesprächen durch die geschlossenen Schiebetüren.


ASSISTENTIN 1 (tippt mit großer Geschwindigkeit, wird von einem Anruf

unterbrochen, hebt nach einiger Zeit ab, spricht betont freundlich)
Midas Management, guten Tag, was kann ich für Sie tun? ...
Tut mir Leid, Herr Midas ist momentan in einem Meeting.
Darf ich vielleicht etwas ausrichten? ... Gerne. Auf Wiederhören!
(legt auf, tippt weiter)


ASSISTENTIN 2 (versucht durch die Glasscheibe die Bewegungen ihres Chefs zu

deuten und etwas von seinen Telefonaten mitzubekommen)
Alles, was der anfasst, wird zu Gold. (ihr Telefon läutet, sie hebt ab)
Hallo? ... Nein. Ist gerade in einem Meeting. ... Ja, probieren Sie das.
(legt auf)


ASSISTENTIN 1

So heben wir bei uns aber nicht ab.


ASSISTENTIN 2

Wie bitte?


ASSISTENTIN 1

So heben wir bei uns nicht das Telefon ab. Das müsstest du jetzt
aber schon wissen. Wir sagen „Midas Management, guten Tag,
was kann ich für Sie tun?“ Und wenn die gewünschte Person nicht
zu sprechen ist, fragen wir „Darf ich vielleicht etwas ausrichten?“
Das ist doch nicht so schwer, oder?


ASSISTENTIN 2 (gelangweilt)

Nein, ist es nicht. Ich werd’s mir merken. (versucht wieder, hinter der
Scheibe etwas zu erkennen
) Er bricht von der niedrigen Eiche hier einen
grünenden Zweig: der Zweig ward golden. Er hebt vom Boden auf einen
Stein: der Stein auch glänzte von Gold, dort rührt eine Scholle er an:
durch die Wunderkraft der Berührung ward sie zum Barren. Er pflückt
die trockenen Ähren des Kornes: Golden die Ernte! Er hält einen Apfel
vom Baume: du glaubst, ihn hätten die Töchter des Abends geschenkt.
Wenn die Finger den hohen Pfosten er angelegt, dann sah man die
Pfosten erstrahlen.


ASSISTENTIN 1

Es wird ihm zu viel, er kann nicht mehr arbeiten, es erstickt ihn
allmählich. Reich und elend möcht’ er die Schätze nun fliehn und
hasst, was er eben gewünscht hat. Keinerlei Fülle stillt ihm den
Hunger, die Kehle verbrennt ihm dörrender Durst, ihn quält, wie
verdient, das Gold, das begehrte.


ASSISTENTIN 2

Er sollte ein paar Wochen Pause machen. Er ist schwer urlaubsreif.


ASSISTENTIN 1

Macht er jetzt ohnehin. In so einem Überlebenscamp von einem
Typen namens Pan. Es heißt, er geht zu dem Strom, den der große
Sardes benachbart. Bergwärts diesen entlang, den gleitenden
Wogen entgegen, bis hinauf er kommt zu dem Ursprung des Flusses.
Taucht dann dort in den schäumenden Quell, wo am stärksten er
austritt, Haupt zugleich und Leib und spült zugleich seinen Fehl ab.


ASSISTENTIN 2 (ungläubig)

Seinen Fehl?


ASSISTENTIN 1

Genau. Wie ihm befohlen, taucht der Chef ins Wasser. Die Goldkraft
tränkt den Fluss und weicht aus dem menschlichen Leib in die Wogen.
Dann bewohnt er Wälder und Fluren, wählt sich zum Umgang den Pan,
der in Bergesgrotten daheim ist.


ASSISTENTIN 2 (ungläubig)

Bergesgrotten?


ASSISTENTIN 1  

Bergesgrotten.


MIDAS (öffnet die Türen, tritt ins Vorzimmer und hebt die Arme zum Himmel)

Vater Lenaeus, verzeih! Ich habe gesündigt. Doch erbarm dich,
ich bitte, entreiß mich dem glänzenden Unheil! (zu Assistentin 1)
Ist mein Urlaub schon gebucht?


ASSISTENTIN 1

Natürlich, Herr Midas!





Das Juppiter Projekt 2

JUPPITER

Aufzuzählen, liebe Genossinnen und Genossen, wie viel an Schaden ich
überall fand, es währte zu lange: der Ruf, er war zu gut vor der Wahrheit.
Maenalus hatt’ ich durchschritten, den Schlupf der gefürchteten Tiere,
auch die Cyllene, den Forst mit den Fichten des kühlen Lycaeus, trat in
den Hof dort des Herrn von Arcadien, unter des Hauses ungastlich Dach,
als spät die Dämmerung nach sich die Nacht zog. Zeichen gab ich, genaht
sei ein Gott, und zu beten begonnen hatte die Menge. Er lacht zunächst
ihrer frommen Gelübde, spricht dann: „Ob dieser ein Gott, ob ein Sterblicher,
werd’ ich mit klarer Scheidung erproben; es wird nicht im Zweifel bleiben
das Wahre.“ Unvermutet mich nachts, wenn Schlaf mich befangen, zu
morden, dies war sein Plan, eine solche Erprobung der Wahrheit gefiel ihm!
Nicht zufrieden damit, durchschnitt mit dem Dolch er die Kehle eines, den
ihm der Stamm der Molosser als Geisel gesendet, ließ die zuckenden Glieder
zum Teil in siedendem Wasser kochen sodann und zum Teil braten sie über
dem Feuer. Als auf den Tisch er sie setzt, lass ich die rächende Flamme
stürzen das Dach auf die ihres Herren werten Penaten. Da entflieht er
erschreckt. Als er Feldes Stille erreicht hat, heult er hinaus: zu reden versucht
er umsonst. Das Gesicht zieht Wut aus des Mannes Natur. In gewohnter
Begierde zu morden stürzt er sich unter das Vieh und schwelgt auch jetzt
noch im Blute. Borsten ergibt das Gewand, zu Schenkeln werden die Arme.
Wolf wird er so und bewahrt die Spur seiner alten Erscheinung: Gleich ist
des Haares Grau und gleich der grimmige Ausdruck, ebenso stechend der
Blick, das Bild von Wildheit das gleiche. Eins ist gestürzt, doch war nicht
ein Haus nur zu verderben wert: Die Furie rast, so weit die Erde sich breitet.
Wie verschworen zur Untat sie all! Es treffe sie alle, wie sie verdient –
so steht der Beschluss – und beschleunigt die Strafe.


