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Tobias Roth: Kirchspiele - Quistello, San Ancellotta

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Über den Fundamenten eines Tempelchens des 1. Jahrhunderts errichtet (nirgends steht, ob vor oder nach) steht das neue Tempelchen, das überhaupt nicht mehr datiert erscheint, Weihestädte einer nahen Verwandten der Flora, Schwägerin der Pflanzen. Ich stelle mir vor, wie aus ihren Armen die besonders roten Trauben laufen, und bis unter die Gewölbekappen, in die ein bacchischer Efeu wuchert, der Raum eines Morgens von Setzlingen überfüllt ist, zum Tag des Heiligen Bulbus, wer weiß, und die Dämmerung aus den Fenstern nicht mehr verschwindet, sobald sie wieder freigeschaufelt sind. Rot angelaufen wie der Schaum. Fundament aus Jahreszeiten, verwachsen mit Landschaft, vielleicht sogar gewachsen aus Landschaft. Der Efeu im Gewölbe wird das Mauerwerk nicht mit der Zeit auseinanderreißen, wenn Wasser einsickert und Frost entlang seiner Triebe. Der Efeu hält es zusammen, in Fresken, die aller Dürre spotten. Da sind Blüten und Früchte, Sternbilder der Vielgötterei. Als würde die Hausheilige uns gut zureden, unaufhörlich, durch Kissen aus Ginster: Proserpina ist nie entführt worden, wurde nie zwangsverheiratet, weiß nichts von Granatäpfeln, weiß nur von dunkelroten Trauben, kreist hier unaufhörlich, war nie weg, wird immer bleiben. Glaub mir, ich kenne meine Schwägerin. Geh nachsehen, wahrscheinlich ist sie draußen im Hof und füttert den Sarimanok mit meinen Trauben.


(Quistello, San Ancellotta)


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