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Piero Ciampi: Adius

Gedichte > Münchner Anthologie

Piero Ciampi

Adius

Il tuo viso esiste fresco
mentre una sera scende dolce
sul porto.
Tu mi manchi molto,
ogni ora di più.
La tua assenza è un assedio
ma ti chiedo una tregua
prima dell'attacco finale
perchè un cuore giace inerte
rossastro sulla strada
e un gatto se lo mangia
tra gente indifferente
ma non sono io,
sono gli altri.
E così...

Vuoi stare vicina? no?
Ma vaffanculo. Ma vaffanculo.
Sono quarant'anni che ti voglio dire: ma vaffanculo.
Ma vaffanculo te e tutti i tuoi cari. Ma vaffanculo.

Ma come? Ma sono secoli che ti amo, cinquemila anni, e tu mi dici di no? Ma vaffanculo. Sai che cosa ti dico? va-ffan-culo. Te, gli intellettuali e i pirati. Vaffanculo. Vaffanculo. Non ho altro da dirti. Sai che bel vaffanculo che ti porti nella tomba? Perché io sono bello, sono bellissimo, e dove vai? Ma vaffanculo. E non ridere, non conosci l'educazione, eh? Portami una sedia, e vattene.

(Textfassung nach: Piero Ciampi: Tutta l’Opera. Hg.v. Enrico de Angelis. Mailand 1992, S.115f.)

Piero Ciampi

Adius

Dein Gesicht behauptet sich neu
Eines Abends, süß, sinkt es
Über den Hafen.
Du fehlst mir sehr,
Jede Stunde noch etwas mehr.
Deine Abwesenheit ist eine Belagerung,
Darum bitte ich um Waffenstillstand
Vor dem Endkampf,
Denn da liegt es schon, ein tatenloses Herz,
Rötlich, auf der Straße,
Und eine Katze frisst daran herum,
Inmitten unbedeutender Leute,
Aber das bin nicht ich,
Das sind die anderen.
Also...

Möchtest du in meiner Nähe bleiben? Nein?
Dann leck mich am Arsch. Dann leck mich am Arsch.
Schon seit vierzig Jahren will ich dir sagen: Leck mich doch am Arsch.
Du und alle deine Schätzchen, ihr könnt mich alle am Arsch lecken.

Ach so? Seit Jahrhunderten liebe ich dich, seit fünftausend Jahren, und du sagst nein zu mir? Dann leck mich am Arsch. Weißt du, was ich dir sage? Leck mich am Arsch, du, die Intellektuellen und die Piraten, ihr könnt mich alle am Arsch lecken. Mehr habe ich dir nicht zu sagen. Das wirst du mit ins Grab nehmen, dieses schöne: Leck mich am Arsch. Denn ich bin schön, ich bin so unheimlich schön, und du? Wo gehst du hin? Leck mich doch am Arsch. Und bloß nicht lachen, du hast doch keine Erziehung genossen, eh? Bring mir einen Sessel und verzieh dich.


(Übersetzung: Tobias Roth)

Tobias Roth

Verabschiedungen

Piero Ciampis Adius scheint, vom gravitätisch latinisierten Titel an, auf mehreren Ebenen ironische, ja sarkastische Brechungen vorzunehmen und sich in dieser Technik auch zu erschöpfen. Der Umschlagspunkt ist deutlich markiert, zerteilt das Gedicht in zwei Atmosphären; der Umschlag wird markiert, um die Mitte des Textes, durch den Einfall des Gegenübers. Das lyrische Ich spricht die Antwort Nein zwar aus, aber das Gegenüber koloriert hier im Zwischenraum der beiden Fragen deutlich die Rede. In diesem Zusammenprall von Ich und Du wird nicht nur die rhetorische Frage „Vuoi stare vicina?“ umgeworfen, die Rhetorik des ganzen Gedichtes kippt; zugleich wird in der weiblichen Endung des Adjektivs „vicina“ die Dialogsituation erst völlig geklärt, deren Genderkonstellation bis zu diesem Punkt im Grunde nur unterstellt werden konnte. Wie stets, wenn von „Brechungen“ die Rede ist, ist es geraten, genau in den Blick zu nehmen, was das Material der Operation eigentlich ausmacht, nicht zuletzt, um zu sehen, wie das Gedicht sein Material attackiert – ob es beispielsweise geradeaus auf die Sollbruchstelle losgeht, oder aber einen Riss hervortreibt, der zuvor nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Ansonsten bliebe mit der Rede vom Bruch ja nichts als, aufwertend, ein beliebtes Zauberwort, oder, abwertend, die Feststellung des Gedichtes als schlichtes Umschlagen einer bereits-ironischen Ausgangssituation in einen bloß-sarkastischen Endzustand. Für das Adius fragt es sich, ob hier überhaupt eine Brechung vorliegt, und ob nicht vielmehr, dem Titel folgend, eine Verabschiedung inszeniert wird, die das Verabschiedete intakt lässt.