STIMMEN VOM BAND

Bravo!
So ist’s richtig!
Die verdiente Strafe!


JUPPITER

Und ob verrecken tausende unschuldige Weiber auf dem Weg zu
einem neuen wunderentstandenen Geschlecht, interessiert nur so viel
mich, als dass entstehe dies Geschlecht, von dem früheren Volke
verschieden.





I’ll be your mirror


Ein Hotelzimmer.

NARCISSUS (von draußen, vergnügt)

So komm doch!


ECHO (von draußen)

Komm doch ...


NARCISSUS

Was fliehst du mich denn?


ECHO  

Was fliehst du mich denn?


Echo stürmt lachend ins Zimmer, ihr nach Narcissus. Er ein STAR, vielleicht Schauspieler, sie ein namenloser Fan. Beide tragen festliche Kleidung, die allerdings schon etwas locker sitzt, beide sind betrunken. Sie lachen und balgen sich, bis er sie aufs Bett wirft.


NARCISSUS  

Lasst uns hier vereinen ...


ECHO (erregt)

Uns vereinen?


Sie beginnt sich auszuziehen. Halbnackt versucht sie seine Hose zu öffnen. Er entdeckt einen großen Spiegel, in dem die beiden zu sehen sind: sie beim Versuch sein Glied aus der Hose, oder diese hinunter zu bekommen, er irritiert darüber, oder über das Spiegelbild. Er reißt sich los.


NARCISSUS

Nimm weg von mir deine Hände. Eher möchte ich sterben,
als dass ich würde dein Eigen.


ECHO (verwirrt, ernüchtert)

Dass ich würde dein Eigen?    


NARCISSUS

Ein Kind, dass man damals schon hätte lieben können, gebar aus
schwangerem Schoß die herrliche Nymphe Liriope. Und sie nennt
es Narcissus. Befragt, ob diesem bestimmt sei, dass er nach langer
Zeit die Reife des Alters erlebe, sprach ein zukunftswissender Greis:
„Wird sich selbst er nicht schauen!“ Eitel erschien der Spruch des
Sehers lange. Schon hatte der Sohn des Cephisus zum fünfzehnten
Jahre eines gefügt und konnte so Jüngling scheinen wie Knabe.
Jünglinge haben ihn viele begehrt und viele der Mädchen. Doch
solch harter Stolz war gesellt seiner lieblichen Schönheit: Keiner
der Jünglinge hatte ihn gerührt und keines der Mädchen.


ECHO  

Keines der Mädchen?


NARCISSUS (beginnt, mit dem Spiegel zu sprechen)

Wer du auch seist, tritt heraus! Was täuscht du mich, einziger Knabe?
Ach, wohin weichst du Begehrter? Gewiss nicht Gestalt und nicht
Alter müsstest du fliehen an mir, und mich haben schon Nymphen
umworben. Hoffnung gibst du, ich weiß nicht worauf, mir mit
freundlicher Miene, streck ich die Arme nach dir, so streckst du
entgegen die deinen, lächle ich, lächelst du mit, deine Tränen auch
merkte ich oftmals, wenn ich selber geweint, auch erwiderst du
Zeichen und Winke, und, soviel aus der Regung des schönen Mundes
ich schließe, gibst du Worte zurück, die zu meinem Ohre nicht dringen. –
Der da bin ich! Ich erkenne! Mein eignes Bild ist’s! In Liebe brenn’
ich zu mir, errege und leide die Flammen! Was tu ich? Lass ich mich
bitten? Bitt’ ich? Was sollte ich dann auch erbitten? Was ich begehre
ist an mir! Es lässt die Fülle mich darben. Könnte ich scheiden doch
von meinem Leibe! O neuer Wunsche eines Liebenden: wäre –
so wollt’ ich – fern, was ich liebe!


Er zertrümmert verzweifelt den Spiegel und schneidet sich mit einer Scherbe die Pulsadern auf. Sie, die zuerst gelangweilt geraucht und sich bei der Minibar bedient hat, beginnt zu schreien, heult dann hysterisch.


NARCISSUS

Und schon nimmt der Schmerz mir die Kräfte, es bleibt mir nicht lange
Zeit mehr zu leben, ich schwinde dahin in der Blüte der Jahre (lacht).
Schwer ist der Tod nicht mir, der mit ihm verliert seine Schmerzen:
Er, den ich liebe, ich wollte, dass er beständiger wäre. Jetzt, jetzt
sterben vereint in einem Hauche wir beide. (beginnt, das Bewusstsein
zu verlieren
) Ach, wohin entfliehst du? Verweile, verlasse nicht grausam
den, der dich liebt! Es bleibe, was nicht zu berühren mir vergönnt ist,
doch mir zu schauen und Nahrung dem elenden Wahne zu geben.


