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William Shakespeare: Sonett 78 - 84

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XII. 78–84: EVERY ALIEN PEN –– my gentle verse


Die Rival-Poet-Sonette. Das Septett behandelt das schmerzliche Innenverhältnis zwischen Du und Ich, wenn ein dritter als dichtender Rivale auftritt. Was wunder, daß 4 von 7 Sonetten das Personal You gebrauchen. Gefällt sich der Dichter zunächst noch in Sprachspielen wie: Thou art all my art, und rühmt: Thou dost aduance my rude ignorance (78), so muß er sehr bald zugeben, daß nicht mehr my verse alone spreche (79), sondern daß a better spirit um die Gunst des Du werbe (80).


Die Schwerlinie ist Sonett 81, wo all diese Seitenblicke vergessen scheinen, nun besitzt my Pen wieder virtue, nun ist my gentle verse thy Epithaph und wird Thy momument, when I in earth am rotten; das Couplet kommt bedeutungsvoll auf die Vision in Sonett 18 zurück: you still shall liue / Where breath most breaths, euen in the mouths of men.
Jenseits dieser Mittelachse aber wird die Auseinandersetzung wieder aufgenommen, der bemühten Rhetorik des Rivalen wird der eigene schlichte Ton entgegengesetzt (82), und in 83 wird sogar das eigene Schweigen und Verstummtsein gerechtfertigt, da eines der Augen des Du ohnehin mehr zu sagen habe als beide Dichter zusammen. In diesem beide verschwindet das Ich, um auch im Abschlußgedicht nicht mehr aufzutauchen (84): die Tautologie, dieses nur Du bist du, sei die einzige Möglichkeit, ihm gerecht zu werden und bewundernswerten Stil zu schreiben.


78.

SO oft haue I inuok’d thee for my Muse,
And found such faire assistance in my verse,
As euery Alien pen hath got my vse,
And vnder thee their poesie disperse.
Thine eyes, that taught the dumbe on high to sing,
And heauie ignorance aloft to flie,
Haue added fethers to the learneds wing,
And giuen grace a double Maiestie.
Yet be most proud of that which I compile,
Whose influence is thine, and borne of thee,
In others workes thou doost but mend the stile,
And Arts with thy sweete graces graced be.

But thou art all my art, and doost aduance
As high as learning, my rude ignorance.

So oft hab ich als meine Muse dich
gerufen, und du hast mir assistiert,
daß jede fremde Feder nun wie ich
Gedichte schreibt und dich damit hofiert.
Dein Auge, das dem Stummen Stimme leiht,
den Unbeholfnen hoch zu fliegen lehrt,
beschwingt, befedert die Gelehrsamkeit
und gibt dem Feinsinn doppelt hohen Wert.
Doch wirklich stolz sei, daß mein Kompilieren
von dir beeinflußt ist, gezeugt von dir ––
magst andere stilistisch korrigieren,
die Künste magst du adeln, die Manier,

doch Kunst? –– All meine Kunst bist du. Und bin
ich unbedarft, du hebst mich drüberhin.


79.

WHilst I alone did call vpon thy ayde,
My verse alone had all thy gentle grace,
But now my gracious numbers are decayde,
And my sick Muse doth giue an other place.
I grant (sweet loue) thy louely argument
Deserues the trauaile of a worthier pen,
Yet what of thee thy Poet doth inuent,
He robs thee of, and payes it thee againe,
He lends thee vertue, and he stole that word,
From thy behauiour, beautie doth he giue
And found it in thy cheeke: he can affoord
No praise to thee, but what in thee doth liue.

Then thanke him not for that which he doth say,
Since what he owes thee, thou thy selfe doost pay.

Solang ich deine Gunst besaß –– allein,
war mein Gedicht allein ganz deinesgleichen;
nun sinkt die edle Form, wird allgemein,
die Muse siecht, muß einer andern weichen.
Dich Lieblichen zu loben, wohlbegründet,
verdiente eines Würdigeren Strich,
was dein Poet indes zu dir befindet,
das raubt er dir und zahlts zurück an dich.
Er leiht dir Würde und entlehnt das Wort
aus deinem Wesen; will dir Schönheit geben
und findet sie auf deiner Wange dort;
nichts kann er als, was in dir lebt, erheben.

Nein, dank ihm nicht, denn das, wovon er spricht,
ist dir geschuldet; du bezahlst, er nicht!


80.

O How I faint when I of you do write,
Knowing a better spirit doth vse your name,
And in the praise thereof spends all his might,
To make me toung-tide speaking of your fame.
But since your worth (wide as the Ocean is)
The humble as the proudest saile doth beare,
My sawsie barke (inferior farre to his)
On your broad maine doth wilfully appeare.
Your shallowest helpe will hold me vp a floate,
Whilst he vpon your soundlesse deepe doth ride,
Or (being wrackt) I am a worthlesse bote,
He of tall building, and of goodly pride.

Then If he thriue and I be cast away,
The worst was this, my loue was my decay.

Wie zaghaft ich doch schreibe, seit ich weiß,
ein Besserer benutzt nun deinen Namen,
setzt all sein Können ein zu deinem Preis!
Dich rühmen –– meine Zunge möcht erlahmen.
Da deine Würde weit reicht wie das Meer,
geringe Segel trägt und stolzgeschwellte,
erscheine ich gefährdeter als er,
ein schwanker Kahn, der in der Flut zerschellte.
Ich liefe auf –– dein Beistand hält mich flott,
er segelt überm Abgrund und besteht;
zerbreche ich, so ist es nur ein Boot,
nicht hochgebaut wie er und stolzgebläht.

