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William Shakespeare: Sonett 57 - 63

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IX. 57–63: OUR MINUITES HASTEN –– against that time


Das trübe Interim, mit dem Septett VIII endete, wird ausgelotet. In den Sonetten 57 und 58 erniedrigt sich das Ich zum Sklaven in diesem Liebesverhältnis; 59 fragt, wie viel bloße Wiederholung und Selbstbetrug im Spiel sein mag, um sich dann an das Wunder zu klammern, das dieses Du für ihn bedeutet.
Im Zentrum (60) steht die Erzfeindin Zeit, die alles an sich reißt, unsere Minuten hasten ihrem Ende entgegen, nichts steht ihrer Sense, es sei denn mein Vers und in ihm dein Ruhm.

Die Sonette 61 und 62 sind abermals sehr kleinlaute Wortmeldungen: Das Ich fühlt sich auf sich selbst zurückgeworfen, denn das Du weilt anderswo. Aber, um die Verzweiflung noch weiter zu vertiefen, macht er sich seine Eigenliebe zum Vorwurf und gibt zu, da sei kein Heil, er färbe sein Selbst mit der Schönheit des Anderen.
Dem Zenit der Subsequenz gibt Shakespeare die bedeutungsvolle Zahl 63 (7 x 9). Der Sprecher kommt noch entschiedener auf die Zeit zurück: Er verschanzt sich wider die Allzerstörerin und setzt auf seine schwarzen Zeilen, um die Schönheit des Du zu verewigen. Dies Motiv ist und bleibt das einzig sieghafte der ganzen Sequenz: Du bist alles für mich, ich bin nichts für dich, aber mein Vers wird überleben und immer von dir künden. Unermüdlich wird der Dichter diesen cantus firmus vortragen und weiterleben, weiterlieben, weiterdichten.


57.

BEing your slaue what should I doe but tend,
Vpon the houres, and times of your desire?
I haue no precious time at al to spend;
Nor seruices to doe til you require.
Nor dare I chide the world without end houre,
Whilst I (my soueraine) watch the clock for you,
Nor thinke the bitternesse of absence sowre,
VVhen you haue bid your seruant once adieue.
Nor dare I question with my iealious thought,
VVhere you may be, or your affaires suppose,
But like a sad slaue stay and thinke of nought
Saue where you are, how happy you make those.

So true a foole is loue, that in your Will,
(Though you doe any thing) he thinkes no ill.

Was tu ich als dein Sklave? Richte mich
auf Zeit und Stunde deiner Süchte ein.
Bis du etwas verlangst, gelegentlich,
kann weder Zeit noch Dienst mir kostbar sein.
Nicht wage ich, das ewige Ungewiß
zu schelten, Herr, wie oft zur Uhr ich seh;
nicht denk ich an die bittere Bitternis,
gebietest du dem Diener einst Adieu.
Nicht wage ich zu fragen, eifersüchtig:
Wo du wohl bist ? Wie die Affäre heißt?
Ich brüte, trüber Sklave. Nichts ist wichtig
als: wie du glücklich machst, wo du auch seist.

So ist die Liebe Närrin, absolut ––
was aus Begier du tust, sie heißt es gut.


58.

THat God forbid, that made me first your slaue,
I should in thought controule your times of pleasure,
Or at your hand th’account of houres to craue,
Being your vassail bound to staie your leisure.
Oh let me suffer (being at your beck)
Th' imprison'd absence of your libertie,
And patience tame, to sufferance bide each check,
Without accusing you of iniury.
Be where you list, your charter is so strong,
That you your selfe may priuiledge your time
To what you will, to you it doth belong,
Your selfe to pardon of selfe-doing crime.

I am to waite, though waiting so be hell,
Not blame your pleasure be it ill or well.

Der Gott, der mich zu deinem Sklaven machte,
verhüte, daß mit einem Stundenplan
die Zeiten deiner Lust ich überwachte!
Ich bin Vasall und warte auf. Wohlan.
Ich steh auf deinen Wink. Ich nehme hin.
Bist du mir fern, bin ich beengt, du frei.
Geduldgezähmt und duldsam, wie ich bin,
ertrag ich klaglos, wie verletzt ich sei.
Sei, wo es dich gelüstet. Das Legat,
mit deiner Zeit zu schalten, ist ja dein,
gehört dir doch das Vorrecht, eine Tat,
die selber du begehst, selbst zu verzeihn.

Ich hab zu warten –– Hölle –– nicht zu rügen,
ob bös, ob gut, denn es ist dein Vergnügen.


59.

IF their bee nothing new, but that which is,
Hath beene before, how are our braines beguild,
Which laboring for inuention beare amisse
The second burthen of a former child ?
Oh that record could with a back-ward looke,
Euen of fiue hundreth courses of the Sunne,
Show me your image in some antique booke,
Since minde at first in carrecter was done.
That I might see what the old world could say,
To this composed wonder of your frame,
Whether we are mended, or where better they,
Or whether reuolution be the same.

Oh sure I am the wits of former daies,
To subiects worse haue giuen admiring praise.

Wie –– wenn nichts Neues wär? Wenn das, was ist,
schon immer da war? Wir betrogen sind,
wenn wir erfinden? Wenn der Geist vergißt
und trägt zum zweiten Mal dasselbe Kind?
O könnt ich Rückschau halten –– Jahr um Jahr,
–– Jahrhunderte! O hielte aus der Zeit,
als eben erst die Schrift erfunden war,
ein altes Buch mir dein Portrait bereit
und zeigte, was sie konnten, diese Alten!
Wie hätten sie dies Wunder komponiert?
Ob sie, ob wir dich besser ausgestalten?
Ob alles Wiederholung ist? Kopiert?