Echo stürzt weinend auf ihn zu, versucht mit einem Kleiderfetzen, seine Wunde zu verbinden, es ist zu spät. Sie presst ihn an sich.


NARCISSUS

Leb wohl. (wird bewusstlos)


ECHO (weinend)

Leb wohl ... (läuft aus dem Zimmer)





Diana am Pool

Ein Paparazzo, in das Grundstück eines weiblichen Stars eindringend. Hinter einer Hecke harrt er der Entkleidung und dem morgendlichen Bad im Swimming-Pool der IKONE GÖTTIN PRINZESSIN DER HERZEN. Endlich ist es so weit, der Fotograf, am Höhepunkt im Angesicht des Fotos seines Lebens, die Diva, die von einer bereits nackten Dienerin entkleidet wird.


DIANA (zur Dienerin ohne diese anzusehen)

Und? Wie war es?


DIENERIN (Diana und sich selbst für das Bad vorbereitend)

Was meint Ihr Herrin?


DIANA

Du weißt sehr gut, was ich meine. Gestern Abend.


DIENERIN (ängstlich, unsicher)

Herrin ... Ich ... ich weiß wirklich nicht, was ...


DIANA (schreit)

Lüg mich nicht an. (ruhiger) Ich hasse es, angelogen zu werden.
Es beleidigt meine Intelligenz. Also: Mit wem warst du aus? Rede.


DIENERIN

Ein ... ein Bauer aus der Nachbarschaft. Verzeiht mir
Herrin, es wird nie wieder ...  


DIANA

Schon wieder ein Lüge. Beruhige dich, ich werde dir nichts tun.
Du wirst mir nur erzählen, wie es gewesen ist.


DIENERIN

Nun, es war ... es war nett.


DIANA

Nett? Was soll das heißen: nett? Hast du mit ihm ...
Verkehr gehabt?


DIENERIN

Ob ich mit ihm ... aber Herrin, was denkt Ihr ...


DIANA

Ich denke gar nichts. Ich möchte es einfach wissen. Also?


DIENERIN (verschämt)

Nein ... das heißt, nicht ... direkt.


DIANA

Nicht direkt? Jetzt wird es interessant. Also, was habt ihr dann
angestellt? (dreht sich zu ihr um, bemerkt, dass es der Dienerin
unsäglich peinlich ist
) Schon gut. Vergiss es einfach. (Schweigen)
Habe ich dir schon einmal erzählt, weshalb es mich vor ihnen ekelt?


DIENERIN

Ich glaube nicht, Herrin.


DIANA

Ich war praktisch noch ein Kind, da hat man mir eines Tages die Kyklopen
gezeigt. Kräftige, riesige, halbnackte Männer mit nur einem Auge. Es war
absolut faszinierend. Und die besten Schmiede unserer Zeit. Ich hätte ihnen
stundenlang bei der Arbeit zusehen können und lief unter ihnen herum, wie
berauscht vom Geruch des Männerschweißes, von Eisen und Glut. Da nahm
mich einer, Brontes nannten sie ihn, auf den Schoß. Zuerst lachten wir beide,
ich war so naiv. Noch ehe ich wusste, wie mir geschah, schob er seine Hand
zwischen meine Schenkel. Er starrte mich unverhohlen mit seinem einzigen
Auge an, sein Blick durchbohrte mich, spießte mich auf. Der Schock raubte
mir den Atem. Beim Versuch mich loszureißen, riss ich ihm ein Büschel
Haare aus der Brust. Er schrie auf und warf mich ab. Die anderen lachten bloß.
Seither sehe ich in jedem von ihnen nur mehr das Ungeheuer. Sehe in ihren
Augen nur mehr dieses Auge, diesen Blick.


DIENERIN

Das ... das tut mir Leid, Herrin.


DIANA (kalt)

Es braucht dir nicht Leid zu tun. Mir tut es auch nicht Leid.
(Pause) Letzte Nacht habe ich geträumt. Ich lag mit drei oder vier
von ihnen im Sand unter Palmen, ich glaube es waren Dattelpalmen.
Unsere Körper klebten vor Sand, Schweiß und unseren Säften.
Ich war völlig von Sinnen. Ständig wechselten wir die Position,
aber stets waren sie in mir. Ich spürte meinen Körper nicht mehr,
nur mehr eine bodenlose, rasende Lust. Die Lust mit der man
Menschen massakriert, oder ihnen beim Krepieren zusieht. Beim
Aufwachen war mein ganzes Bett nass und ich habe mich übergeben.
(Sie beginnt zu weinen).


DIENERIN

Herrin, soll ich Euch ...


DIANA (reißt sich zusammen)

Es geht schon wieder. Lass uns nun baden.


PAPARAZZO

Ein Blick für die Götter. (beginnt zu fotografieren, zieht dann hektisch
ein Diktaphon heraus und spricht leise hinein
) „Das Badetuch hält
bereit ihr eine Dienerin, es fängt mit dem Arm eine andere das fallende
Kleid auf. Zweie lösen die Riemen am Fuß, nackt wie Gott sie schuf alle.“
(fotografiert wieder, spricht erneut ins Diktaphon) „Denn das Kind des
Ismenus, Crocale, schlägt ihr gewandter als jene, zum Knoten das frei den
Hals umspielende Haar – sie selbst trug offen das ihre ...“


Da bemerkt Diana, als FREIWILD geübten Blickes und Gehörs, eine Bewegung, ein Geräusch hinter den Hecken, den Reporter, hört seinen umfallenden Kamerakoffer oder sieht sein Teleobjektiv. Die Schrecksekunde ihrer Dienerin nach dem Schrei ihrer Herrin reicht dieser: Sie hetzt die Hunde los.


