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T.S. Eliot: Vier Quartette

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Mario Osterland

Dieser Berg ist schwer zu rodeln


T.S. Eliots lyrisches Spätwerk „Four Quartets“ in neuer Übersetzung


Es gibt auf YouTube ein Video mit dem Titel A Reader's Guide to T.S. Eliot's "Four Quartets". Dabei handelt es sich um den Mitschnitt einer Vorlesung, an deren Anfang der vortragende Professor Thomas Howard seinen Studenten einen gewissen Mut dafür attestiert, sich freiwillig mit dem Dichter zu beschäftigen. „Eliots poetry is heavy sledding“, gibt er zu. Sie ist vielschichtig und anspruchsvoll, metaphysisch und symbolisch aufge- und manchmal überladen, um nicht zu sagen: schwer verständlich. (Wohl wissend, auf welch dünnes Eis man sich mit so einer Aussage begibt.) Daher ist es naheliegend, sich Hilfe zu holen bzw. Hilfestellung zu leisten, die Lyrik zu vermitteln.

Im Falle Eliots muss die Übersetzung zwingend als Form der Hilfe angesehen werden. Auch wenn man von sich glaubt, über recht ordentliche Englischkenntnisse zu verfügen. So zitiert besagter Prof. Howard in seiner Vorlesung aus den Quartetten „Describe the horoscope, haruspicate...“ unterbricht sich an dieser Stelle und versichert dem Auditorium aus Muttersprachlern „I give you a Dollar, if you know what that means!“ Unter den lachenden Studenten findet sich kein einziger. Haruspication, klärt Howard auf, bezeichnet die Weissagung der Zukunft aus dem Lesen in Tiereingeweiden. In der nun erschienenen Neuübersetzung von Norbert Hummelt ist diese Stelle mit „im Kaffeesatz lesen“ wiedergegeben. Nur eine der zahlreichen Freiheiten, die der Übersetzer sich herausnimmt, was jedoch als zwingend notwendig erscheint.

Damit das Lesen der Vier Quartette keine Kaffeesatzleserei bleibt, empfiehlt es sich vielleicht, das Pferd von hinten aufzuzäumen und mit Hummelts sehr informativem Nachwort zu beginnen. Darin schlägt er vor, den Zugang zu diesem lyrischen Spätwerk Eliots nicht allein über dessen Ideenwelt herzustellen, die vor allem stark vom Katholizismus und dessen Mythologie geprägt ist. Die Quartette führen schon mit ihren Titeln „an diskrete Orte seiner [Eliots – M.O.] (spirituellen) Biographie“ und sind zugleich „Ausgangspunkt für weitausgreifende Reflexionen über Zeit und Ewigkeit und den Sinn des Schreibens“. Es sind die Orte Burnt Norton, East Cocker, The Dry Salvages und Little Gidding.

Die Salvages sind eine Felsengruppe vor Cape Ann (Massachusetts), die nur bei Ebbe zu sehen ist und in deren Nähe Eliot in seiner Jugend „riskante Segeltörns“ unternahm. Die Erfahrung der rauen See, der Urgewalt des Meeres, ein im Zusammenhang mit Eliots Dichtung treffendes Vokabular, schlägt sich in The Dry Salvages entsprechend nieder. Da wird die auf dem Wasser schaukelnde Boje zur Schicksalsglocke, eine sorgenvolle akustische Begleitung für die implizite Frage: Kehren die Seeleute wieder nach Hause zurück?

...
Und unter dem Druck des schweigenden Nebels
Läutet die Glocke
Mißt Zeit, nicht die unsrige, von der nicht eiligen
Dünung geläutet, Zeit
Älter als die Zeit der Chronometer, älter
Als Zeit, bang gezählt von besorgten Frauen
Die wach liegen und die Zukunft berechnen


Das Gutshaus Burnt Norton und die Dörfer East Coker, wo Eliots Asche aufbewahrt wird, sowie Little Gidding fügen sich genauso in die poetische Meditation über Zeit und Ewigkeit ein. Diese Orte scheinen bis heute der Zeit ein wenig enthoben und bieten ihren Besuchern ein fast klischeehaftes, neogotisches, steinernes England, dessen Burgen und Kirchen noch immer gottesfürchtig die Landschaft prägen. Eliot zog es zurück in diese Landschaft, aus der heraus seine Vorfahren in die USA auswanderten. Biografisch vollzog er jenen Zirkelschluss, den auch das Christentum mit der Heimkehr in das Reich Gottes predigt und sich in dem berühmten Vers „In my beginning is my end“ manifestiert. Der Glaube an, vielmehr die Sehnsucht nach dem vorgezeichneten Weg Gottes scheint Antrieb dieser Dichtung zu sein, die auch eine Vermessung der Gültigkeiten zur Zeit ihrer Entstehung ist. Eliot schrieb die Quartette zwischen 1936 und 1942. Es schien, als würde die bereits im Ersten Weltkrieg aus den Fugen geratene Welt nun endgültig untergehen. Entsprechende apokalyptische Motive lassen sich in allen vier Gedichten zur Genüge nachweisen. Hummelt fasst diese Situation treffend zusammen: „Halt in einer haltlosen Welt bietet nur die jeder Gewißheit sich entäußernde Umkehr, der meditative Weg nach innen, in die dunkle Nacht der Seele. Dies führt Eliot in die unabdingbaren Paradoxien mystischen Sprechens.“

