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Sandra Hubinger: Kaum Gewicht und Rückenwind

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Timo Brandt

Was sind Landschaften der Welt, was Landschaften der Seele?

„Wenn wir zu Bett gehen
wo Nacht sich anlehnt
Wind still in eine Ruhelage
wenige Lichter am Ufer
wenden uns Fragen ab von uns
wirr und wahr“

Man sollte der Ruhe in den Gedichten von Sandra Hubinger nicht trauen, auch wenn der beherrschte Abdruck, das Aufzählen und Scharfstellen, diese Entschleunigung, an der noch mehr reißt als nur die Zeit, ein hervorstechendes Merkmal ist und beinah so etwas wie eine Grundlage für ihre Dichtung zu sein scheint.

Denn diese Ruhe ist Teil der Oberfläche, die eine Beschreibung erst einmal darstellt; die Schrift kann sich der Oberflächlichkeit nicht gänzlich entziehen, so sehr sie auch die Tiefe sucht und evoziert. In Hubingers Gedichten leisten die Worte, leisten die Verse scheinbar wenig Widerstand gegen ihre Oberflächenstruktur, als resignierten sie ob der Tatsache, dass sie einzeln kein Riss im Gefüge der Welt sein können. Aber in ihrer scheinbar unbeteiligten Pose wissen sie doch: ihr Zusammenspiel weckt eben jenen Wunsch nach Rissen und nach Überwindung – in jenem Teil der Lesenden, der nicht nur Wahrnehmung, sondern auch ein sich „Bewusstsein“ ist.

„Kopf unter Pappeln
Speere grün zum Himmel
Aufgespießt kein Tropfen
Sommer kerbt mit seinen Farben
so und so viele Wimpernschläge
bis Schatten wieder wachsen“

Diese Einleitung führt sehr weit, mutet fast schon wie eine Erklärung an. Um es daher noch einfacher zu sagen: ich bin der Meinung, dass in diesen Gedichten eine große Spannung zwischen Oberfläche und Inhalt, Gesagtem und Vermitteltem besteht. Oftmals scheint es so, als entziehe der Verlauf des Gedichts der beobachtenden Instanz den Zugriff aufs Geschehen: ein Film läuft ab, indem das Gedicht seinen Horizont abgrast, und man könnte die Texte leicht für Schnappschüsse voll ruhender Beschau halten; mitunter wirkt die Abfolge dann schon haltlos, der Vers zu locker geknüpft.

Doch bei solch einer Herangehensweise würde man die feinen, widersprüchlichen Energien ausblenden, die in den glatten Windungen lauern, die Möglichkeit, dass hier mehrere Ebenen übereinander geschoben wirken und wir nicht nur Beschau erleben, sondern bereits Resonanz; eine Verflechtung von Gegenstand und Wahrnehmung, die fast ohne Widerstand und klare Anzeichen vonstattengeht, sich aber im lyrischen Ich niederschlägt. Dieses Ich nimmt auf, aber es nimmt das Aufgenommene auch in sich ein. Nicht durch ein Meinen oder Ausdeuten. Es trägt nur eine dünne Schicht Eigenerleben mit auf, kaum von Gewicht.
 
„Der Flusskrebs in der Donau
unter der Autobahnbrücke
so groß wie der Schuh
den ich verloren
auf einer Raststätte“

Abseits davon umgibt die Gedichte vor allem etwas Geheimnisvolles – und man hat das Gefühl, den letzten geheimnisvollen Hauch wollen sie sich auch nach der x-ten Lektüre bewahren und legen ihn deshalb an ihrer Quelle ab, machen ihn zur Grundlage.

Die Bilderwelten sind, wie bereits angedeutet, eher unaufgeregt, behutsam, mit vielen Leerstellen. Hubinger versteht es dennoch, mit wenigen Worten Atmosphären einzuleiten, Eindrücke an die Lesenden heranzutragen.

„Feuerleitern
ein Balkon trägt Baströckchen
Lampions im Wind“     
 
Die Titel der Gedichte sind zumeist sehr kurz, wirken wie ein Anknipsen, und trotz dieser Schlichtheit scheinen sie die Gedichte in ihrem Bann zu halten – manches Gedicht leidet darunter, dass es sich nicht weit genug von seinem Titel zu entfernen weiß, ihn rechtfertigen will; der Titel wird dann zum abgesteckten Umkreis, zur Vokabular-Grenze, zur Festlegung, was nicht sein müsste.

Und doch emanzipieren sich manche Gedichte virtuos von ihrer Einbettung und dem Titel, entwickeln wie aus dem Nichts neue Dynamiken. Auffällig ist dabei – und diese Beobachtung ließe sich mit den anfänglichen Anmerkungen verbinden – wie oft die geschilderten Landschaften, Orte und Beobachtungen in sich einen Reflex oder ein Echo auf die Landschaften der Seele enthalten.

„Vogelbrüder
Vogelschwestern
Im Frühlingsregen
kriechen die Würmer
in lockerer Erde“

„Kaum Gewicht und Rückenwind“ ist ein Debüt, und es weist als solches die üblichen Mängel auf: hier und da wirken die Vorstellungen, die hinter den Gedichten stehen zu einseitig und runtergebetet, und wo die Sprache nicht sicher ist, spürt man dann und wann ihre Unsicherheit.

Aber das alles zerbricht nicht die feine Balance, die Sandra Hubinger in ihren Gedichten wahrt, gegen alle Widrigkeiten, gegen die Themen, gegen das Zwanghafte der Formulierung, mit einer Sprache, die unscheinbar wirkt, diese Unscheinbarkeit jedoch zu einem Feature macht und damit zu einer Lyrik voller Wiederlesbarkeit.  

„Rote Spur von Tennissand
zwischen Kleidern nass
rieselt auf die Dielenbretter
kaum Gewicht und Rückhand
knöchelhoch Bälle am Platz
neongelb Verfilztes liegt
bei Netzen entspannt“


Sandra Hubinger: Kaum Gewicht und Rückenwind. St. Wolfgang (edition art science – Lyrik der Gegenwart, 56) 2016. 116 Seiten. 15,00 Euro.
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