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Svenja Herrmann: Die Ankunft der Bäume

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Timo Brandt


In Szenen in die Welt begeben



„Was mich taub macht
filtere ich heraus
scharf liegt es in der Hand“


Manche Gedichte von Svenja Herrmann sind mit Ortsangaben versehen: Donaudelta Rumänien, Coney Island, New York oder Bunhill Fields, London. Die Szenen, die sie von diesen Orten mitnimmt, haben kaum Spezifisches, nichts Determinierendes an sich, es sind keine Momente, die den genius loci definieren sollen. Vielmehr sind es Randerscheinungen, die sich der Atmosphäre des Ortes durch ihren individuellen Neigungswinkel entziehen, auch wenn sie an ihn angelehnt sind und gerade in seiner breiten Anwesenheit ihre kleine Autonomie verstecken und entfalten können. Denn man kann die Wirklichkeit zwar zu größeren Konstrukten auftürmen, zu Kulturen, Städten, Generationen und Bevölkerungen, ihren Mythen und Definitionen, aber die Wirklichkeit ist und bleibt eine riesige Ansammlung singulärer Erscheinungen, schon allein, weil jeder Mensch eine Welt für sich ist (die meist in größeren Konstellationen gedacht werden muss, weil alles umeinander kreist, zwangsläufig).


„Ich kann Verzweigungen erahnen
Höhenunterschiede
eine ausgedehnte Landschaft
und frage mich
durch welche unterirdischen Flussbetten
mein Blut rinnt“


Auch wenn es eine ebenfalls nicht unbedeutende Anzahl von Gedichten gibt, die sich eher inneren Erfahrungswelten annähern (das obere Zitat stammt zum Beispiel aus dem Gedicht „Anatomie“), sind es doch vor allem die Szenen und Szenerien, die Svenja Herrmanns Lyrik meiner Meinung nach ausmachen. Durch Szenen sich der Welt nähern – das ist eine gängige dichterische Praxis, mit der sich auch Herrmann in die Welt vertieft. Dabei glättet sie gleichzeitig, mit ihrer ruhigen Art der Beschreibung, die Oberflächen, was ihren Gedichten etwas sehr Plastisches gibt, allerdings mit wenig Zügen dahingehend, sich diesem Plastischen auch zu entziehen; die Bilder verkapseln sich manchmal, wo sie sich mit einer dichteren oder zur Brechung gelangenden sprachlichen Ebene freischwimmen könnten.


Die Gedichte fallen sozusagen ihren Gegenständen anheim, haben etwas leicht Untertäniges, Dienendes. Das kann man kaum einem Dichter oder eine Dichterin zum Vorwurf machen, dass er oder sie den Inkarnationen der eigenen Verse schnell das Ruder überlasst (auch wenn man, bei einem Blick in aktuelle Titel, das Gefühl bekommt, dass der Dominanz über den eigenen Stoff in der zeitgenössische Lyrik eine wichtige Rolle zukommt). Denn Dichten heißt ja nicht (zumindest nicht nur), die Welt zu sortieren, sondern die Momente der Verstrickung abzubilden; Momente, in denen man gefesselt wird von dem Ausmaß der Empfindungen und Wahrnehmungen.

„Ein Sandkorn reicht
für ein Getriebe“


Auch einen zweiten Vorwurf könnte man der Autorin machen, und dieser läuft dem ersten eigentlich zuwider. Was nämlich ebenfalls auffällt, ist die fast schon konsequente Selbstinszenierung, die Ausformung eines permanenten Ichs als Hintergrundton, die zwar nicht programmatisch ist, aber dennoch den Gedichtband unterschwellig durchdringt. Es ist keine prahlerische oder sich in den Vordergrund spielende Inszenierung – eher eine mitschwingende, diffuse Präsenz, die in den meisten Gedichten dem Reflex nachgibt, sich selbst als Achse des Ganzen zu instrumentalisieren. Dieser Reflex hat natürlich auch seinen Reiz und es gibt ja wenig Gedichte, die nicht mit dieser causa konfrontiert sind; bei denen sich nicht die Frage nach der Differenz zwischen dem schreibenden „Ich“ und dem Ausgesagten/Gesprochenen/Formulierten auftut.

„In einer Ecke flackern Kerzen
das Schnarchen auf den Bänken
ist ein Wellengang im Kirchenschiff
wo das Auf und Ab der Wolldecken
den Rhythmus vorgibt“

(Aus dem Gedicht: „Asyl“)


Aber beide Vorwürfe sollte man Svenja Herrmann nicht machen. Denn obgleich sie nicht  danebengreifen, würden sie doch voreilig ignorieren, welch krause, zarte Schönheit in ihrer Dichtung liegt. Es kommt immer darauf an, wie viel man einem Autor, einer Autorin, verzeiht, hat Heinrich Böll einmal gesagt, und für mich hat sich immer wieder erwiesen, wie Recht er damit hat.

Kritisieren ist oft leicht, braucht nur einen Ansatz. Wenn es jetzt darum geht zu beschreiben, worin genau die Schönheit von Herrmanns Lyrik liegt und wie weit verzweigt sie ist, bin ich nicht ganz sicher, ob eine Beschreibung auf das hinauslaufen kann, was ich meine.

Ich kann aber zum Beispiel beim Elend ansetzen, einem Motiv, das häufiger in den Gedichten vorkommt, dezent und meist in einer Entfernung zu der beobachtenden Warte belassen, der die tatsächliche Distanz innewohnt, die sich meist zwischen ihm (dem Elend) und der Betrachtenden auftut. In den Gedichten zu diesem Thema wird keine Evokation angestimmt, keine Vorrausage, keine Mahnung bemüht. Schlicht streift der Blick des Gedichts das Phänomen und filtert aus ihm eine kleine Prise Sehnsucht; eine Sehnsucht, die ganz tief in jeder heimatlosen Regung verzeichnet ist.

Auch über den Begriff der Stille kommt man etwas näher an die Gedichte heran. Es breitet sich oft etwas Stummes über ihre Bewegung aus. Dieses Stumme (oder Verstummte) wird gesehen und thematisiert, kleinste Regungen werden als Gegenmittel injiziert.

„Der Kirchhof gesäumt von Bänken
auf Schildern eingraviert die Namen
vergessener Schauspieler
ihre Geister rutschen weg
sobald sich jemand setzt
I would prefer to play
klagen sie –“


Kraus habe ich die Schönheit der Gedichte genannt. Luzid wäre ein anderes Wort, das eigentlich vollständig einfängt, wie die Gedichte an sich beschaffen sind. Es gibt kaum Dunkelzonen, Unklarheiten, nur Licht und Schatten, die bei aller Klarheit wiederum Unklarheiten bedingen. Denn wenn man einfach das sieht, was da ist, wird man unwillkürlich auf sich zurückgeworfen: wenn alles ganz klar ist, wie steht es mit mir? Schon in dieser Frage liegt eine Unklarheit, die, so behaupte ich, die Lyrik immer begleiten wird und auf die sie sich einlassen muss, wenn sie einen Funken Erkenntnis schlagen will. Bei Svenja Herrmann gibt es den einen oder anderen Funken. Und genug brennbares Material für Höhlengleichnis-Feuer und knisterndes Papier.  

„Bleiben die Zeichen aus
wende ich die Seite
alles ist da“



Svenja Herrmann: Die Ankunft der Bäume. Gedichte. Zürich (Wolfbach Verlag) 2017. 80 Seiten. 18,00 Euro.

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