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William Shakespeare: Sonett 92 - 98

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XIV. 92–98: THY FAULT, THY GRACE –– but you away

Aus dem Selbstzweifel wird der Zweifel am Geliebten, wenn er „fehlt“, aber sobald er ihm fehlt, ist die Verzweiflung wieder da. 92 gesteht, wie wenig er von ihm weiß; 93 spricht vom getäuschten Gatten; 94 davon, nur der Steward der Lords zu sein, die ihr eigenes Antlitz zurecht besäßen.
Die Schwerlinie ist Sonett 95, das so weit geht, den schlechten Leumund des Freundes zuzugeben, und doch nicht zögert zu behaupten, allein die Nennung seines Namens sei ein Segen.

Und was den Vorwurf angeht, so beginnt der Dichter ihn in Sonett 96 selbst zu entkräften, in dem er Jugend und Leichtsinn (gentle sport) als Entschuldigung ins Feld führt, verbunden mit dem Bekenntnis, daß er den guten Ruf des Freundes zu seiner Sache mache. In 97 und 98, der Schlußvolte dieses Gedankengangs, sagt der Dichter, daß er sich, sobald er dem Freunde fern sei, innerlich und äußerlich, nur noch mit Schatten spielen sehe.
[Bemerkenswert, wie am Ende dieses Gedankengangs wieder das Personal You (ungeschützte Innigkeit) an die Stelle des Invocatory Thou tritt.]


92.


BVt doe thy worst to steale thy selfe away,
For tearme of life thou art assured mine,
And life no longer then thy loue will stay,
For it depends vpon that loue of thine.
Then need I not to feare the worst of wrongs,
When in the least of them my life hath end,
I see, a better state to me belongs
Then that, which on thy humor doth depend.
Thou canst not vex me with inconstant minde,
Since that my life on thy reuolt doth lie,
Oh what a happy title do I finde,
Happy to haue thy loue, happy to die!

But whats so blessed faire that feares no blot,
Thou maist be falce, and yet I know it not.

Doch stiehl dich nur davon, es arg zu treiben,
der du mir zugesichert bist auf Lebenszeit;
mein Leben wird nicht länger Leben bleiben,
als deine Liebe währt –– Abhängigkeit?
Was fürchte ich das Ärgste? Wie es steht,
wird im geringsten Weh mein Leben enden,
wobei ich sehe, daß mirs besser geht,
als hinge ich an deinem Drehn und Wenden.
Nein, du bedrückst mich nicht mit Unbestand,
denn darauf, daß du schwankst, beruht mein Leben.
Welch Glück ich doch in deiner Liebe fand ––
Glück, sie zu haben, Glück, mich aufzugeben!

Doch wo wär Segen, dems an nichts gebricht?
Falsch magst du sein –– indes –– ich weiß es nicht.



93.

SO shall I liue, supposing thou art true,
Like a deceiued husband, so loues face,
May still seeme loue to me, though alter’d new:
Thy lookes with me, thy heart in other place.
For their can liue no hatred in thine eye,
Therefore in that I cannot know thy change,
In manies lookes, the falce hearts history
Is writ in moods and frounes and wrinckles strange.
But heauen in thy creation did decree,
That in thy face sweet loue should euer dwell,
What ere thy thoughts, or thy hearts workings be,
Thy lookes should nothing thence, but sweetnesse tell.

How like Eaues apple doth thy beauty grow,
If thy sweet vertue answere not thy show.

So lebe ich im Wahn, du wärest treu,
wie ein getäuschter Gatte; das Gesicht
der Liebe scheint mir Liebe –– was ist neu?
Dein Blick scheint doch bei mir –– dein Herz ists nicht?
Kann Haß in deinen Augen leben? Nein.
So kann ich nichts von deinem Wandel wissen.
Ein falsches Herz, es zeichnete sich ein,
manch ein Gesicht säh fremd aus und zerrissen,
doch hat der Himmel, der dich schuf, verfügt:
in deinem Antlitz wohne Liebe –– immer,
was du auch denkst, und ob dein Herz betrügt,
dein Blick verrate nichts, nur süßen Schimmer!

Wie gleichst du Evas Apfel doch dereinst,
wenn du so süß nicht bist, wie du erscheinst!


94.

THey that haue powre to hurt, and will doe none,
That doe not do the thing, they most do showe,
Who mouing others, are themselues as stone,
Vnmooued, could, and to temptation slow:
They rightly do inherrit heauens graces,
And husband natures ritches from expence,
They are the Lords and owners of their faces,
Others, but stewards of their excellence:
The sommers flowre is to the sommer sweet,
Though to it selfe, it onely liue and die,
But if that flowre with base infection meete,
The basest weed out-braues his dignity:

For sweetest things turne sowrest by their deedes,
Lillies that fester, smell far worse then weeds.

Die, die verletzen können unds nicht tun,
die Dinge nicht tun, die zu tun sie scheinen,
die, andere bewegend, selbst immun
und unbeweglich sind gleich kalten Steinen,
–– zurecht sind sie nicht nur des Himmels Erben,
führn auch das Haus im Reiche der Natur;
selbst ihr Gesicht, sie müssens nicht erwerben,
sie sind die Herren –– andre dienen nur.
Die Sommerblüte ist dem Sommer süß,
sich selbst ist sie nur Blühen und Verblassen;
doch wenn sie infiziert ist überdies,
muß sie dem Gras am Weg den Vorrang lassen.

Das Süßeste wird bitter durch die Tat,
verfaulen Lilien, riecht es rabiat.


95.

