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William Shakespeare: Sonett 141 - 147

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XXI. 141–147: MY FOOLISH HEART––my feuer

Von der Gefaßtheit, mit der das vorige Septett ausklang (140), ist nichts mehr übrig. In Sonett 141 gesteht der Dichter, sein Herz sei närrisch genug, sich von ihrem grausamen Herzen versklaven zu lassen, obwohl und damit kommt er auf 130 zurück, kein sensuelles Fest mit ihr zu feiern sei. Seine fünf Sinne versagen ebenso wie sein Witz. Im Zentrum des Septetts steht 144, das berühmte Sonett, das seinem guten Engel (Fair Youth) den bösen Geist (Dark Mistress) gegenüberstellt. Und wiederum gesteht er, daß der zweite den ersten korrumpiert so wie ihn selber, obwohl er nie genau wisse, wie weit er dabei gehe.


Diese Mittelachse wird doppelt gerahmt. Den inneren Rahmen bilden 143 und 145, zwei Sonette, die (in der dritten Person sprechen und) so tun, als lasse sich diese Seelensklaverei ins Komische ziehen. Den äußeren Rahmen dagegen bilden zwei direkt an Ich und Du gewandte Apostrophen, die den Fall so ernst nehmen wie er ist: 142 geht davon aus, daß sie und er sündig Liebende seien, und betont, daß sich gegenseitige Vorwürfe erübrigen. Sonett 146 richtet einen Appel an die eigene sündige Seele und ermahnt diese, innere und nicht äußere Werte ins Auge zu fassen. Aber diese relative Gefaßtheit ist nicht von Dauer, und Sonett 147 spricht wieder Klartext: seine Liebe ist ein ständig brennendes Fieber, und Schwarz, die Farbe, der er am Anfang der Subsequenz noch zugetraut hatte, „schön“ zu sein, wird nun als Bosheit entlarvt: as black as hell, as darke as night. Dieser Befund wird auch das letzte Septett beherrschen.


141.

IN faith I doe not loue thee with mine eyes,
For they in thee a thousand errors note,
But ’tis my heart that loues what they dispise,
Who in dispight of view is pleasd to dote.
Nor are mine eares with thy toungs tune delighted,
Nor tender feeling to base touches prone,
Nor taste, nor smell, desire to be inuited
To any sensuall feast with thee alone:
But my fiue wits, nor my fiue sences can
Diswade one foolish heart from seruing thee,
Who leaues vnswai’d the likenesse of a man,
Thy proud hearts slaue and vassall wretch to be:

Onely my plague thus farre I count my gaine,
That she that makes me sinne, awards me paine.

Nein, nicht mit meinen Augen lieb ich dich,
denn tausend Fehler finden sie an dir,
es ist mein Herz, das liebt –– es weigert sich
zu sehn und zu verschmähn, ist närrisch schier.
Nicht schwelgt mein Ohr, wenn deine Stimme tönt,
nicht neigt mein Feingefühl zu niedrer Minne,
Geschmack nicht und Geruch nicht –– nein, es sehnt
sich nichts in mir nach einem Fest der Sinne.
Fünf Fertigkeiten und fünf Sinne nicht
bewahrn ein Herz –– es läßt sich auf dich ein,
ein Mann verliert den Halt und das Gesicht,
um deinem Hochmut untertan zu sein.

Die Pest bringt mir insoweit nur Gewinn,
daß die mich peinigt, der ich hörig bin.


142.

LOue is my sinne, and thy deare vertue hate,
Hate of my sinne, grounded on sinfull louing,
O but with mine, compare thou thine owne state,
And thou shalt finde it merrits not reproouing,
Or if it do, not from those lips of thine,
That haue prophan’d their scarlet ornaments,
And seald false bonds of loue as oft as mine,
Robd others beds reuenues of their rents.
Be it lawfull I loue thee as thou lou'st those,
Whome thine eyes wooe as mine importune thee,
Roote pittie in thy heart that when it growes,
Thy pitty may deserue to pittied bee.

If thou doost seeke to haue what thou doost hide,
By selfe example mai'st thou be denide.

Wenn Liebe Sünde ist und Tugend Haß ––
dein Haß auf meine Sünde ruht auf Sünden.
Wie stehts um mich, um dich? Vergleichst du das,
so wirst du nichts Verweisenswertes finden.
Und wenn Verweis, dann nicht aus deinem Mund!
Er siegelte so oft, so unverhohlen
wie meiner einen falschen Liebesbund,
hat andrer Betten um den Zins bestohlen.
Ich liebe mit Verlaub dich so, wie du
den anderen Augen machst, von mir bedrängt.
Laß Mitleid in dir wachsen, laß es zu,
daß einer deinem Mitleid Mitleid schenkt.

Wer, was er vorenthält, für sich begehrt,
erfährt vielleicht an sich: es wird verwehrt.



143.

LOe as a carefull huswife runnes to catch,
One of her fethered creatures broake away,
Sets downe her babe and makes all swift dispatch
In pursuit of the thing she would haue stay:
Whilst her neglected child holds her in chace,
Cries to catch her whose busie care is bent,
To follow that which flies before her face:
Not prizing her poore infants discontent;
So runst thou after that which flies from thee,
Whilst I thy babe chace thee a farre behind,
But if thou catch thy hope turne back to me:
And play the mothers part kisse me, be kind.

So will I pray that thou maist haue thy Will,
If thou turne back and my loude crying still.