DIANA

Schwarzfuß! Spürauf! Allfraß! Bergfreund! Luchs! Hirschtod! Fasst!
Packt das Wild! Es gehört euch!


Lauter werdendes Hundebellen. Die Dienerin beginnt zu heulen, so hat sie sich das morgendliche Bad mit ihrer Chefin nicht vorstellen können. Der Mann, der soeben die teuersten Schnappschüsse seiner Karriere geschossen hat, steht noch im Banne derselben HABE ICH WIRKLICH GESEHEN, WAS ICH FOTOGRAFIERT HABE ODER UMGEKEHRT. Bevor das Hochgefühl in Todesangst umschlagen kann, sind die Hunde bei ihm und beenden sein Karriere auf ihrem Höhepunkt, er wird seine Berühmtheit nicht mehr erleben, von den Hunden zerrissen.


PAPARAZZO

Weh mir!


DIANA (hat sich wieder bedeckt, und ist, wissend, dass dessen Fotos das Licht der

Öffentlichkeit nicht erblicken werden, mit triumphierenden Schritten
auf den Paparazzo zugegangen
) Jetzt erzähle, du habest mich ohne
Gewande gesehen, wenn  du noch zu erzählen vermagst. (Wendet sich
von ihm ab und schaltet mit einer Fernbedienung ein TV-Gerät ein
)


SPRECHERIN IM TV

... Zwiespalt herrscht im Gerede, den einen dünkte die Göttin heftiger
als billig, die andern, sie loben sie würdig des strengen Jungfrauentums,
und Gründe weiß der und jener zu finden ...


Diana schaltet das Gerät wieder aus, ab.




Changes Iphis

Iphis und ihre Geliebte Ianthe. Sie küssen sich. Ianthe bedrängt Iphis, will sie ausziehen, Iphis entwendet sich ihren Umarmungen.


IANTHE

Was hast du?


IPHIS  

Es ist nichts.


IANTHE

Du weinst ja. (wischt ihr eine Träne aus dem Gesicht)


IPHIS  

Mir ist nur was ins Auge gekommen.


IANTHE

Freust du dich denn nicht? Bald ist es so weit!


IPHIS  

Ich ... ich muss jetzt gehen. (küsst Ianthe flüchtig auf die Wange, ab)


IPHIS (zum Publikum)

Ich, wer ist das? Hier steht Iphis, die trägt eines Knaben Tracht.
Ihr Gesicht, mag’s  verliehen einem Knaben oder einem Mädchen,
ein jedes von beiden wird schön genannt sein. Als folgte das dritte
ihrem zehnten Jahr, verlobte der Vater die blonde Ianthe ihr, die unter
den Mädchen von Phaestus um ihrer Schönheit willen am höchsten
gerühmt, eine Tochter des Creters Telestes. Gleich ihr Alter, gleich
ihre Schönheit; es lehrten dieselben Lehrer dem Alter gemäß die ersten
Künste die zwei. Da rührte die Liebe der beiden kindliche Brust und
traf sie mit gleicher Gewalt; doch war ungleich ihre Zuversicht.
Sehnlich erwartet Ianthe die vereinbarte Hochzeit, hofft, er werde
die Ihre, von der sie glaubt, dass ein Mann sie sei. Iphis liebt, was
sie nie zu genießen darf hoffen, und eben dies erhöht ihre Glut;
ein Mädchen brennt für ein Mädchen.


Ich, das ist ein anderer. Hier steht Iphis, die trägt eines Knaben Tracht,
weil sich ersehnt hat der Vater einen Sohn, der Fußball spielen wird
und wird können, wie er es vermochte nicht. Als folgte das dritte
ihrem zehnten Jahr rannte hinterher dem runden Leder sie, schneller
als die Gleichaltrigen und führte, traf geschickter es als Freund und
Feind, eigene und gegnerische Mannschaft vom anderen Geschlecht
und Gegner so ihr alle wie sie sich selbst. Gleich ihr Alter, gleich ihre
Kraft; es lehrten dieselben Sendungen, Plakate, Zeitschriften dem Alter
gemäß die letzten Flausen das Mädchen wie die Jungen. Und verhasst
waren ihr fortan Kleider, Haartracht und Make-Up ihrer Genossinnen
und verhasst ihr, eine und doch keine von ihnen, diese.


(Pause, zu sich) Wie wird es enden mit mir? Die eine Liebe mich quält,
die noch keiner gekannt, eine neue unerhörte. Die Götter, sie hätten,
wenn sie mich wollten schonen, mich sollen verderben; und wollten sie
nicht mich verderben, Leiden mir schicken, wie sie noch in dem Brauch
der Natur sind! Keine (verächtlich) Kuh macht die andere glühn, keine
Stute die andre, Schafe sie glühn für den Widder. Unter allen den Tieren
wird von Begier nach dem Weibchen niemals ein Weibchen ergriffen.
Wäre ich doch nicht da! Die Tochter des Phoebus, sie liebte den Stier –
immerhin als Weib ein männlich Geschöpf. Hier mag alles Geschick
des Erdrunds sich sammeln, es mag selbst Daedalus fliegen zurück mit
den wachsgehefteten Schwingen. – Was kann er tun? Wohl mich,
das Mädchen mit all seinen klugen Künsten schaffen zum Knaben?
Iphis, was festigst du nicht deinen Sinn und raffst dich zusammen?  
Löschest die Flammen nicht des ratlos törichten Feuers? Wenn du
dich selbst nicht betrügst, so sieh, als was du geboren, strebe nach dem,
was erlaubt, und liebe, was du als Weib darfst!


