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Rafael Cadenas: Niederlage

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Foto: Vasco Szinetar

Rafael Cadenas

aus dem venezolanischen Spanisch von Geraldine Gutiérrez-Wienken und Marcus Roloff


Niederlage

Ich, der ich noch nie einen Job hatte
der ich mich jedem Konkurrenten gegenüber per se unterlegen fühlte
der ich die besten Abschlüsse praktisch ungenutzt ließ
der ich, kaum angekommen, schon wieder wegwollte (weil ich Verschwinden
für eine Lösung halte)
der schon im Voraus Verleugnete, der von den Tüchtigeren Verhöhnte
der ich mich an Wände lehne, um nicht hinzufallen
der ich mir selbst zur Witzfigur wurde
der ich glaubte, mein Vater würde ewig leben
der ich gedemütigt wurde von den Alleskönnern der Literatur
der ich eines Tages fragte, ob ich helfen könne, und die Antwort nur Gelächter war
der ich weder ein Zuhause gründen noch brillant sein oder im Leben jemals Erfolg haben werde
der ich von vielen Leuten verlassen wurde, weil ich kaum rede
der ich mich für Taten schämte, die ich gar nicht begangen hatte
der ich kurz davor war, auf die Straße zu laufen und abzuhauen
der ich eine Mitte verlor, die es nicht gab
der ich das Gespött der Leute wurde, weil ich in der Vorhölle hause
der ich niemals jemanden finden werde, der mich alimentiert
der ich von Leuten geprellt wurde, die noch schäbiger waren als ich
der ich den Rest meines Lebens bleiben werde wie ich bin, und der nächstes Jahr noch mehr
verspottet werden wird in seinem lachhaften Ehrgeiz
der ich die Ratschläge von Seiten der noch Fauleren satt habe („Hey, du bist so träge!     
Munterwerden, auf jetzt! Aufwachen!“)
der ich es nie zu einer Indienreise bringen werde
der ich Gefälligkeiten ohne Gegenleistung angenommen habe
der wie eine Feder von einer Seite der Stadt zur anderen schlingert
der ich von den anderen nur mitgeschleppt werde
der ich keine Persönlichkeit habe, und auch gar keine haben will
der ich den ganzen Tag meine Aufmüpfigkeit zurückhalte
der ich mich der Stadtguerilla nicht angeschlossen habe
der ich für mein Volk keinen Finger krumm gemacht habe
der ich nicht zur Nationalen Befreiungsfront vorstieß und darum verzweifle, und wegen vieler     
anderer Dinge, die unmöglich zu zählen sind
der ich nicht aus meinem Kerker komme
der ich überall als unnütz entlassen wurde
der ich es tatsächlich nicht zur eigenen Gattin oder bis nach Paris oder auch nur zu einem
entspannten Tag gebracht habe
der ich mich weigere, die Sachlage anzuerkennen
der ich ununterbrochen von meiner Vergangenheit schwafle
der ich seit meiner Geburt ein Idiot bin, ein richtiger Vollidiot
der ich den roten Faden des Monologs, der in mir aufgefädelt war, verlor
und nicht wiederfinden kann
der ich nie heule, wenn mir zum Heulen zumute ist
der ich für alles zu spät bin
der ich mich von ungezählten Demos und Gegendemos habe kaputtmachen lassen
der ich Sehnsucht habe nach völliger Reglosigkeit und vollendetem Trubel
der ich weder der bin, der ich bin, noch der, der ich nicht bin
der ich trotz allem einen satanischen Stolz in mir habe, und dann wieder
zum Steinerweichen devot bin  
der ich fünfzehn Jahre lang innerhalb derselben Clique lebte
der ich mich für Großes prädestiniert hielt und es zu nichts gebracht habe
der ich nie einen Schlips tragen werde
der ich unfähig bin, meinen Körper zu erfahren
der ich im Flash mein Falschsein gespürt habe, aber nicht in der Lage war, alles hinwegzufegen
und meiner Lethargie, meiner Trift und meinem Irrweg eine echte Erneuerung abzutrotzen und
stur Hand an mich legend Richtung Freitod werde ich
noch läppischer vom Boden wiederaufstehen und mich weiter bis zum Jüngsten Tag
über mich und die anderen totlachen

Rafael Cadenas: Klagelieder im Gepäck. Gedichte. parasitenpresse 2018, Köln (Aus dem venezolanischen Spanisch von Geraldine Gutiérrez-Wienken und Marcus Roloff)

Derrota

Yo que nunca he tenido oficio
que ante todo competidor me he sentido débil
que perdí los mejores títulos para la vida
que apenas llego a un sitio ya quiero irme (creyendo que
mudarme es una solución)
que he sido negado anticipadamente y escarnecido por los más
aptos
que me arrimo a las paredes para no caer del todo
que soy objeto de risa de mí mismo   
que creí que mi padre era eterno
que he sido humillado por profesores de literatura
que un día pregunté en qué podía ayudar y la respuesta fue una
risotada
que no podré nunca formar un hogar, ni ser brillante, ni triunfar
en la vida
que he sido abandonado por muchas personas porque casi no hablo
que tengo vergüenza por actos que no he cometido
que poco me ha faltado para echar a correr a la calle
que he perdido un centro que nunca tuve
que me he vuelto el hazmerreír de mucha gente por vivir en el limbo
que no encontraré nunca quien me soporte
que fui preterido en aras de personas más miserables que yo
que seguiré toda la vida así y que el año entrante seré muchas
veces más burlado en mi ridícula ambición
que estoy cansado de recibir consejos de otros más aletargados
que yo (“Ud. es muy quedado, avíspese, despierte”)
que nunca podré viajar a la India
que he recibido favores sin dar nada más a cambio
que ando por la ciudad de un lado a otro como una pluma
que me dejo llevar por los otros
que no tengo personalidad ni quiero tenerla
que todo el día tapo mi rebelión
que no me ido a las guerrillas
que no he hecho nada por mi pueblo
que no soy de las FALN y me desespero por todas estas cosas y por
otras cuya enumeración sería interminable
que no puedo salir de mi prisión
que he sido dado de baja por todas partes por inútil
que en realidad no he podido casarme ni ir a París ni tener
un día sereno
que me niego a reconocer los hechos
que siempre babeo sobre mi historia
que soy imbécil y más que imbécil de nacimiento
que perdí el hilo del discurso que se ejecutaba en mí y no
he podido encontrarlo
que no lloro cuando siento deseos de hacerlo
que llego tarde a todo
que he sido arruinado por tantas marchas y contramarchas
que ansío la inmovilidad perfecta y la prisa impecable
que no soy lo que soy ni lo que no soy
que a pesar de todo tengo un orgullo satánico
aunque a ciertas horas haya sido humilde hasta igualarme a las
piedras
que he vivido quince años en el mismo círculo
que me creí predestinado para algo fuera de lo común y
nada he logrado
que nunca usaré corbata
que no encuentro mi cuerpo
que he percibido por relámpagos mi falsedad y no he podido derribarme,
barrer todo y crear de mi indolencia, mi flotación, mi extravío,
una frescura nueva, y obstinadamente me suicido
al alcance de la mano
me levantaré del suelo más ridículo todavía para seguir burlándome
de los otros y de mí hasta el día del juicio final.

(1966)

Rafael Cadenas: Obra entera. Poesía y prosa (1958-1995). Introducción Darío Jaramillo Agudelo. Editorial Pre-Textos, 2007.

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