Ho, wie die gute Hausfrau hurtig rennt,
ein Federvieh zu fangen, das entwich,
ihr Kindchen niedersetzt und konsequent
das Ding verfolgt und eilt und sputet sich,
indes das Kind verlassen steht und greint
und zusieht, daß die Mutter es ergattert,
die nicht beachtet, wie ihr Kindchen weint,
nur fangen will, was ihr vor Augen flattert:
so rennst du und verfolgst, was flieht vor dir,
indes dein Kindchen, ich, wer weiß wo blieb;
doch fängst du, was du hoffst, so komm zu mir
zurück und spiel die Mutter –– küß mich lieb!

Von mir aus sollst du haben, was du willst,
wenn du zurückkommst und mein Greinen stillst.



144.

TWo loues I haue of comfort and dispaire,
Which like two spirits do sugiest me still,
The better angell is a man right faire:
The worser spirit a woman collour’d il.
To win me soone to hell my femall euill,
Tempteth my better angel from my sight,
And would corrupt my saint to be a diuel:
Wooing his purity with her fowle pride.
And whether that my angel be turn’d finde,
Suspect I may, yet not directly tell,
But being both from me both to each friend,
I gesse one angel in an others hel.

Yet this shal I nere know but liue in doubt,
Till my bad angel fire my good one out.

Zwei Lieben habe ich zu Trost und Pein,
wie Geister rücken sie mir auf den Leib:
ein Mann der bessere Engel, schön und rein,
der bösere Geist ein mißfarbenes Weib.
Die Böse will die Hölle mir bereiten,
entzieht mir meines bessern Engels Schutz,
und um zur Teufelei ihn zu verleiten,
umwirbt sie seine Heiligkeit mit Schmutz.
Ob dieser Engel fiel, abfiel zum Feind,
vermag ich nicht zu sagen auf der Stelle;
da beide fern mir sind, einander freund,
erwart ich einen in des andern Hölle.

Doch wissen werd ichs nie, kann kaum vermuten,
mein böser Engel feuert meinen guten.


145.

THose lips that Loues owne hand did make,
Breath’d forth the sound that said I hate,
To me that languisht for her sake:
But when she saw my wofull state,
Straight in her heart did mercie come,
Chiding that tongue that euer sweet,
Was vsde in giuing gentle dome:
And tought it thus a new to greete:
I hate she alterd with an end,
That follow’d it as gentle day,
Doth follow night who like a fiend
From heauen to hell is flowne away.

I hate, from hate away she threw,
And sau’d my life saying not you.

Die Lippen, die die Liebe mach–
te, eigenhändig, hauchten dies
‘Ich hasse’ –– mir! Und ich? Ich schmach–
te! Weh war mir. Da merkte sie’s,
es kam Erbarmen in ihr Herz,
sie schalt die Zunge, die so süs–
sen Sätzen Laut gab anderwärts,
und hieß sie neu und anders grüs–
sen: ‘hasse’ –– ach, das nächste Wort,
das folgte, folgte, wie der Tag
der Nacht folgt, die wie Satan dort
gefallen in der Hölle lag.

‘Ich hasse’ –– nein; sie heilte mich,
verwarf den Haß und sprach ‘nicht dich’.


146.

POore soule the center of my sinfull earth,
[Feeding] these rebbell powres that thee array,
Why dost thou pine within and suffer dearth
Painting thy outward walls so costlie gay?
Why so large cost hauing so short a lease,
Dost thou vpon thy fading mansion spend?
Shall wormes inheritors of this excesse
Eate vp thy charge? is this thy bodies end?
Then soule liue thou vpon thy seruants losse,
And let that pine to aggrauat thy store;
Buy tearmes diuine in selling houres of drosse:
Within be fed, without be rich no more,

So shalt thou feed on death, that feeds on men,
And death once dead, ther’s no more dying then.

Du, arme Seele, trägst mich Sündenkloß,
du speist die Kraft, die dich mobilisiert;
warum –– tief innen darbst du –– hast du bloß
die Außenwand so teuer dekoriert?
Warum, wenn deine Pacht so kurz bemessen,
so hoher Aufwand –– schwindet nicht dein Haus?
Warum Exzeß? Solln Würmer alles fressen,
an dem dir liegt? Dein Leib –– lebt so sich aus?
Er dient. Du, Seele, leb von ihm und laß
ihn darben, sei vom eignen Zuwachs schwer!
Verkaufe Stunden, kaufe Gottes Maß!
Sei innen reich gespeist, nicht außen mehr:

So speist du dich vom Tod, der Menschen speist,
und stirbt der Tod, verstirbt, was Sterben heißt.


147.

MY loue is as a feauer longing still,
For that which longer nurseth the disease,
Feeding on that which doth preserue the ill,
Th’vncertaine sicklie appetite to please:
My reason the Phisition to my loue,
Angry that his prescriptions are not kept
Hath left me, and I desperate now approoue,
Desire is death, which Phisick did except.
Past cure I am, now Reason is past care,
And frantick madde with euer-more vnrest,
My thoughts and my discourse as mad mens are,
At randon from the truth vainely exprest.

For I haue sworne thee faire, and thought thee bright,
Who art as black as hell, as darke as night.

Ein Fieber, meine Liebe. Stetes Sehnen
nach dem, was Leiden in die Länge zieht.
Es speist sich aus der Krankheit, füttert jenen
unsteten, siechen, eitlen Appetit.
Vernunft, die Ärztin meiner Liebe war,
–– verärgert, denn ich hielt nicht die Diät ––
verließ mich. Ich verzweifle. Ich erfahr,
daß Sehnsucht Tod ist, der die Kur verschmäht.
Erledigt –– Kur. Vernunft –– das ist vorbei.
Die Unrast wächst. Ich rase, bin verrückt.
Was ich gedacht, gesagt, war Raserei,
weit von der Wahrheit, vage ausgedrückt:

Ich hab dich ‘licht’ beschworen, ‘hell’ gedacht;
was bist du? Schwarze Hölle, finstre Nacht.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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