HOw sweet and louely dost thou make the shame,
Which like a canker in the fragrant Rose,
Doth spot the beautie of thy budding name?
Oh in what sweets doest thou thy sinnes inclose!
That tongue that tells the story of thy daies,
(Making lasciuious comments on thy sport)
Cannot dispraise, but in a kinde of praise,
Naming thy name, blesses an ill report.
Oh what a mansion haue those vices got,
Which for their habitation chose out thee,
Where beauties vaile doth couer euery blot,
And all things turnes to faire, that eies can see!

Take heed (deare heart) of this large priuiledge,
The hardest knife ill vs'd doth loose his edge.

Wie machst du noch die Schande süß und lieb,
die gleich dem Wurm, den wir in Rosen finden,
den Namen dir benagt, den schönen Trieb!
In welche Süße birgst du deine Sünden!
Die Zunge, die erzählt, wie du den Tag
vertändelst, und genüßlich kommentiert,
kann dich nicht tadeln –– nennt dich und vermag
es nicht –– als wenn dein Name dich salviert:
ein Herrensitz, in dem die Laster hausen,
die dich zu ihrer Wohnung ausersehn,
die Schönheit deckt die Flecken ab, die Flausen,
und alles, was zu sehen ist, ist schön!

Gib acht, mein Herz, dein Privileg wiegt schwer;
das schärfste Schwert, mißbraucht, ist keines mehr.


96.

SOme say thy fault is youth, some wantonesse,
Some say thy grace is youth and gentle sport,
Both grace and faults are lou’d of more and lesse:
Thou makst faults graces, that to thee resort:
As on the finger of a throned Queene,
The basest Iewell wil be well esteem’d:
So are those errors that in thee are seene,
To truths translated, and for true things deem’d.
How many Lambs might the sterne Wolfe betray,
If like a Lambe he could his lookes translate.
How many gazers mightst thou lead away,
If thou wouldst vse the strength of all thy state?

But doe not so, I loue thee in such sort,
As thou being mine, mine is thy good report.

Was ist dein Fehler? –– Jugend, Übermut?
Was deine Grazie? –– Jugend, Tändelei?
Grazie und Fehler, sagt man, stehn dir gut;
du machst aus Fehlern dein Was–ist–dabei.
So wie der Fingerring der Königin
bestaunt wird, selbst wenn falsche Steine gleißen,
wird deine Unart angestaunt und in
Benehmen transformiert und gutgeheißen.
Wie viele Lämmer möcht der Wolf betrügen,
könnt wie ein Lamm er blicken –– transformiert;
wie viele folgten dir, und mit Vergnügen,
gebrauchtest du den Status, der dich ziert!

Doch wie ich liebe, sag ich: tu es nicht!
Bist mein –– und mein ist, wie man von dir spricht.


97.

HOw like a Winter hath my absence beene
From thee, the pleasure of the fleeting yeare?
What freezings haue I felt, what darke daies seene?
What old Decembers barenesse euery where?
And yet this time remou’d was sommers time,
The teeming Autumne big with ritch increase,
Bearing the wanton burthen of the prime,
Like widdowed wombes after their Lords decease:
Yet this aboundant issue seem’d to me,
But hope of Orphans, and vn-fathered fruite,
For Sommer and his pleasures waite on thee,
And thou away, the very birds are mute.

Or if they sing, tis with so dull a cheere,
That leaues looke pale, dreading the Winters neere.

Mir wars wie Winter, ich war fern von dir,
der du die Freude bist im Fluß des Jahres!
Wie kalt, wie dunkel warn die Tage mir ––
die Dürre überall, Dezember war es!
Ich war ver–rückt, es war ja Sommers Zeit;
der Herbst war trächtig, reich an Zuwachs, groß,
er trug die Frucht des Frühlings, Üppigkeit,
wie Witwen nach des Gatten Tod im Schoß.
Und doch erschien die Frucht mir wie verschwendet ––
verwaiste Hoffnung, vaterloses Kind,
da Sommer seine Freude an dich wendet,
und, fehlst du, selbst die Vögel lautlos sind;

und sängen sie, es wären dumpfe Laute,
daß Blätter bleichen, wie wenn Winter graute.


98.

FRom you haue I beene absent in the spring,
When proud pide Aprill (drest in all his trim)
Hath put a spirit of youth in euery thing:
That heauie Saturne laught and leapt with him.
Yet nor the laies of birds, nor the sweet smell
Of different flowers in odor and in hew,
Could make me any summers story tell:
Or from their proud lap pluck them where they grew:
Nor did I wonder at the Lillies white,
Nor praise the deepe vermillion in the Rose,
They weare but sweet, but figures of delight:
Drawne after you, you patterne of all those.

Yet seem’d it Winter still, and you away,
As with your shaddow I with these did play.


Getrennt von dir –– ich wars zur Frühlingszeit,
wenn der April in seiner Farbenpracht
den Dingen einen Funken Jugend leiht,
Saturn leichtsinnig wird und springt und lacht
–– nichts konnte mich bewegen, Vögel nicht,
nicht vieler Blumen Düfte, Farbenklänge,
den Sommer zu besingen im Gedicht,
die Süße abzupflücken, das Gepränge;
hab nicht gestaunt, wie weiß die Lilie war,
hab nicht der Rose tiefes Rot gepriesen,
es waren nur Figuren, süße zwar,
nach deinem Bild –– ich sah nur dich in diesen.

Mir schien es Winter –– du warst fort –– dies glich
wie Schatten dir, mit Schatten spielte ich.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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