Die Wege des Petrarkismus sind unergründlich. Es gibt im Text keinen Anlass, die Liebesrede des Beginns als bereits-ironisch zu lesen. Die Kernkonzepte in der Beschreibung des Gegenübers und in der Beschreibung des lyrischen Ichs weisen darauf hin, dass es sich um eine Haltung der elegisch-petrarkistischen Schmerzliebe mediterraner Tradition handelt. Die Situation ist Anbetung und Werbung, sie ist rückhaltlos, selbsterforschend, und in der Regel, wenn auch beileibe nicht ausschließlich, ergebnislos. Diese Haltung kennt keine Halbheiten, wie sie etwa durch Ironie induziert werden.
Es beginnt, bevor die Sehnsuchtssituation in ihrer naturgemäß wachsenden und eskalativen Dynamik benannt wird, mit einem Schönheitslob des Gegenübers. Die beiden Adjektive fresco und dolce, frisch/neu und süß, sind aus der Liebessprache nicht wegzudenken; gerade dolce erscheint hier mit so hoher Frequenz, dass es seine eigentliche Bedeutung geradezu völlig verlieren kann, um zu einer Spielmarke schierer Verweisung im Irrgarten der liebenden Seele zu werden. Die Auflösung von süß in bittersüß ist so ein Punkt, bei dem ich mir nie sicher bin, ob die Sprache der Beschreibung einer besonders komplexen Gefühlslage dienen soll oder ob sie mit sich selbst spielt; indes findet man es von Anfang an, ob in Sapphos glukupikron oder Ovids dulce malum.
Ovid ist auch der Stichwortgeber für den zweiten großen Bildbereich, in dem sich die Liebessituation des Beginns malt: militia amoris, die Liebe als Kriegsdienst. In diesem Kriegsdienst geht es aber weniger um die Eroberungslustigkeit des Werbenden (exemplarisch das Soldatenlieds aus dem Faust: „Das ist ein Stürmen! / Das ist ein Leben! / Mädchen und Burgen / Müssen sich geben.“), als um seine Leidensfähigkeit. Jeder Liebende leistet Kriegsdienst, heißt es in Ovids Amores I.9, für beides muss man jung sein, für beides Schlafentzug, Gewaltmärsche und Gehorsam bis zum Selbstverlust ertragen, auf der Erde schlafen, ohne Ende in Aussicht. Auch die Burg, die in der Belagerung Ciampis thematisch wird (ganz gegenteilig metaphorisiert wie im Soldatenlied), wird dort von Ovid explizit bezeichnet: „et habet sua castra Cupido“, Cupido hat seine Burgen/Feldlager.
Auch Ciampis grandioses Bild des Herzens in der Gosse, das von einer Katze benagt wird, kann noch in den Verdrehungen und den traditionsreichen Negierungen der Petrarca-Tradition aufgehen, insofern die Bildsprache neu kombiniert oder die Stilebene heruntergeregelt wird. Die Erbärmlichkeit des Bildes zielt offenbar auf das Erbarmen der Dame als Nachgeben (mercede). Was dann geschieht, kommt einer Rosskur gleich: Kompromisslose remedia amoris, Heilmittel gegen die Liebe, über die apropos Ovid ein Lehrgedicht geschrieben hat.

