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Slata Roschal: (Wenn sie mit ihm in der Mittagspause)

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Slata Roschal

Wenn sie mit ihm in der Mittagspause zusammen essen gehen wollte, wusste er, dass sie Geld brauchte. Dann schlug sie ihm nach dem Essen vor, kurz zusammen in einen Laden reinzuschauen, ob es da noch das und das gäbe, oder Angebote, es gab immer Angebote. Manchmal hatte er keine Zeit dafür und bot ihr an, doch selber reinzuschauen und das zu besorgen, was sie brauchte, und gab ihr Geld, das hatte sie am liebsten, wenn sie in Ruhe kaufen konnte, was sie wollte, ohne zu erklären oder sich zu rechtfertigen. Außerdem sparte er so an Zeit, und sie hatte Zeit genug, sie kaufte beinahe jeden Tag etwas ein, immer gab es etwas Dringendes und Notwendiges zu kaufen. Manchmal kaufte sie etwas für ihn, Sachen, von denen er nicht wusste, dass er sie brauchte, dass seine Sachen schon alt geworden seien und unanständig und schäbig und einfach unbequem, das sehe man doch von Weitem, wie schlecht sie sitzen würden, im Gegensatz zu neuen Sachen, selbstverständ-lichen Sachen, Schuhen, Kugelschreibern, Kaffeebechern, und es war seltsam, wie lange er ohne diese Selbstverständlichkeiten ausgekommen ist. Manchmal wollte er nicht Mittag essen und sagte, er müsse arbeiten, aber dann kam der Hunger und es blieb nichts anderes übrig, als zur Mensa zu gehen und dort vielleicht sie zu treffen. Er versuchte, sich an den wahren Werten festzuhalten, geistige Prioritäten zu setzen und dem Hohen und Übersinnlichen Vorrang zu bieten, aber sie warf seinen Prioritäten nur einen verächtlichen Blick zu und sagte, lass uns noch kurz zum Laden gehen und gucken, was es dort Neues gibt.
 

(in: Slata Roschal: Wir verzichten auf das gelobte Land. Leipzig (Reinecke & Voß) 2019. 60 Seiten. 10,00 Euro.)
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