Ligdus und die sichtbar schwangere Telethusa.

LIGDUS

Na, wie geht’s denn meinem dicken Häschen heute?


TELETHUSA

Du sollst mich nicht Häschen nennen. Und schon gar nicht dick.


LIGDUS

Also gut: Wie geht’s meiner Telethusa heute?


TELETHUSA

Ich bin müde. Es wächst so schnell.


LIGDUS

„Es“? Du meinst wohl „er“?


TELETHUSA

Von mir aus. Kann sein: er.


LIGDUS

Was heißt kann sein? Es ist doch ein Junge, oder?


TELETHUSA

Ja ... vielleicht. So genau kann man das eben nicht wissen.


LIGDUS

Aber ... aber wir waren uns doch einig, dass es ein Junge wird,
ein Junge werden muss, dass wir unbedingt einen Jungen wollen.


TELETHUSA

Das du unbedingt einen Jungen willst.


LIGDUS

Dass ich ... also das ist doch ... heißt das etwa, dass du keinen
willst?


TELETHUSA

Nein, das heißt es natürlich nicht ...


LIGDUS

Na, sag’s nur! Sag’s nur frei heraus: Du willst gar keinen Jungen,
jetzt auf einmal willst du keinen Buben mehr! Wahrscheinlich
wolltest du in Wahrheit nie einen.


TELETHUSA

Du bist wirklich ... Du müsstest dir einmal selber zuhören.


LIGDUS

Aber eines kann ich dir sagen: Was ich wünsche, ist zwei:
Dass mit kleinstem Weh du entbindest und einen Knaben gebierst.
Das Los der andern ist schwerer und das Geschick versagt ihm
die Kraft. Darum – nicht berufen! – sollte dein Schoß zur Welt
ein Mädchen bringen, so wird es, ungern befehl’ ich’s, verzeih
o fromme Rücksicht! – getötet!


Ligdus wutentbrannt ab, Telethusa bricht in Tränen aus. Sie geht zu einem Altar im Hintergrund und kniet nieder.


TELETHUSA

Die den Mareasee du bewohnst, Paraetonium, Pharus, die du den
Nilstrom liebst, der in sieben Arme sich aufteilt, Isis, ich bitte dich,
hilf, gib Heilung unseren Ängsten! Dich, o Göttin, hab’ ich einst
geschaut, deine Zeichen hier, alles hab’ ich erkannt, auch den
ehernen Klang der begleitenden Sistren und, was du mir befohlen,
in treuem Gemüte bewahrt: Dass diese das Licht noch schaut, dass
mich die Strafe nicht treffe, dein Rat ist’s und von dir ein Geschenk.
Erbarme dich zweier Frauen und steh uns bei!


Metamorphose Iphis: Statur und Gang werden männlich, sie bemerkt das neue Geschlecht zwischen ihren Beinen. Sie erwacht wie aus einem Traum und beginnt, einen Brief zu schreiben, liest ihn sich leise und die letzten Worte laut vor.


IPHIS  

... Was er als Mädchen gelobt, hat Iphis erfüllt als Knabe.
(Sie unterschreibt, steckt den Brief in ein Kuvert, adressiert und
verklebt dieses und wirft es in einem Postkasten.
)





Das Juppiter Projekt 3


JUPPITER

Schon wollte, Kameradinnen und Kameraden, die Erde ich ganz
übersäen mit Blitzen, da kam mir aber die Furcht, es möge der
heilige Äther von so viel geraten in Brand und die Achse, die lange,
entflammen. Auch erwog ich, es solle nach Schicksalbeschluss eine
Zeit einst kommen, da Erde und Meer, da die Burg des Himmels,
entzündet, brenne und wanke gefährdet des Weltbaus kunstvoll Gefüge,
und legte das Geschoß, das die Hand der Cyclopen geschmiedet, beiseite.
Denn anständig geblieben zu sein, hat uns hart gemacht und ist ein
niemals zu nennendes Ruhmesblatt. Gegensätzliche Strafe beschloss
ich: zu tilgen der Menschen Stamm unter Fluten und Güsse vom ganzen
Himmel zu fällen. Also schloss ich sogleich in des Aeolus Höhle den
Nordwind, all die anderen auch, die Wolken im Aufziehn vertreiben.
Südwind sandte ich aus. Mit den nassen Fittichen flog der, pechschwarz
dunkel deckt sein schrecklich Gesicht; aus dem Barte strömt es von Regen
schwer, aus den grauen Haaren es flutet; Nebel umlagern die Stirn, es trieft
vom Gewand und den Federn. Als das Gewölk, das weithin hangt, mit der
Hand ich gepresst, das birst es und bricht es herab in dichten Güssen vom
Himmel. Iris, die Botin der Juno, gehüllt in mancherlei Farben, zieht die
Wasser empor und bringt sie den Wolken zur Nahrung. Nieder schwemmt
es die Saaten, da liegt, beweint des Bebauers Hoffnung: dahin des langen
Jahres vergebliche Mühe.