Was im Gedicht überrascht, ist die Entwicklung der Haltung des werbenden Ich. So drastisch seine Worte werden mögen, es ist doch kein Bruch, sondern eine Entwicklung. Es beginnt damit, dass die Frage nach der Hingabe und Liebe auf die scharfe Kante des Ja oder Nein getrieben wird. In der Möglichkeit dieser Frage schattet sich schon die Freiheit ab, die sich das werbende Ich dann umso intensiver nehmen wird, indem der Verstoßene verstößt. Indem der erwartbar Verstoßene überraschenderweise verstößt.
An dieser Haltung setzt der Text an, nicht am Liebeskonzept, das die Haltung weiterhin grundiert; es konturiert die Freiheit, Abschied zu nehmen, einseitige Entscheidung, und sich am Arsch lecken zu lassen, allseitige Aufforderung. Der Bruch besteht im Postulat, das Werben beenden zu können, es zu entziehen, während das Lieben selbst zunächst nur in einem Schweigen, in einem unmarked state verschwindet. Und sie wird wieder auftauchen: seit Jahrhunderten, seit fünftausend Jahren hatte sie Bestand, geradezu so lange, wie in Dichtung über sie gesprochen wird, und dort setzt die Freiheit an; getragen auf Schwingen gleißenden Hohns. Es wird kein Wort darüber verloren, ob das lyrische Ich noch liebt oder nicht – aber das Gegenüber kann es am Arsch lecken, der Abschied vollzieht sich in und mit der Sprache, das Werben ist beendet und die Sprache des Werbens (schön, unheimlich schön!) biegt sich zurück auf das lyrische Ich, indem es die blanke Perspektivik des Schönheitslobes herausstreicht. Gerade jenes Lob, jenes Zutragen von Liebe in dafür vorgesehenen Codes wird zur Gabe (wie im Minnesang), aber das Ausbleiben der Gegenliebe wird nicht (wie im Minnesang) Anlass zur Klage, sondern verabsolutiert ein Embargo: leck mich am Arsch. Rückkehr in Emanzipation. In der Aufforderung schließlich, etwas herbeizubringen und keinen Lohn zu erwarten, hat sich die Konstellation vollständig umgekehrt. Was bleibt, ist die Drohung jedes werbenden Ichs, das zugleich ein schreibendes oder gar singendes Ich ist: die Verfügungsgewalt über die Nachwelt im Bilde des Grabes und seiner Beschriftung innezuhaben: wo Lob hätte stehen können, prangt nun das vaffanculo.

In der Szenerie wird der Abschied zu einem Bruch zwischen Personen; im Bereich der Sprache aber geht das Gedicht (nun notwendig als Ganzes in Betracht gezogen) nicht so radikal vor, die verbrannte Erde ist der Gegenstand des Gedichtes, nicht seine Poetologie. Man kann also den Abschied des Titels nicht mit der Verabschiedung einer bestimmten Schreibweise in Verbindung bringen, das Gedicht bleibt auf sie angewiesen, gerade mit dem Zweck, den Abschied vom Gegenüber mit Nachdruck zu versehen. Nachdruck aus Fallhöhe, aus Spannung: die grandezza der Geste und die Intensität des Gefühls, das sie auslöst, speist sich ja daraus, dass sich das lyrische Ich von einer Dame des Kalibers Corinna und Laura am Arsch lecken lässt. Dann von allen, die ihr nahestehen. Dann von allen zwischen Akademikern und Freibeutern. In Kürze sind wir alle gemeint. Gerade darin bewahrt ein elegisches, ein petrarkistisches Ich seine Integrität und Immunität. Es bewahrt seine kompakte, vereinzelte Stellung, aber kehrt alle seine Vorzeichen um; gerade so, wie das Ich Petrarcas zuweilen in die Berge flieht, um den Elementen der Landschaft das Leid zu klagen, taucht das Ich Ciampis immer tiefer in die Gewässer der Sozietät ein; alle Bäume und Berge wissen um das Leid des Einzelnen, alle Menschen können den Einzelnen am Arsch lecken. Zwei Seiten einer selbstherrlichen Medaille.

Das spiegelt sich auch im Formalen des Gedichtes, neben den Verweisungsstrukturen des Wortmaterials. Alles Liedhafte ist zerbröckelt, die Reime sind in mehr geahnten, als tatsächlichen Klängen gestrandet, und ein (man könnte sagen: gefausertes) Parlando nimmt es alles an sich, Sog der Individualisierung. Mit dem Verlauf und dem Umbruch des Gedichtes geht das, was man vielleicht freien Vers nennen könnte, über in etwas, das man vielleicht Prosa nennen könnte. Mit dem Vers schwindet die Distanz, als würde das Ich immer näher an das Ohr des Gegenübers kommen, um sich unmissverständlich auszusprechen.
(Die darin ausgespielte, intensive Nonchalance könnte man in einem Moment der Verzückung als durchaus italienisch bezeichnen. Im selben Schwang müsste man dann etwa Michael Krügers Versuch einer direkten Petrarca-Verabschiedung als doch recht deutsch bezeichnen; das Gedicht, an das ich denke, heißt „Rede des Urologen nach vierzigjähriger Praxis“, und lautet schlicht zweizeilig „Jetzt verstehe ich endlich / Petrarcas Verhältnis zu Laura.“ Eine schmächtige Rede, schon hinter dem ironischen Bruch, wohlfeil; und, so müssen wir für den Arzt leider vermuten, aus denselben Lazaretten, in denen auch Francesco Berni, Joachim du Bellay und Martin Opitz umgingen.)