O –– sicher hat ein früheres Jahrhundert
bei allem Lob doch Mindere bewundert.


60.

LIke as the waues make towards the pibled shore,
So do our minuites hasten to their end,
Each changing place with that which goes before,
In sequent toile all forwards do contend.
Natiuity once in the maine of light.
Crawles to maturity, wherewith being crown’d,
Crooked eclipses gainst his glory fight,
And time that gaue, doth now his gift confound.
Time doth transfixe the florish set on youth,
And delues the paralels in beauties brow,
Feedes on the rarities of natures truth,
And nothing stands but for his sieth to mow.

And yet to times in hope, my verse shall stand
Praising thy worth, dispight his cruell hand.

Wie’s Wellen an den Strand treibt, im Geröll
zu enden, hasten unsere Minuten
dem Ende zu, die Plätze wechselnd, schnell,
in steter Müh, ein einzig Vorwärtssputen.
Geburt –– Konstellation –– ein Meer von Licht
kriecht auf die Reife zu, erreicht sie eben,
wenn wider ihren Glanz das Finstre ficht
und Zeit, die gab, zerstört, was sie gegeben.
Die Zeit zersetzt den Jugendschmelz, das Blühen,
gräbt Parallelen zu den schönen Brauen,
frißt, was Natur an Kostbarkeit verliehen ––
nichts steht der Sense; sie wirds niederhauen.

Und doch ist Zeit auch Hoffnung; er hält stand ––
mein Vers, dein Ruhm, trotz ihrer grausen Hand.


61.

IS it thy wil, thy Image should keepe open
My heauy eielids to the weary night?
Dost thou desire my slumbers should be broken,
While shadowes like to thee do mocke my sight?
Is it thy spirit that thou send’st from thee
So farre from home into my deeds to prye,
To find out shames and idle houres in me,
The skope and tenure of thy Ielousie?
O no, thy loue though much, is not so great,
It is my loue that keepes mine eie awake,
Mine owne true loue that doth my rest defeat,
To plaie the watch-man euer for thy sake.

For thee watch I, whilst thou dost wake elsewhere,
From me farre of, with others all to neere.

Ist es dein Wille, daß dein Inbild mir
die Lider offen hält in später Nacht?
Wünschst du, daß so ein Schatten, ähnlich dir,
den Schlummer stört und mein Gesicht verlacht?
Ist es dein Geist? Und sendest du ihn aus,
von fern zu spähn, wie schändlich ich es treibe?
Worauf läuft deine Eifersucht hinaus?
Herauszufinden, wie ich müßig bleibe?
O nein, so groß ist deine Liebe nicht;
die meine ists, sie hält mich an, ich wache;
die eigne treue Liebe unterbricht
die Ruh und spielt den Wächter –– deiner Sache.

Dein wache ich; du wachst, doch bist nicht da,
bist fern von mir, bist andern allzu nah.



62.

SInne of selfe-loue possesseth al mine eie,
And all my soule, and al my euery part;
And for this sinne there is no remedie,
It is so grounded inward in my heart.
Me thinkes no face so gratious is as mine,
No shape so true, no truth of such account,
And for my selfe mine owne worth do define,
As I all other in all worths surmount.
But when my glasse shewes me my selfe indeed
Beated and chopt with tand antiquitie,
Mine owne selfe loue quite contrary I read
Selfe, so selfe louing were iniquity,

T'is thee (my selfe) that for my selfe I praise,
Painting my age with beauty of thy daies.

Die Eigenliebe hat an allem teil,
besetzt mein Aug, die Seele, und es findet
sich wider diese Sünde nirgends Heil;
so tief ist sie im Herzensgrund gegründet.
Mich dünkt kein Antlitz so wie meines schön,
kein Leib so wohlgestalt, so wahrlich Form;
ich kann den eignen Wert nicht anders sehn,
als daß er alles übersteigt, enorm.
Doch zeigt mein Spiegel, wie ich wirklich bin,
verwittert, ausgemergelt, zeitgegerbt,
erscheint mir Eigenliebe Widersinn ––
ein Selbst so selbstverliebt, es wär verderbt:

Du bists, mein Selbst, das ich gepriesen hab,
dein schöner Tag färbt auf mein Alter ab.


63.

AGainst my loue shall be as I am now
With times iniurious hand chrusht and ore-worne,
When houres haue dreind his blood and fild his brow
With lines and wrincles, when his youthfull morne
Hath trauaild on to Ages steepie night,
And all those beauties whereof now he’s King
Are vanishing, or vanisht out of sight,
Stealing away the treasure of his Spring.
For such a time do I now fortifie
Against confounding Ages cruell knife,
That he shall neuer cut from memory
My sweet loues beauty, though my louers life.

His beautie shall in these blacke lines be seene,
And they shall liue, and he in them still greene.

Mein Lieb wird einst so sein, wie jetzt ich bin,
die blinde Hand der Zeit wird ihn zerreiben,
das Blut drainieren, Stund um Stunde in
die Stirne Striche ritzen, Runen schreiben.
Sein morgendliches Streben –– jäh wirds Nacht;
sein Königtum, das Schöne, wird verschwinden,
verschwunden sein. Wo ist die ganze Pracht
des Lenz? Davongestohlen, nicht zu finden.
Für diesen Zeitpunkt rüste ich mich jetzt,
will widers grimme Schwert des Alters rennen:
Nie, ob es schon des Liebsten Leib verletzt,
solls vom Gedenken seine Schönheit trennen.

Die schwarzen Zeilen leben, und in ihnen
wird ewig meines Liebsten Schönheit grünen.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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