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Rike Scheffler: der rest ist resonanz

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Tom Schulz


DER REST IST NICHT SCHWEIGEN. ODER VON DER UNENTSCHIEDENHEIT

Rike Schefflers Gedichtband „der rest ist resonanz“ bei kookbooks



Mit den Referenzen ist es so eine Sache, und in der zeitgenössischen Lyrik erscheinen die Referenzflächen oft als Tanzfläche, fast alles ist erlaubt und willkommen. Man kann zitieren und adaptieren, wen man will und wie man will - und wer klug genug ist, verwischt gleich die Spuren. Das geistige Eigentum bzw. seine fantasiereiche Enteignung besteht in der Dichtung im Verwandeln und Fortführen, in der Metamorphose und Paraphrase. Es ist legitim und gültige Praxis, dass aus dem, was es bereits gibt, nahezu unendlich geschöpft werden kann - insofern, dass daraus ein neuer Blick, eine neue Perspektive entsteht, die sich vom Zitat löst und zukünftige Zitate schafft.


So geschehen in Rike Schefflers erstem Gedichtband mit dem Titel „DER REST IST RESONANZ“. Die Lyrikerin und Songwriterin, die auch Mitglied der Berliner Lyrik-Gruppe G13 ist, führt in diesem schmalen Bändchen mit unter 50 Textseiten den Leser und die Leserin auf die Suche nach dem Selbst und dem Anderen.
„The rest ist silence.“ lässt Shakespeare Hamlet sagen, kurz bevor er stirbt. Und Horatio erwidert: „Good Night, sweet prince,/ And flights of angels sing thee to thy rest!— “.
Bei Rike Scheffler klingt das so: „zügel leichter, knochenbruch, folgt aufs neue,/ wenn du nicht kommst, lieb ich wen anders,/ bleib niederträchtig, wachse schief. sporentief,/ ruhst du in mir, trittst nach mir aus… //der rest von mir ist resonanz,/ hockt barfuß unterm küchentisch.“
Im eindrucksvollsten Kapitel des Bandes „GESCHENKT, MADAME“ findet die Autorin zu einer gelungenen Mischung aus Empfindsamkeit und einer stilprägenden coolen Ästhetik, die im Verlag kookbooks seit Jahren gepflegt wird.


Es stellt sich jedoch die Frage, aus welchem Grund noch Gedichte geschrieben werden.
Gibt es eine innere Notwendigkeit, eine Sendung, an wen auch immer - und ein bedingungsloses sich-veräußern-wollen?
Wozu dies alles: die mehr oder weniger gepflegte abgeklärte Langeweile, das Titellose, das fast schon Willkürliche des Enjambements, und letztlich die Prosa in Versen, wie sie sich auch hier wiederfindet.
Rike Scheffler könnte den Gründen auf die Spur kommen, wenn sie schreibt: „stell dich auf diese brücke./ schrei zum himmel, dass er sich duckt.“
Dass sie es zu selten tut, und ihrer Stimme (noch) nicht ganz traut, wer will es ihr verübeln? Aus der gewählten Distanz entsteht keine Nähe und Berührung - wie im ersten Kapitel „ANGENOMMEN ABER“ - wenn ein unbestimmtes „man“ alle möglichen lebendigen Pronomen ersetzt und die personale Ansprache in eher abstruser Form daherkommt: „schneller, als du denkst, wird man dir fehlen“ oder „… als erste/ sich auf die erde zu legen, wie mal gemeinsam. man bettet sich ein.“
Diese und andere Verse stehen leider für eine gewisse Unentschiedenheit und vielleicht auch Unsicherheit. Wenn Rike Scheffler dagegen auf das dialogische Prinzip von Poesie setzt, fabriziert sie wunderbare Zeilen: „fahr leis meine wangen entlang, prüf die flora/ auf allen vieren. bärenklau und bockshornklee. lies mir wieder die regeln:/ bei einem kalb meid die augen, leg die hand zärtlich an seinen huf.“
Einige ihrer Zeilen möchte man den halben Tag vor sich aufsagen: „der sturen gans melancholie/ musst ich an den kragen. sie lagert im ofen,/ denn ich ess wieder fleisch.“

Rike Scheffler hat ein bemerkenswertes und verheißungsvolles Debüt vorgelegt, ganz sicher mit Raum für weitere Resonanzen. Man wünsche ihr, dass sie den Faden der Ariadne aufnimmt, und jenes Labyrinth des Denkens und Fühlens, in dem wir leben, weiter und tiefer ergründet.



Rike Scheffler: der rest ist resonanz. Gedichte. Berlin (kookbooks) 2014. 72 Seiten. 19,90 Euro.




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