Direkt zum Seiteninhalt

William Shakespeare: Sonett 50 - 56

Werkstatt/Reihen > Werkstatt



VIII. 50–56: WHAT IS YOUR SUBSTANCE
–– this sad Interim

Die Überlegung geht weiter. Fragte der Dichter eben noch: wer bin ich? so fragt er nun in Sonett 53 den Freund nach der Substanz, aus der er gemacht sei. Diese Frage bildet die Schwerachse des Septetts VIII. Eine Frage, die er nicht direkt beantworten kann, sondern er spricht nur von seinem Schatten, der alle anderen in den Schatten stelle, und von der Festigkeit seines Herzens, an die er so gern glauben möchte. Fast klingt es so, als biete ihm Ungewißheit mehr Halt als Gewißheit. Denn sie ist es, gegen die er mit seinem Vers anrennen kann.

Vorausgeschickt werden drei Sonette, die selbstgewiß über die Entfernung vom Du meditieren und über die Kostbarkeit, die in seltenen Begegnungen liegt. Die folgenden zwei Sonette meditieren allgemein über Vergänglichkeit mit gelegentlichen Seitenblicken auf Du und Ich: der destillierte Duft der Rose und die Unvergänglichkeit seines Verses im Gegensatz zum Verfall, dem Monumente ausgesetzt sind. Den Schluß bildet ein erneuertes Bekenntnis zur Liebe, um dies trübe Interim zu überwinden. Welches Interim?


50.

HOw heauie doe I iourney on the way,
When what I seeke (my wearie trauels end)
Doth teach that ease and that repose to say
Thus farre the miles are measurde from thy friend.
The beast that beares me, tired with my woe,
Plods duly on, to beare that waight in me,
As if by some instinct the wretch did know
His rider lou’d not speed being made from thee:
The bloody spurre cannot prouoke him on,
That some-times anger thrusts into his hide,
Which heauily he answers with a grone,
More sharpe to me then spurring to his side,

For that same grone doth put this in my mind,
My greefe lies onward and my ioy behind.

Wie schwer die Reise wird, wie lang sie währt!
Was suche ich? Wo werde ich verweilen?
Und ist es Muße, die zu sagen lehrt:
‘Den Weg vom Freunde fort bemessen Meilen?’
Das Tier, es teilt mein Weh und trottet weiter,
trägt mich und trägt auch das Gewicht in mir,
als gäbe ein Instinkt ihm ein, sein Reiter
mag Eile nicht, die ihn entfernt von dir.
Der Sporn, den ihm der Unmut dann und wann
ins Fell stößt, blutig, bringt es nicht in Trab,
die Antwort hört sich wie ein Stöhnen an
und schmerzt mehr als der Sporn, den ich ihm gab;

denn eben dieses Stöhnen macht bewußt:
vor mir der Gram und hinter mir die Lust.


51.

THus can my loue excuse the slow offence,
Of my dull bearer, when from thee I speed,
From where thou art, why shoulld I hast me thence,
Till I returne of posting is noe need.
O what excuse will my poore beast then find,
When swift extremity can seeme but slow,
Then should I spurre though mounted on the wind,
In winged speed no motion shall I know,
Then can no horse with my desire keepe pace,
Therefore desire (of perfects loue being made)
Shall naigh noe dull flesh in his fiery race,
But loue, for loue, thus shall excuse my iade,

Since from thee going, he went wilfull slow,
Towards thee ile run, and giue him leaue to goe.

Den trägen Trott des Tieres, das mich trägt,
erklärt mir meine Liebe: was verweile
ich nicht bei dir? Wenn man die Hast erwägt:
erst wenn ich wiederkehre, drängt die Eile.
O, ob mein armes Tier erklären kann,
daß Höchstgeschwindigkeit nun langsam scheint?
Ich spornte doch den Wind sogar noch an
und hätt im Fluge Stillstand noch vermeint.
Kein Pferd lief meiner Sehnsucht je zupasse,
denn Sehnsucht stammt aus reinster Liebe bloß,
in ihrem Wiehern läge Feuer, Rasse;
doch Liebe spricht den Gaul um Liebe los:

da er von dir zu trotten war bereit,
will zu dir jagen ich –– und laß ihm Zeit.


52.

SO am I as the rich whose blessed key,
Can bring him to his sweet vp-locked treasure,
The which he will not eu’ry hower suruay,
For blunting the fine point of seldome pleasure.
Therefore are feasts so sollemne and so rare,
Since sildom comming in the long yeare set,
Like stones of worth they thinly placed are,
Or captaine Iewells in the carconet.
So is the time that keepes you as my chest,
Or as the ward-robe which the robe doth hide,
To make some speciall instant speciall blest,
By new vnfoulding his imprison'd pride.

Blessed are you whose worthinesse giues skope,
Being had to tryumph, being lackt to hope.

Ich bin dem Reichen gleich: ein Schlüssel kann
den süßen eingeschlossnen Schatz erschließen,
doch schaut er ihn nicht jede Stunde an
–– Finesse liegt in seltenem Genießen.
Darum sind Feste rar und doch vertraut,
wie selten sie auch seien, sind ins Jahr
gesetzt wie edle Steine, dünn verbaut,
wie Hauptjuwelen im Geschmeide gar.
Die Zeit, die dich enthält, ist mein Tresor,
ist wie ein Schrein, verborgen dich zu halten;
ein Augenblick des Glücks steht mir bevor,
die Chance, den Stolz aufs neue zu entfalten.