Piero Ciampi wurde 1934 in Livorno geboren und starb nach einem ausgesprochen unruhigen, vagabunden Leben 1980 in Rom. Ohne viel auf seine Biographie eingehen zu wollen, wird der Hinweis auf den Bericht von Francesco de Gregori genügen, dass Ciampi viele Texte auf Tischdecken kritzelte und so ein großer Teil des Oeuvres unter den roten Rändern zahlloser Weingläser verloren gegangen ist. Schnelles, unwirsches, improvisatorisches Schreiben. Ciampi hat einen großen Teil seiner Dichtungen gesungen, spätestens seit er Ende der 50er, in Paris, darauf angewiesen war, schnell Geld damit zu machen. Es existieren einige Gedichtbände, zudem ein großes Korpus von poesie inedite, zu Lebzeiten unveröffentlicht; die Sprache ist dort erheblich reduziert, lakonische Ökonomie beherrscht die Schlaglichter in den zwischenmenschlichen Abgrund. Die Musik aber, dieses Kalkül scheint stets aufzugehen, war weitaus wirkmächtiger. Erste Schallplatten erschienen Anfang der 60er, seit den 70ern arbeitete Ciampi mit dem Pianisten Gianni Marchetti (1933-2012) zusammen, der auch die Vertonung von Adius übernahm. Gedicht und Lied entstanden 1975 oder nur wenig vorher; zu einer Veröffentlichung auf Ciampis letzten Album „Piero Ciampi dentro e fuori“ 1975 kam es allerdings nicht: „per evidenti motivi“, aus offensichtlichen Gründen, heißt es hierzu in der Teilausgabe der „Canzoni e poesie“, die Enrico de Angelis 1980 herausgegeben hat.

Aus der Zusammenschau mit den gesammelten Werken über diese Teilausgabe hinaus ergeben sich zudem mehrere Parallelstellen, Verspannungen stechen ins Auge, die in der Hauptsache in die Mitte der 70er-Jahre weisen und die Virulenz des Themas der Verabschiedung beleuchten, etwa: Der Vers „l’assenza è un assedio“ taucht als Titel eines Gedichtes/Liedes auf, das auf dem genannten Album von 1975 erschien, dessen Text aber den Titelvers nicht enthält: ein Hinweis auf die Bedeutung der Zeile, die offenbar nicht mit dem ganzen Adius vom Album verschwinden sollte; der Text enthält starke, poetologische Passagen, etwa: „Le parole giocano strane / e il tramonto guarda in silenzio, / esperienza forse è in mano di altri, / poi la memoria, nascondendo il presente, / diventa ladra.“ („Die Worte spielen befremdlich / und die Dämmerung sieht es sich schweigend an, / Erfahrung liegt vielleicht in fremder Hand, / und dann wird die Erinnerung, geschoben vor Gegenwart, / zur Diebin.“) Auch Laura taucht bei Ciampi auf, bezeichnend im Gedicht „La storia del Signor YX“, bezeichnend als dessen Gattin, als Platzhalterin neben dem Platzhalter, herumgeschoben, vereinsamt. Die Eingangsszenerie des Abends taucht in einem Gedicht aus dem Band 53 Poesie von 1973 auf; eines der kurzen Gedichte nimmt die Kernvokabeln auf, beleuchtet so Konstanten von Ciampis Liebessprache, und lautet: „La sera / scende / sul porto / mentre una gonna / fruscia / fresca.“ („Der Abend / sinkt / über den Hafen / während ein Rock / frisch / raschelt.“) Und eines der zu Lebzeiten unveröffentlichten Gedichte nimmt in einer schamanischen Reduktion, in einer bedrohlichen schlichten Rückung von Imperativ zu Indikativ die Konstellation und Wirkung von Adius auf: „Vai amore vai / vai amore vai / vai amore vai / amore vai / amore va.“ („Geh Liebe geh / geh Liebe geh / geh Liebe geh / Liebe geh / Liebe geht.“) Was neben diesen Parallelstellen aus dem Text heraus Adius in die Mitte der 70er-Jahre datieren könnte, ja ziemlich genau auf 1975, wäre schließlich der Vers „Schon seit vierzig Jahren will ich dir sagen: Leck mich doch am Arsch.“ Im September 1934 geboren lässt sich davon ausgehen, dass Ciampi 1975 von „seit 40 Jahren“ sprechen konnte.
Die enge Verbindung der Gedichte mit der Musik und der unwirsche Charakter des Autors haben im Falle des Adius auch zu einer Fassungsproblematik geführt. Bei seinem letzten Auftritt in San Remo (28.8.1976) sang Ciampi das Lied in einer stark veränderten Form (bei de Angelis S.113) als in der erhaltenen Studienaufnahme, die in der Zwischenzeit längst auch hörbar erschienen ist (Text bei de Angelis S.129). Beide Fassungen erscheinen auch in der ebenfalls von Enrico de Angelis herausgegebenen Gesamtausgabe Tutta l’Opera von 1992 (dort beide Fassungen S.115f.).

Piero Ciampi










Tobias Roth

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