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Róža Domašcyna: Variationen zum grünen zet

Gedichte > Münchner Anthologie

Róža Domašcyna


Variationen zum grünen zet


nach einem
motiv von
Jurij Chěžka



ich mochte dich z
du letztes zeichen meines alfabets
anfang den ich buchstabierte: zet
für neuzeit kindzeit
wo die uhr ein kreis war
die ziffern lichtpunkte zwischen dem zucken
das ich zerlegte zusammensetzte aufzog
zergrübelte stunden denen ich zusprach
untiefen lotete türme erstieg
zugzeit mit dem zebra zum zenit
zeitzeit wo die zäune nicht umzäunung waren
meine zehen leichten fußes drüberzogen
keine zarge zu breit war

wann ist die zeit dir zuvorgekommen


(aus: Zwischen gangbein und springbein. Gerhard Wolf Janus press,
Berlin 1995)

Jayne-Ann Igel:


Wo sich die Geister scheiden



Mit dem Ende beginnen, da, wo alles zum Punkt geronnen, hinter dem Zet ... In diesem Gedicht macht Róža Domašcyna, aufgewachsen als Kind sorbischer Eltern in der Lausitz, hineingeboren in eine zweisprachliche Verunsicherung, in die Ambivalenz von kulturellem Reichtum, Verborgen- und Isoliertheit, ganz auf der Ebene der Sprachlich-, der Schriftlichkeit eine ihrer Grunderfahrungen zum Thema. Und trifft dabei den Nagel auf den Kopf, wie kaum eine andere Autorin oder ein anderer Autor. Du letztes zeichen – als ob schon alles gesagt, geschrieben, hier nur noch ein Punkt zu machen wäre, hinterm Zet wie hinter der Geschichte, obgleich die so verheißungsvoll begonnen, mit Neuzeit und Kindheit, den Lichtpunkten im Erkundungsgebiet. Da ist nicht nur vom Abschied von einer Kindheit mit weithin offenen Räumen die Rede, in diesem Abschied von Zäunen, die nicht Umzäunung waren, schwingt der von einer Kultur mit, um die auch räumlich immer engere Grenzen gezogen werden, im Bergbaugebiet, der die Verwandlung in Abraum droht, und zum andern das Los ihrer Musealisierung. Ich vermag diese Zeilen nicht zu lesen, ohne an diesen Kontext zu denken. Und dies Zucken der Zeiger zwischen den Lichtpunkten – unwillkürlich teilt sich hier der berühmte Schlußvers aus Trakls Gedicht Untergang mit ... Im Zeitzenit finden wir die zum Abriß vorgesehenen Dörfer leer, ohne Sprache, Ankerort, selbst den Toten verloren. Hier, wo die Zäune einen Rhythmus vorstellten, ehe sie die Geister scheiden sollten, später ...

In Róža Domašcynas Gedicht verhält sich die Geschichte antizyklisch – während sich Ende 1989 die Grenzen des Landes öffnen, zeitigt diese Öffnung im Innern eine neue Art von Ein-, Aus- und Abgrenzungen. Der Zaun symbolisiert keine Grenzmarkierung mehr, die zwar zu achten, aber relativ straflos zu überwinden ist, jetzt riskiert man eine Klage. Überhaupt spielen Zäune bei Róža Domašcyna eine große Rolle, und nicht zufällig trägt ihr erster, 1991 bei Janus press erschienener Gedichtband den Titel „Zaungucker“. Beinahe chronistisch begleitet sie hier diesen nicht nur in der Lausitz, aber dort weitaus einschneidenderen Prozeß, der in politischen Kreisen euphemistisch als Transformation bezeichnet wird.

Den Zäunen eignet nun eine andere Funktion (s. Hinter meiner Zaungrenze, S. 12), es spielt eine Rolle, wer hinter dem Zaun, wer davor (s. Zaungucker in „Zaungucker“, S. 9 und Budissin 89, S. 10: auf der Reichenstraße spricht man reichsdeutsch). Und dies umreißt den letzten Kulturbruch 1989/90, der auch als ein Akt der Entfremdung resp. Fremdwerdung, Befremdung zu verstehen ist – plötzlich betrachtet man das Sorbentum nicht mehr als Bestandteil der Heimatkultur, sondern als etwas, mit dem man fremdelt (Frauen in Trachten werden außerhalb folkloristischer Darbietung belächelt und beargwöhnt – so etwa in dem Gedicht Ich ging mit Mutter, in „Zaungucker“, S. 16). Jene, die als Sorben erkennbar sind, werden zum Teil wie Aussätzige behandelt (Budissin 90 in „Zaungucker“, S. 86), unvermittelt brechen Ressentiments seitens der Mehrheitsbevölkerung auf, ist eine Art völkischer Orientierung zu beobachten.

Róža Domašcyna hat in ihren Variationen aus dem z des Grüns (zelenosć) das der Zäune, der Ein- und Ausgrenzungen, der Zucht der Gärten, der Ordnung gemacht. Wo in ihrer Übertragung des Gedichts Das grüne Gej von Jurij Chěžka ins Deutsche das z für das Grün der Gewänder junger Birken, nie geschaute Schönheiten und die grüne Gnade steht, signalisiert es in den Variationen nicht nur das Ende des Alphabets, eher ist es, als spräche das dichterische Ich gleichsam vom Ende des Lateins. Hier ist keine Gnade zu erwarten, es sei denn im Erinnerbaren und im Widersatz der eigenen Sprache. Hier offenbart vielmehr die Wirklichkeit ihr zwiespältiges Gesicht. Nein, auch in Jurij Chěžkas Gedicht wird keine Idylle beschworen, aber vielleicht doch die Möglichkeit von Trost.


: Die heimat ist, wo wüste bleibt

(„Isolationsgeschädigt“ in „Zaungucker“, S. 17)

Róža Domašcyna


Jayne-Ann Igel

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