The Funeral


Musik Arvo Pärt, CANTUS IN MEMORY OF BENJAMIN BRITTEN. Ein alter Mann, Philemon, beim Begräbnis seiner Frau. Er weint, wird von einer Angehörigen gestützt. Projektion des Leichenzuges, vielleicht aus den Filmen DER PATE, THE FUNERAL, WER MICH LIEBT, NIMMT DEN ZUG. Erstarrt in der Angst vor dem Gang zum offenen Grab seiner Gattin Freundin Geliebten Tochter Mutter, die Ehe war kinder- und freundeslos, sieht er mit verschwommenen Blick den Pfarrer reden, ohne ihn zu hören, auch das Publikum sieht diesen nur die Lippen bewegen. Da entwindet sich in Zeitlupe der Mann aus den Armen seiner Verwandten und geht auf das Grab zu, in der Mitte seines Weges hält er inne. TRAUM VOR DEM TODE oder ERINNERUNG AN EINE HOFFNUNG aus der Menge oder dem Publikum löst sich ein Gott, Juppiter, und tritt auf ihn zu. Als er bei dem Alten angelangt ist, hebt er eine Hand Richtung Grab, worauf sich gleichsam in Zeitlupe die Tote aus dem Sarg erhebt und zu ihrem Mann schreitet. Nun spricht der Gott zu den beiden, im Hintergrund, wie durch Wind oder einen Schleier, das Wispern der anderen Begräbnisteilnehmer, die bloß den Alten zu sehen scheinen. Das Gespräch kommt evtl. vom Band.


JUPPITER

Saget, redlicher Greis, und du des redlichen Gatten würdiges Weib,
was Ihr wünscht.


PHILEMON (mit kraftloser aber bestimmter Stimme)

Priester zu sein, Euer heiliges Haus als Hüter zu pflegen, ist unser
Wunsch, und wie wir durchlebt Jahre in Eintracht, möge die selbe
Stund’ uns entraffen, dass ich nie die Urne meiner Gemahlin muss
sehn, noch sie mich im Hügel soll bergen.


Und der Gott legt seine Hände auf die beiden Alten, worauf die Frau zurück geht in ihr Grab und er selbst sich wieder in die Reihe der Begräbnisteilnehmer begibt. Da kehren Zeit Raum Klang zurück, der alte Mann wendet sich wieder Richtung Grab, greift sich plötzlich an die Brust, verkrampft sich, fällt zu Boden und stirbt. Nach einem kurzen Schreckensmoment kommt wieder Bewegung in die Begräbnisgäste.





Dr. Phaeton

Eine Schaltzentrale in einem Kraftwerk. Dipl. Ing. Phoebus, Auftritt Dr. Phaeton, beide in weißen Mänteln.

PHOEBUS

Was ist der Grund deiner Fahrt? Was suchst in der Burg hier,
Phaeton, du mein Sohn, vom Vater nicht zu verleugnen?


PHAETON

O Licht, dem unendlichen Weltall gemeinsam, Phoebus, Vater,
vergönnst du mir dieses Namens Gebrauch und hehlt unter
trügendem Bild nicht Clymene heimliche Schuld, dann gib,
mein Erzeuger, ein Pfand, das beglaubigt, dass ich dein echter
Nachkomme bin, und nimm aus diesem Herzen den Zweifel!


PHOEBUS (nach einer Pause)

So komm doch näher. Du verdienst es nicht, dass ich weigerte,
dich als den Meinen anzuerkennen, und wahr gab Clymene kund
deinen Ursprung. Dass du nicht zweifelst, verlang, es von mir
zu erhalten, als Gabe, was du nur willst. Es sei des Versprechens
Zeuge der dunkle Strom (weist auf die Stromleitungen im Raum),
der fremd meinem Aug, bei dem die Götter beschwören.


PHAETON

So lass mich dein (ironisch) flügelfüßig Gespann hier von nun
an lenken.


PHOEBUS (mehrmals den Kopf schüttelnd)

Zur Torheit geworden ist mein Wort durch das deine. O dürft’ ich, was ich
versprochen, nicht dir erfüllen, mein Sohn, ich gesteh’, dies eine versagt ich.
Abraten darf ich. Nicht ohne Gefahr ist dies dein Begehren. Großes verlangst,
mein Phaeton, du, ein Geschenk, wie es deinen Kräften hier nicht entspricht
und den Jahren nicht eines Knaben. Sterblich dein Los. Unsterblichkeit heischt,
was hier du dir forderst. Ja, noch mehr, als selbst einem Gott zu erlangen
vergönnt ist, wünscht unwissend du dir. Steil ist der Weg zunächst, er führt
in des Himmels Mitte am höchsten. Oft wird mir selbst es zum Graun, von
hier auf das Meer und die Erde niederzusehn, und es bebt in Bangen das Herz
in der Brust mir. Es dreht sich der Himmel in endlos rasendem Wirbel, führt
die Gestirne herauf und hinunter in schwindelnder Eile. Ich aber biete die Stirn;
der allbezwingende Ansturm zwingt mich nicht, ich fahre entgegen den reißenden
Kreislauf. Wirst du den rollenden Polen – nimm an, ich gab dir den Wagen –
können begegnen?  Hüte dich, Sohn, dass ich nicht einer tödlichen Gabe Geber
dir werde, berichtge, solang es noch Zeit, deine Wünsche. Sicheres Pfand verlangst
du, zu glauben, dass du aus meinem Blute entstammst – meine Furcht, sie gibt ein
sicheres Pfand dir, und mit Vaterangst beweise ich, dass ich dein Vater. Sieh mein
Gesicht! O könnte dein Blick sich senken ins Innre tief meiner Brust und dort
die Vatersorgen erfassen! Lass mich enden und sieh umher, was die Welt dir,
die reiche, biete: Von all den Schätzen des Himmels, der Erde, des Meeres fordere,
was es auch sei, du wirst kein Verweigern erfahren. Nur von dem Einen, ich bitte
dich lass, das Strafe mit wahrem Namen, nicht Ehre – ja Strafe, mein Sohn, nicht
Gabe verlangst du. Doch zweifle nur nicht, du erhältst – ich habe bei Styx dir
geschworen – was du immer dir wünscht.


