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William Shakespeare: Sonett 1 - 7

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I. 1–7. BEAUTIES ROSE –– distill’d

Der Dichter beginnt mit seinen Procreation Sonnets, d.h. er wendet sich als reifer Mann an einen jungen und bemüht Gott und die Welt, um ihn von der Notwendigkeit der Zeugung zu überzeugen, auf daß er in seinem Sohn erneuert weiterlebe. Das sachliche Stichwort increase (Zuwachs) und die gelegentlich drastische Darstellung bilden allerdings nur den Vordergrund;
dahinter steht der tiefe Ernst des memento mori.

Das erste Septett nennen wir BEAUTIES ROSE––distil’d, weil Shakespeare mit dieser uralten Metapher einsetzt, aber nicht ohne darauf hinzuweisen, daß es eigentlich auf das Reis dieser Rose ankomme. Er kritisiert die gedankenlose Selbstbezogenheit des jungen Mannes und warnt vor dem Grab. Schönheit, sagt Sonett 4, sei ein Legat, eine Leihgabe der Natur, mit der er wuchern müsse. Shakespeare nennt das beauties vse. Die Sonettpaare 2/6 und 3/5 rahmen diese Mittelachse des Septetts und argumentieren mit dem hideous winter, der ihn bedrohe, und der Hauptfeindin des Dichters: neuer-resting time. Wenn Sonett 7 den jungen Mann warnt, sich selber aus-zugehen am Mittag schon, vnlesse thou get a sonne, dann meint get natürlich beget, und sonne (Sohn) ist ein Wortspiel auf Sunne.


1.

FRom fairest creatures we desire increase,
That thereby beauties Rose might neuer die,
But as the riper should by time decease,
His tender heire might beare his memory:
But thou contracted to thine owne bright eyes,
Feed’st thy lights flame with selfe substantiall fewell,
Making a famine where aboundance lies,
Thy selfe thy foe, to thy sweet selfe too cruell:
Thou that art now the worlds fresh ornament,
And only herauld to the gaudy spring,
Within thine owne bud buriest thy content,
And tender chorle makst wast in niggarding:
         Pitty the world, or else this glutton be,
         To eate the worlds due, by the graue and thee.

Vom Schönsten wünschen wir uns, daß sichs mehrt,
auf daß der Schönheit Rose niemals sterbe
und, wo die reifere der Zeit gehört,
ein Reis erwachse, das ihr Wesen erbe.
Doch du, ins eigne Augenspiel vergafft,
nährst deines Lichtes Flamme und nimmst ab,
hast Überfluß in Mangel umgeschafft,
bist selbst dir feind, bringst selber dich ins Grab.
Du –– jetzt das frische Ornament der Welt,
nur du der Herold, den der Frühling sendet ––
begräbst in deinem Keim, was er enthält:
dein süßes Selbst –– ein Knicker, der verschwendet.
          O gib es dieser Welt, es kommt ihr zu!
          Wo nicht, vernichtet ihrs, das Grab und du.


2.

VVHen fortie Winters shall beseige thy brow,
And digge deep trenches in thy beauties field,
Thy youthes proud liuery so gaz’d on now,
Wil be a totter’d weed of smal worth held:
Then being askt, where all thy beautie lies,
Where all the treasure of thy lusty daies;
To say within thine owne deepe sunken eyes,
Were an all-eating shame, and thriftlesse praise.
How much more praise deseru’d thy beauties vse,
If thou couldst answere this faire child of mine
Shall sum my count, and make my old excuse
Proouing his beautie by succession thine.
          This were to be new made when thou art ould,
          And see thy blood warme when thou feel’st it could.

Wenn vierzig Winter deine Stirn berannt
und tiefe Furchen dir ins Feld gegraben,
wird deiner Jugend stolzes Prunkgewand
zerschlissen sein, den Wert verloren haben.
Und dann, gefragt, wo all dein Glanz geblieben,
wo all der Reichtum deiner Lebenslust,
zu sagen : tief den Augen eingeschrieben,
wär leeres Lob, es fräße dich der Frust.
Doch hättst du deine Schönheit eingesetzt,
dann sagtest du : dies schöne Kind ist mein;
bin ich auch alt, dies zieht die Summe jetzt
für mich –– und seine Schönheit wäre dein.

Das hieße, noch im Alter neu erstehn,
dein kaltes Blut im warmen strömen sehn.



3.

LOoke in thy glasse and tell the face thou vewest,
Now is the time that face should forme an other,
Whose fresh repaire if now thou not renewest,
Thou doo’st beguile the world, vnblesse some mother.
For where is she so faire whose vn-eard wombe
Disdaines the tillage of thy husbandry?
Or who is he so fond will be the tombe
Of his selfe loue to stop posterity?
Thou art thy mothers glasse and she in thee
Calls backe the louely Aprill of her prime,
So thou through windowes of thine age shalt see,
Dispight of wrinkles this thy goulden time.

But if thou liue remembred not to be,
Die single and thine Image dies with thee.

Sieh in den Spiegel, sage dem Gesicht:
Jetzt ist es Zeit, ein andres zu gestalten.
Erneuerst du’s in seiner Frische nicht ––
wie soll sich Welt, wie Mutterglück entfalten?
Wo wär ein Weib so schön, daß es den Schoß,
noch ungepflügt, nicht deinem Pflug vertraute?
Wer wär so blind, daß er der Ichsucht bloß
das Grabmal baut und ein Danach verbaute?
Du bist der Spiegel, ruft die Mutter doch
in dir den lieblichen April zurück;
auch du wirst trüb, indes, du hättest noch
trotz Runzeln deine goldne Zeit im Blick.