Für diese christliche Meditation qua Sprache bekommt das Moment der Bewegung einen hohen Stellenwert. Denn Eliots Suche nach einer Verortung ist notgedrungen eine Kreisbewegung um einen stillstehenden Kern. „Weder Fleisch noch/ fleischlos;/ Weder woher noch wohin“. Es ist ein dunkler Kern, der Geborgenheit verspricht, durch eine unverrückbare, unbewegliche, ewige Liebe, die für Eliot nur von Gott ausgehen kann „Und alle Neigung von Zeitlichem reinigt“. Da überrascht der christlich-dogmatische Hammerschlag Eliots kaum noch, wenn er sich über Esoterik, Drogen und Psychoanalyse lustig macht („die Rätsel/ Des Schicksals in Spielkarten suchen, mit Pentagrammen/ Und Barbituraten hantieren, oder das wiederkehrende Bild/ In vorbewußte Schrecken zerlegen –/ Den Mutterleib ausforschen, das Grab, den Traum“) und predigt: „Das sind nur erste Andeutungen,/ Fingerzeige, Rätselraten; der Rest/ Ist Gebet, Zucht, Innehalten, Denken, Handeln.“

Dass hier der große Modernisierer der Dichtung des 20. Jahrhunderts sprechen soll, ist kaum noch zu glauben. Dementsprechend skeptisch wurden die Quartette bei ihrem ersten Erscheinen in den 1940er Jahren beäugt. Aus heutiger Sicht wäre es naheliegend, Eliot mit dem populär gewordenen Kampfbegriff „Eskapismus“ zu entgegnen, wenn er den Rückzug in eine spirituelle Innerlichkeit besingt. Dafür scheint sein Sockel jedoch etwas zu hoch zu sein. Und man täte ihm auch Unrecht, würde man die Four Quartets auf ihren katholizistischen Inhalt reduzieren, denn sie sind reich an Anspielungen auf Dante, Krishna oder Buddha, aus denen Eliot sich ein weitaus vielschichtigeres Weltbild konstruiert, als es zunächst erscheinen mag.

„Man kommt mit diesen Gedichten nicht an ein Ende“, heißt es in Hummelts Nachwort. Das ist weder Resignation noch Übertreibung. Eliots Dichtung beschreibt einen Kosmos, ist weltentrückt und Welt zugleich. Dementsprechend ist es ein Glück, dass Norbert Hummelt mit seiner Neuübersetzung einen weiteren Zugang zu ihr schafft und die bisher wohl meistverbreitete deutsche Übersetzung der Quartette von Nora Wydenbruck nicht ablöst, sondern ergänzt. So wie Eliots poetische Rede mal mehr und mal weniger fließt, tun es auch die Übersetzungen. Es werden unterschiedliche Akzente gesetzt, unterschiedliche Wendungen gefunden und konstruiert, was in der Natur der Sache liegt. Dennoch scheint es gerade an den Schlüsselstellen der vier Gedichte, als müsse man Hummelts „emotionalere“ Übersetzung vorziehen. So auch bei einer der abschließenden Erkenntnisse des Zyklus.

Eliot

We shall not cease from exploration
And the end of all our exploring
Will be to arrive where we started
And know the place for the first time.


Wydenbruck, 1948

werden wir nicht nachlassen in unserem Forschen
und am Ende aller Forschungsreisen
werden wir an unseren Ausgangspunkt gelangen
und zum ersten Mal den Ort wahrhaft erkennen.

Hummelt:

Wir lassen niemals vom Entdecken
Und am Ende allen Entdeckens
Langen wir, wo wir losliefen, an
Und kennen den Ort zum ersten Mal.


Wydenbruck, überarbeitet von Eva Hesse, 1972/88

Werden wir nicht nachlassen in unserem Kundschaften
Und das Ende unseres Kundschaftens
Wird es sein, am Ausgangspunkt anzukommen
Und den Ort zum ersten Mal zu erkennen.


T.S. Eliot: Vier Quartette. Four Quartets. Engl./Dt. Übersetzt von Norbert Hummelt. Berlin (Suhrkamp Verlag) 2015. 93 Seiten. 19,95 Euro.

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