TV-Studio, eine Moderatorin und ein Experte.

MODERATORIN

... Doch Phaeton, habe ich Sie richtig verstanden, wehrt sich der Worte,
bleibt auf dem Vorsatz bestehn und brennt vor Begier nach dem (liest) Wagen?


EXPERTE

Das ist richtig. Also führte der Vater – er durfte nun weiter nicht zögern –
hin zu der Gabe Vulcans den Jüngling. Während Phaeton noch, der hochgemute,
das Werk voll Staunen mustert, erschließt im rötlichen Osten Aurora das
purpurne Tor ihrer rosenerfüllten Halle. Die Sterne entfliehn, es schließt ihren
Heerzug der lichte Lucifer und verlässt die Wache am Himmel als letzter.
Titan sieht ihn suchen die Erde, sich röten das Weltall, sieht, wie zu schwinden
scheinen die Hörner des bleichenden Mondes, und er befiehlt den Horen, den
flinken, die Rosse zu schirren. Da bestrich der Vater des Sohnes Gesicht mit
der heilgen Salbe und machte es fest, zu ertragen die sehrenden Flammen,
legt ihm die Strahlen ums Haar und spricht, aus bekümmerter, banger Trauer
ahnender Brust die Seufzer holend, noch einmal:


Kraftwerkszentrale, Dipl. Ing. Phoebus demonstriert Dr. Phaeton Verschiedenes an den Instrumenten, Bildschirmen und Computern.


PHOEBUS

Wähle nicht den Weg über all die fünf Kreise hinweg, sie schräg überschneidend
verläuft in weitem Bogen die Straße, hält sich mit dreier Zonen Gebieten begnügt
und vermeidet so den südlichen Pol. Dies deine Bahn. Du wirst die Radspur
deutlich erkennen. Und, dass Himmel und Erde die gleiche Wärme empfangen,
drücke die Fahrt nicht hinab und hebe sie nicht in den höchsten Äther; fährst du
zu hoch, verbrennst du die Häuser im Himmel, fährst du zu tief, die Erde. Am
sichersten hältst du die Mitte. Dass dich die Räder zu weit nicht nach rechts zur
gewundenen Schlange tragen oder zu weit nach links zu dem tiefen Altare.
Während ich rede, hat die tauende Nacht an des Westens Ufern die Säulen erreicht,
zu säumen steht uns nicht frei. Aurora erglüht und hat das Dunkel vertrieben.
Doch lässt sich dein Sinn in der Brust noch wenden, so mach dir zu Nutz meinen
Rat und nicht meinen Wagen, da du’s noch kannst, solange du stehst auf sicherem
Boden, noch das Gefährt nicht beschwerst.


TV-Studio, Moderatorin und Experte.

MODERATORIN

... Phaeton aber, wie wir nun wissen, besteigt den Wagen; er steht auf ihm,
ist froh, mit der Hand die gereichten Zügel zu fassen, und dankt von dort
dem wehrenden Vater.


EXPERTE

Genau. Schon erfüllen indes mit Feuer sprühendem Wiehern Feuer,
Funke und Glut und Lohe als viertes der Flügelrosse die Luft und poltern
mit heftigem Huf an die Schranken. Doch das Gewicht war leicht, dass die
Rosse der Sonne es kaum zu spüren vermochten, es fehlte dem Joch die
übliche Schwere. Und wie das bauchige Schiff, das ohne die rechte Belastung,
haltlos, zu leicht für die Fahrt, hintreibt und schwankt auf dem Meere, so
sprang hoch in die Luft bei jedem Stoß, der gewohnten Bürde entbehrend,
wie wenn er leer gewesen, der Wagen. Und sie merken es, stürzen dahin,
verlassen des Vierspanns alte Geleise und rennen nicht mehr in der früheren
Ordnung. Er aber zagt, weiß den Weg nicht, und, wenn er ihn wüsste, nicht,
wie er sie lenke. Da empfanden die Ochsen des Nordens erstmals der Strahlen
Hitze und suchten umsonst im verbotenen Nass sich zu kühlen. Auch die
Schlange ward heiß, die zunächst dem eisigen Pole, träg von der Kälte bisher,
noch keinem zum Schrecknis geworden; und sie gewann in der Glut ein neues
grimmiges Wesen.


MODERATORIN

Phaeton aber, als der Unselige blickt von des Äthers Höhn auf die Erde,
die tief, so tief da unten gelegen ...


EXPERTE  

... fasst ihn das Graun, es zittern in plötzlicher Angst ihm die Knie und
schwarz vor die Augen tritt durch so viel Licht ihm das Dunkel. Was soll
er tun? Schon viel des Himmels liegt ihm im Rücken, vor seinen Augen
doch mehr. Er misst im Geiste nach beiden Enden, blickt bald voraus nach
dem Niedergang, den zu erreichen, nicht ihm bestimmt, bald blickt er wieder
zurück nach dem Aufgang, weiß sich verwirrt, keinen Rat; zwar hält er die
Zügel noch fest, doch kann er die Rosse nicht halten. Da lässt er in sinnloser
Angst und kaltem Grausen die Zügel. Und so wie sie am Grat ihres Rückens
gleiten sie fühlen, brechen die Renner aus, durchlaufen, da nichts mehr sie
hindert, fremde Bezirke im Luftbereich; dahin wo ihr Drang sie getrieben,
rasen sie ohne Gesetz und geraten so in den Raum, der benachbart der Erde.


