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Sascha Kokot: Rodung

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Walter Fabian Schmid


Du musst dahin, wo es weh tut.


Endlich ist er da, der lang erwartete Debütband des 1982 geborenen Leipzigers, der seit Jahren in Zeitschriften und auf Wettbewerben präsent ist. Entsprechend breit wurden die Gedichte von Sascha Kokot und seine Poetik, die immer wieder mit einem konservativen Etikett stigmatisiert wird, schon vorab wahrgenommen. Mit der Zusammenstellung von Rodung lässt sich aber noch einmal ein ganz neuer Kokot entdecken: Neben der häufig beschworenen Archaik und Postapokalypse steckt in diesem Band eine sehr subtile politische Lyrik.

Zunächst inhärieren die Texte die allerletzte Kraft einer Naturmagie, die von einer drastischen Mystik unterhöhlt wurde und gegen die es kein Aufbäumen mehr gibt. Ohne jegliche Sentimentalität, aber mit einer erschreckenden Nüchternheit stöbert Kokot in den Resten der Zivilisation. Übrig sind nur mehr sich selbst überlassene, ruinöse Objekte und Landschaften, rauhe, grausame und verblasste Gestalten, die ihre Emotionen längst eingebüsst haben. Dennoch war dies einmal anders: Mit der thematisierten Entwurzelung, der Entfremdung und dem postkolonisierten Nomadentum wird ein schmerzlicher Verlust beim lyrischen Sprecher evoziert. In klarer Sprache und spröden Versen wendet sich dieser immer wieder verschworen zu einem Du oder Wir, das wohl dasselbe erfahren hat. Vielleicht ist es aber auch die Sehnsucht des lyrischen Sprechers nach diesem Du, dem er sich vertrauensvoll zuwendet, um verstanden zu werden.


Das Tückische der Texte Kokots ist, dass sie verdeckte Spuren legen, die immer nur kurz zum Vorschein kommen, sich aber durch den gesamten Band ziehen. Alleine mit den Kapitelnamen – Als letzte Wärmequelle, Kapitale Blockstaaten, In sicherer Verwahrung, Westwärts wildern und Das Fallen der Temperaturen – legt Kokot eine Fährte, die an die Schicksalshaftigkeit der DDR denken lässt. Der unmittelbaren Oberfläche darf man aber nicht blind trauen. Das zeigt schon der Name des ersten Kapitels. Als letzte Wärmequelle bleibt nur der innere Brand, der schmerzhaft lodernd an eine vergangene Belebtheit erinnert. Das lyrische Personal steht schutzlos in der leergeräumten Gegend und hadert mit dem Gefühl des Zurückgelassen-Seins und des Zurücklassens. Aber die Chance einer Rückkehr ist längst vertan, denn „Dein Heim ist ein begehbares Wesen / in dem unser Fehlen haust“.

Bereits das erste Kapitel ist eine Konfrontation mit der Endgültigkeit eines geographischen sowie emotionalen Exils, was aber nach der Lektüre des gesamten Bandes auch als ein retrospektiver Prolog gelesen werden kann, denn die nachfolgenden Kapitel zeichnen scheinbar die Bedingungen dafür.

In Kapitale Blockstaaten folgen Texte mit hohem Anspielungsreichtum an den Sozialismus. Auf seine latente Art verruft Kokot nicht nur den Helden-der-Arbeit-Mythos und das Schuften unter der gegebenen Norm, sondern widmet sich auch den kahlen oder gar geschleiften Orten, die der staatlich geförderte Erz- und der Uranabbau hinterließ. Die ausgebeuteten, tristen und maroden Gebiete verlegt Kokot stets ins Private einer Arbeiter- und Bauernkultur, denn nur dort wurde dies ein unmittelbares Schicksal. Mit Bezügen zur Nachkriegszeit schreibt Kokot aus der Erfahrung der Geschichte heraus und führt die damalige Aufbauliteratur ad absurdum.

Zumindest konnte man sich in so einem Land In sicherer Verwahrung fühlen. Bei Kokot meint das nichts anderes als das Gefangensein in einem Mikrokosmos, aus dem es kein Entkommen gibt, an dem man sich abreibt und das Menschsein zurückgewiesen wird. Vor dem Selbstmord schützt nur mehr der eigene, verstümmelte Körper; aber wenigstens die emotionale Kälte überlistet die Infrarotkameras auf der Flucht, denn „Die Körper geben zu wenig Wärme ab / um hier gefunden zu werden“. Nachdem ein Land zurückgelassen wird, in dem die letzten Lichter gelöscht wurden, folgen in Westwärts wildern Gedichte mit globalem Charakter und Kokot verwebt den Aufbruch in ein neues Land mit der amerikanischen Siedlungsgeschichte. In der Fremde lauern allerdings auch nur Ungewissheiten, Misstrauen, Unsicherheiten und Ängste. Zudem muss stets die Altlast der Erinnerung mitgeschleppt werden, die mit einer Radikalität beseitigt werden will: „mit Schwamm und Terpentin wird das / Bild aufgeräumt vom Überleben redet nie / mand mehr“. Denn auch in Das Fallen der Temperaturen hört die Vergangenheit nicht auf zu schmerzen. Zwar herrschen zum ersten Mal echte menschliche Beziehungen zwischen dem nach den Westwärtswilderungen zerstreuten Personal, aber es bleibt die Gesamtatmosphäre des Buches als lethargischer Streifzug durch die fortdauernden Wunden der geschichtlich geprägten Landschaften und Menschen: „jeden Tag wächst das Narbengewebe“.



Sascha Kokot: Rodung. Gedichte. Dresden (edition Azur) 2013, 88 Seiten. 19,00 Euro.

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