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Walter Kappacher: Trakls letzte Tage & Mahlers Heimkehr

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Jan Kuhlbrodt

Kappachers Trakl
Dichtung und Vision


Zum Hundertsten Mal jährte sich in diesem Jahr der Beginn des ersten Weltkrieges, jenes Ereignis, mit dem letztlich das bisher blutigste Jahrhundert der Menschheitsgeschichte begann. Viel ist darüber geschrieben worden. Einiges von Schuld und einiges, das diese Schuld relativieren soll. Das Vorkriegseuropa wird in einigen Texten behandelt, wie ein zwar junger, aber doch schwermütiger Dichter.

Aber Europa war und ist eine politische Konstruktion und die Gründe die zum Ausbruch der großen Zerstörung führten sind nicht in mythischen Bildern zu suchen und auch nicht in einer fehlenden Konversation der Protagonisten oder einer Reihe von Missverständnissen. Und vor allem: Dieser Krieg war keine Kunstaktion, sondern politische Realität, Ausdruck aggressivster Positionen und wirtschaftlicher Interessen und für viele Künstler das Ende der Kunst, und vor allem das Ende des Lebens.

Zum hundertsten Mal jährte sich in diesem Jahr auch der Todestag des österreichischen Dichters Georg Trakl.

Einiges ist darüber geschrieben worden. Dichter und Dichterinnen der Gegenwart setzten sich mit ihm ins Benehmen. Viele auf Zuruf. Einige aber, wie Marcel Beyer zum Beispiel, aus der Nähe einer anhaltenden Auseinandersetzung heraus.

Dem Chor der Trakl-Texte schließt sich mit Trakls letzte Tage ein weiterer an. Und für mich ist er von denen, die ich gelesen habe, einer der besten.

Es ist nämlich kein Text, in dem sich ein zeitgenössisches Ich einem verstorbenen Kollegen nach dem Motto nähert Was hat der Dichter mir heute noch zu sagen und eine Kommunikation simuliert. Das wäre der einfache Weg. Nein, dieser Text versucht sich, und das eben ist heikel, an einer eher subjektiven Rekonstruktion des verstorbenen Autors. Mit Mitteln der Postmoderne treibt er sie an ihr Ende, oder vielmehr zurück an ihren Beginn. Und das ist erstaunlich, dieser Text gelingt.

Trakls letzte Tage. Eine Engführung also von Kriegsbeginn und dem Ende des Dichters. Die Daten legen das nahe.

Kappachers Text also ist eine Art Requiem.
Nicht so allerdings, dass der nahende Tot die Gedanken des Dichters durchtränkt.
Dennoch findet der rekonstruierte Trakl in den Ereignissen des beginnenden Krieges, die er miterlebt, die Visionen der Dichter, die er liest, bestätigt. Und auch die düsteren Visionen der eigenen Dichtung.
Die Schlacht bei Grodek scheint zu sein, wohin die Sache treibt, die wir Geschichte nennen.
Trost spielt sich im Jenseits ab, was er aber erlebt ist schwarzes Diesseits. Schwärzer geht es nicht.

Und so sieht Kappachers Trakl die dunkle Seite der eigenen Gedichte sich erfüllen. Der Text ist durchschossen mit ihren Passagen.

Als Leipziger freut mich natürlich die Begegnung mit dem Dichter Johann Christian Günther, die das Buch mir beschert. Günther starb im gleichen Alter wie Trakl, nur eben zweihundert Jahre früher und nicht im Krieg sondern an Armut und Krankheit. Als einer der ersten hatte er versucht, als freier Schriftsteller sein Leben zu fristen, und sein Medizinstudium abgebrochen. Darauf wurde er von seinem Vater enterbt und alle familiäre Unterstützung wurde eingestellt.
Dass Trakl sich in dessen Texten fand, er hatte 1914 einen Band Günthers erworben, liegt auf der Hand. Weniger begreiflich ist mir allerdings, dass Günther derart in Vergessenheit geraten konnte.
Vielleicht führt Kappachers Text zu einem Aufflammen der Rezeption.

Insofern steht am Ende des Trakl-Jahres vielleicht sogar ein Beginn und nicht nur das Wiederaufflackern überwunden geglaubter politischer Feindbilder. Aber das scheint mir eine Utopie zu sein, eine allerdings, an der ich festhalte.



Walter Kappacher: Trakls letzte Tage & Mahlers Heimkehr. Salzburg (Müry Salzmann Verlag) 2014. 96 Seiten. 19,00 Euro.

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