Dein Wesen ist gesegnet –– es ist offen:
wer es erfuhr, lebt auf, wer nicht, darf hoffen.


53.

WHat is your substance, whereof are you made,
That millions of strange shaddowes on you tend?
Since euery one, hath euery one, one shade,
And you but one, can euery shaddow lend:
Describe Adonis and the counterfet,
Is poorely immitated after you,
On Hellens cheeke all art of beautie set,
And you in Grecian tires are painted new:
Speake of the spring, and foyzon of the yeare,
The one doth shaddow of your beautie show,
The other as your bountie doth appeare,
And you in euery blessed shape we know.

In all externall grace you haue some part,
But you like none, none you for constant heart.

Woraus bist du gemacht, daß fremde Schatten,
Millionen, an dir hängen wie Lakaien?
Hat nicht ein jeder jeweils einen Schatten,
und du, allein, kannst jeden Schatten leihen?
Beschreib Adonis, und sein Konterfei
ist ärmlich deinem Schatten nachgemacht;
die Wange Helenas, wie schön sie sei,
gemalt, bist du es, neu, in Griechentracht.
Vom Frühling, von des Jahres Fülle sprich;
der eine zeigt uns deinen Schatten, schön,
die andre scheint uns deine Gabe –– dich
erkennen wir in allem, was wir sehn.

Du hast an allem teil im Reich des Scheins,
dein festes Herz gleicht keinem, deinem keins.


54.

OH how much more doth beautie beautious seeme,
By that sweet ornament which truth doth giue,
The Rose lookes faire, but fairer we it deeme
For that sweet odor, which doth in it liue:
The Canker bloomes haue full as deepe a die,
As the perfumed tincture of the Roses,
Hang on such thornes, and play as wantonly,
When sommers breath their masked buds discloses:
But for their virtue only is their show,
They liue vnwoo’d, and vnrespected fade,
Die to themselues. Sweet Roses doe not so,
Of their sweet deathes, are sweetest odors made:

And so of you, beautious and louely youth,
When that shall vade, by verse distils your truth.

Um wieviel mehr scheint Schönheit schön zu sein,
wenn Wahrheit wahre Süße beigegeben!
Den Reiz der Rose schätzt man reicher ein,
weil diese süßen Düfte in ihr leben.
Im tiefen Farbton gleichen Heckenrosen
den edlen, die uns Duftessenzen bringen,
die gleichen Dornen und das gleiche Kosen
im Sommerwind, wenn ihre Knospen springen;
doch nur ihr Aussehn könnte für sie werben;
sie leben und verschwinden ohne Acht,
verlieren sich. Wenn süße Rosen sterben,
wird süßestes Parfum daraus gemacht.

Und du ? Dein Jugend–Liebreiz geht vorbei ––
in Versen destilliert, bleibst du dir treu.


55.

NOt marble, nor the guilded monument,
Of Princes shall out-liue this powrefull rime,
But you shall shine more bright in these contents
Then vnswept stone, besmeer’d with sluttish time.
When wastefull warre shall Statues ouer-turne,
And broiles roote out the worke of masonry,
Nor Mars his sword, nor warres quick fire shall burne:
The liuing record of your memory.
Gainst death, and all obliuious emnity
Shall you pace forth, your praise shall stil finde roome,
Euen in the eyes of all posterity
That weare this world out to the ending doome.

So til the iudgement that your selfe arise,
You liue in this, and dwell in louers eies.

Nicht Marmor und nicht Gold, kein Monument
besitzt die Kraft, den Vers zu überleben,
in dem du heller strahlst (vers–immanent)
als Stein –– der bleibt der Zeit anheimgegeben.
Der Krieg stürzt Statuen vom Postament,
der Aufruhr reißt das Hochgebaute ein,
kein Schwert des Mars, kein Feuerbrand verbrennt
dies Lebenszeichen, dies Gedenke–dein.
Du schreitest fort, dem Tod und dem Vergessen
zum Trotz; dein Ruhm hat Raum für alle Zeit,
die kommt, besteht sogar im Auge dessen,
der bis ans Ende geht der Zeitlichkeit.

Du wohnst, bis zum Gericht du dich erhebst,
im Vers, im Aug der Liebenden –– und lebst.


56.

SWeet loue renew thy force, be it not said
Thy edge should blunter be then apetite,
Which but too daie by feeding is alaied,
To morrow sharpned in his former might.
So loue be thou, although too daie thou fill
Thy hungrie eies, euen till they winck with fulnesse,
Too morrow see againe, and doe not kill
The spirit of Loue, with a perpetual dulnesse:
Let this sad Intrim like the Ocean be
Which parts the shore, where two contracted new,
Come daily to the banckes, that when they see:
Returne of loue, more blest may be the view.

As cal it Winter, which being ful of care,
Makes Somers welcome, thrice more wish’d, more rare:

Erneue, süße Liebe, deine Macht!
Willst stumpfer du als Appetit denn heißen,
der, heut besänftigt, morgen schon erwacht,
um neu in alter Schärfe zuzubeißen?
So, Liebe, sei: für heute sieh dich satt,
bis deine Augen dir vor Sattheit sinken!
Der Geist der Liebe –– Dauer macht ihn matt;
drum gib den Augen morgen neu zu trinken!
Dies trübe Interim sei wie das Meer,
das Küsten trennt, wo zwei verbunden stehn,
um Tag für Tag am Strand die Wiederkehr
der Liebe seliger und neu zu sehn;

wie Winters Sorge, die den Sommer drei–
mal mehr erwünscht und rarer macht dabei.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

Zurück zum Seiteninhalt