MODERATORIN

Wie hat man sich das vorzustellen?


EXPERTE

Nun, rings entzündet, rauchen die Wolken. Wo sie am höchsten sich hebt,
erfassen die Flammen die Erde, Risse treibt sie und Spalten und dorrt,
ihrer Säfte verlustig. Und es vergilbt das Gras, versengt wird der Baum mit
den Blättern, Nahrung bietet die trockene Saat ihrem eigenen Schaden.
Und es verwandelt die Brunst des Feuers in Asche die ganzen Länder
mitsamt ihrem Volk. Und es schwindet das Meer. Wo eben Fluten gewesen,
Felder trockenen Sands, und Berge, die bisher die Tiefe deckte, sie tauchen
empor, die zerstreuten Inseln zu mehren.


MODERATORIN

Wie reagierte Dr. Phaeton in dieser Situation?


EXPERTE

Phaeton aber sieht da nun entzündet an allen Enden den Erdkreis, er hält
die gewaltige Hitze nicht aus, und wie aus dem tiefen Schacht einer Esse
schöpft er im Atem feurige Luft und fühlt den Wagen unter sich glühen.
Schon vermag er der Achse emporgeschleuderten Staub nicht mehr zu
ertragen; umwölkt von heißem Rauche, von schwarzen Schwaden umwoben,
weiß er nicht, wohin es ihn führt und nicht, wo er ist.


MODERATORIN

Es heißt, er habe Selbstmord begangen.


EXPERTE

Das ist durchaus möglich, aber bloß eine Vermutung. Phaeton jedenfalls
wirbelt, verheert seine Haare von roten Flammen, jäh hinab und stürzt durch
die Lüfte in lang sich ziehender Bahn. Auf nahm der große Eridanus ihn an
dem anderen End des Erdrunds, das muss man sich einmal vorstellen, der
Heimat fern, spült er ab sein rauchendes Antlitz. Nymphen übergaben dem
Hügel den Leib, der von Blitzes dreifacher Flamme noch schwelt und
bezeichnen den Stein mit dem Spruche: „Phaeton liegt hier, der des Vaters
Wagen bestiegen; hielt er ihn nicht, ist er doch bei großem Wagnis gefallen.“


MODERATORIN

Ein schönes Schlusswort. Ich danke Ihnen für’s Kommen.


EXPERTE

Gern geschehen.





Das Juppiter Projekt 4

Fernsehen, Bilder von Überschwemmungen. Journalistinnen mit Mikrophonen auf der Bühne.

JOURNALISTIN 1

Und sein Himmel genügt dem Zorne Juppiters nicht, sein Bruder im Meere
schickt ihm das Heer seiner Wogen zu Hilfe. Dieser ruft seine Flüsse
zusammen. Sobald ihres Fürsten Haus sie betreten, spricht er zu ihnen:
„Kein langes Ermahnen braucht es jetzt hier. Ergießt mit aller Macht eure
Kräfte! Das nur ist Not. Eure Stuben sperrt auf, spült hinweg eure Dämme,
und euren Fluten lasst die Zügel allesamt schießen!“ So befiehlt er. Sie
gehen und lösen den Mund ihrer Quellen, wälzen zum Meere sich hin,
entzügelten Laufes.


JOURNALISTIN 2

Er selber aber, er stößt seinen Dreizack hinein in die Erde, und die erbebt
und öffnet, erschüttert, den Weg verborgenen Wassern. Ausgebrochen
fluten die Flüsse dahin über offne Felder, reißen die Saaten, die Bäume,
das Vieh und die Menschen, Dächer und Kammern mitsamt den Hausaltären
von hinnen. Blieb ein Gebäude und konnte dem mächtigen Drange des
Unheils unzerstört widerstehn, so deckten höher doch steigend Wellen
den First; unter Strudeln verborgen standen die Türme.


JOURNALISTIN 1

Und schon ließ sich See und Land nicht mehr unterscheiden.
Das war alles Meer; und dem Meer fehlten die Ufer. Der ersteigt
einen Hügel, ein anderer sitzt in dem hohlen Nachen und führt das
Ruder jetzt da, wo er neulich gepflügt hat. Jener schifft über Saaten
dahin, übers Dach des versunknen Hofes, und dieser fängt einen Fisch
im Wipfel der Ulme. Anker geworfen wird vielleicht auf grünender
Wiese, oder es streift der geschwungene Kiel die Höhe des Weinbergs,
und, wo eben noch Gräser genascht die zierlichen Geißen, dorthin betten
jetzt ihre plumpen Leiber die Robben.


JOURNALISTIN 2

Unter dem Wasser bestaunen die Töchter des Nereus die Haine, Städte
und Häuser; es tummeln im Wald sich Delphine, sie stoßen gegen das
hohe Gezweig und erschüttern mit Schlägen die Stämme. Schwimmt
zwischen Schafen der Wolf, entführt die Woge die fahlen Löwen, die
Woge die Tiger; nichts frommt dem Eber der Hauer Blitzkraft, nichts
dem treibenden Hirsch die Schnelle der Schenkel. Und, der schweifend
lange nach Erde gesucht, die zum Sitz ihm diene, der Vogel sinkt ins
Meer mit ermatteten Schwingen. Willkür unermesslicher See hat die
Hügel verschüttet, und es umbrandet das fremde Gewog die Gipfel der
Berge. Wasser verschlang die meisten, und wen das Wasser verschonte,
den überwand die Not des lang andauernden Hungerns.


Ende.

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