Doch lebst und prägst du dich nicht tiefer ein,
so stirb mit deinem Inbild, und allein.


4.

VNthrifty louelinesse why dost thou spend,
Vpon thy selfe thy beauties legacy?
Natures bequest giues nothing but doth lend,
And being franck she lends to those are free:
Then beautious nigard why doost thou abuse,
The bountious largesse giuen thee to giue?
Profitles vserer why doost thou vse
So great a summe of summes yet can’st not liue?
For hauing traffike with thy selfe alone,
Thou of thy selfe thy sweet selfe dost deceaue,
Then how when nature calls thee to be gone,
What acceptable Audit can’st thou leaue?

Thy vnus’d beauty must be tomb’d with thee,
Which vsed liues th’executor to be.

Warum, verschwenderische Lieblichkeit,
willst dein Legat du ganz für dich behalten?
Natur gibt nichts zueigen, nein, sie leiht,
leiht denen, die wie sie sich frei entfalten.
Was unterschlägst du, Knicker, alles das,
was dir gegeben wurde, um zu geben?
Was setzt du ein? Der Summen Summe? Laß!
Du wucherst und verlierst, weißt nicht zu leben.
Verkehr zu haben nur mit dir allein,
bedeutet doch, dich um dich selbst betrügen;
ruft die Natur dich ab, was wird es sein,
das letztlich zählt? Was wird dein Erbe wiegen?

Die Schönheit, ungenutzt, muß mit ins Grab;
genutzte lebte, legte Zeugnis ab.


5.

THose howers that with gentle worke did frame,
The louely gaze where euery eye doth dwell
Will play the tirants to the very same,
And that vnfaire which fairely doth excell:
For neuer resting time leads Summer on,
To hidious winter and confounds him there,
Sap checkt with frost and lustie leau’s quite gon.
Beauty ore-snow’d and barenes euery where,
Then were not summers distillation left
A liquid prisoner pent in walls of glasse,
Beauties effect with beauty were bereft,
Nor it nor noe remembrance what it was.

But flowers distil’d though they with winter meete,
Leese but their show, their substance still liues sweet.

Die, deren stilles Stundenwerk so fein
den schönen Schein, drauf jedes Auge ruht,
gewoben hat, wird die Tyrannin sein,
die ihn zerreißt in ihrem Übermut:
Nie rastet sie, die Zeit, der Sommer geht
den Winter an, und der bringt ihn zu Fall,
erstarrt der Saft im Frost, das Laub verweht,
beschneit die Schönheit, Kahlheit überall.
Wär nicht des Sommers Duft als Destillat
noch da, ein Naß, in enges Glas gesperrt,
wär mit der Schönheit auch ihr Resultat
dahin, vergessen ; nie davon gehört.

Nur destillierte Blüten überstehn
den Winter –– als Essenz ; der Schein muß gehn.


6.

THen let not winters wragged hand deface,
In thee thy summer ere thou be distil’d:
Make sweet some viall; treasure thou some place,
With beautits treasure ere it be selfe kil’d:
That vse is not forbidden vsery,
Which happies those that pay the willing lone;
That’s for thy selfe to breed an other thee,
Or ten times happier be it ten for one,
Ten times thy selfe were happier then thou art,
If ten of thine ten times refigur’d thee,
Then what could death doe if thou should’st depart,
Leauing thee liuing in posterity?

Be not selfe-wild for thou art much too faire,
To be deaths conquest and make wormes thine heire.

Drum laß die rauhe Winterhand nicht an
dein Sommerantlitz, eh du destilliert.
Gib Süße dem Gefäß, auf daß es dann,
bevor sie stirbt, die Schönheit potenziert.
Es ist nicht Wucher, wenn du etwas leihst,
was deine Schuldner überaus entzückt ––
für dich ein andres Du zu zeugen, heißt,
und zehn für eins, daß zehnmal du beglückst.
Wärst zehnmal glücklicher, als du es bist,
wenn deiner zehn dich zehnmal wiedergäben.
Was bliebe dann dem Tod nach deiner Frist?
Du ließest dich zurück –– zum Weiterleben.

Bist viel zu schön, dem eignen Selbst zu sterben;
drum mach die Würmer nicht zu deinen Erben.



7.

LOe in the Orient when the gracious light,
Lifts vp his burning head, each vnder eye
Doth homage to his new appearing sight,
Seruing with lookes his sacred maiesty,
And hauing climb’d the steepe vp heauenly hill,
Resembling strong youth in his middle age,
Yet mortall lookes adore his beauty still,
Attending on his goulden pilgrimage:
But when from high-most pich with wery car,
Like feeble age he reeleth from the day,
The eyes (fore dutious) now conuerted are
From his low tract and looke an other way:

So thou, thy selfe out-going in thy noon:
Vnlok’d on diest vnlesse thou get a sonne.

Bei Sonnenaufgang, wenn das edle Licht
sein brennend Haupt erhebt und neu ersteht
vor unsern Augen –– ehren wir es nicht,
bewundern seine hehre Majestät?
Und hats den Himmelshügel dann erreicht,
den Mittagsgipfel jugendlicher Kraft,
geleiten unsre Blicke es vielleicht
noch immer auf der goldnen Wanderschaft.
Doch rollt der Wagen müde vom Zenith,
wie altersschwach, und läßt den Tag zurück,
sind weggewandt die Augen, keines sieht
der Niederfahrt mehr zu, mit keinem Blick.

Auch du gehst selbst dir aus am Mittag schon,
stirbst unbeachtet, zeugst du keinen Sohn.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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