Nun, käm er an, indes ich draußen bliebe,
das Schlimmste wär –– mich tötete die Liebe.


81.

OR I shall liue your Epitaph to make,
Or you suruiue when I in earth am rotten,
From hence your memory death cannot take,
Although in me each part will be forgotten.
Your name from hence immortall life shall haue,
Though I (once gone) to all the world must dye,
The earth can yeeld me but a common graue,
When you intombed in mens eyes shall lye,
Your monument shall be my gentle verse,
Which eyes not yet created shall ore-read,
And toungs to be, your beeing shall rehearse,
When all the breathers of this world are dead,

You still shall liue (such vertue hath my Pen)
Where breath most breaths, euen in the mouths of men.

Dein Epitaph –– ob ich es einmal dichte?
Ob du mich überlebst –– ich in der Erde?
Dein Name bleibt, hier wird der Tod zunichte,
wenn ich zur Gänze auch vergessen werde.
Dein Name lebt, hier ist Unsterblichkeit,
muß ich auch aller Welt auf immer gehn.
Mir hält die Erde schlicht ein Grab bereit,
du wirst vor aller Augen fortbestehn.
Mein edler Vers –– er wird dein Monument,
noch unerschaffne Augen werden lesen,
du bist es einst, den jede Zunge nennt,
wenn die, die heute atmen, schon verwesen.

Kraft meiner Feder lebst du fort –– im Mund,
wo Menschen atmen. Atem tut es kund.


82.

I Grant thou wert not married to my Muse,
And therefore maiest without attaint ore-looke
The dedicated words which writers vse
Of their faire subiect, blessing euery booke.
Thou art as faire in knowledge as in hew,
Finding thy worth a limmit past my praise,
And therefore art inforc’d to seeke anew,
Some fresher stampe of the time bettering dayes.
And do so loue, yet when they haue deuisde,
What strained touches Rhethorick can lend,
Thou truly faire, wert truly simpathizde,
In true plaine words, by thy true telling friend.

And their grosse painting might be better vs’d,
Where cheekes need blood, in thee it is abus’d.

Vermählt warst du mit meiner Muse nicht ––
so steht dir frei, genau darauf zu achten,
mit welchen Worten Dichter im Gedicht
den schönen Gegenstand zum Thema machten.
Du findest nun, bist ja so klug wie schön,
mein Wort zu limitiert, denn du reichst weit;
so fühlst du dich gedrängt, dich umzusehn
nach frischer Prägung in moderner Zeit.
Nur zu, mein Lieber; wenn sie vorgeführt,
wie weit Rhetorik reicht (zu reichen meint),
wird, wie du wahrlich schön bist, aufgespürt;
die wahren schlichten Worte spricht dein Freund:

Wo Wangen fahl sind, mag ihr grober Strich
wohl besser taugen; aber nicht für dich.


83.

I Neuer saw that you did painting need,
And therefore to your faire no painting set,
I found (or thought I found) you did exceed,
The barren tender of a Poets debt:
And therefore haue I slept in your report,
That you your selfe being extant well might show,
How farre a moderne quill doth come to short,
Speaking of worth, what worth in you doth grow,
This silence for my sinne you did impute,
Which shall be most my glory being dombe,
For I impaire not beautie being mute,
When others would giue life, and bring a tombe.

There liues more life in one of your faire eyes,
Then both your Poets can in praise deuise.

Nie sah ich, daß du Farbe nötig hast,
schön, wie du bist, und setzte keine ein;
und was ein Dichter als Tribut verfaßt,
darüber schienst du mir hinaus zu sein.
So schlief ich, schiens, und sprach nicht viel von dir,
damit du selbst uns zeigst: moderner Text
greift viel zu kurz –– von Wert zu sprechen, hier ––
weil Wert, so wie du da–bist, in dir wächst.
Dies Schweigen hat dich ernstlich irritiert,
doch stumm zu sein, kann meinen Ruhm nur heben;
durch Stille wird die Schönheit nicht tangiert,
die andere begraben, nicht beleben.

Mehr Leben lebt in einem deiner Augen,
als beider deiner Dichter Hymnen taugen.


84.

WHo is it that sayes most, which can say more,
Then this rich praise, that you alone, are you,
In whose confine immured is the store,
Which should example where your equall grew,
Leane penurie within that Pen doth dwell,
That to his subiect lends not some small glory,
But he that writes of you, if he can tell,
That you are you, so dignifies his story.
Let him but coppy what in you is writ,
Not making worse what nature made so cleere,
And such a counter-part shall fame his wit,
Making his stile admired euery where.

You to your beautious blessings adde a curse,
Being fond on praise, which makes your praises worse.

Wer sagt am meisten ? Und was sagte mehr,
umfaßte mehr als –– daß nur du du bist?
Wes Garten wär so reich bepflanzt, daß er
uns zeigen könnt, wo deinesgleichen ist?
Die Armut haftet einer Feder an,
die nicht ein kleines bißchen Glanz verleiht;
und doch –– wer dich beschreibt und sagen kann,
daß du du bist, nur der geht nicht zu weit.
Er bilde nach, was in dich eingeschrieben,
verwirre, was Natur so klar sagt, nicht!
Den Witz an einem solchen Nachbild üben
macht ihn berühmt, bewundert sein Gedicht.

Ein Lob, das dich herabsetzt, ist kein Segen
und wird zum Fluch, nimmst du’s als Lob entgegen.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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