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Monika Rinck: Risiko und Idiotie

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Jan Kuhlbrodt


Dem Risiko folgen

Zuletzt: Warum sollte es gerade uns gelingen, das Gedicht abzuschaffen? Das wäre doch eine so triste wie hochmütige Überschätzung unserer Fähigkeiten.

Mit diesem Satz, in dem Rinck aus einem Gespräch zitiert, das sie mit Orsolya Kalász geführt hat, endet Rincks Buch natürlich nicht. Vielleicht aber ist es der Satz, um den es sich dreht.

Monika Rinck wird in diesem Jahr unter anderem mit dem Kleist Preis ausgezeichnet. Kaum eine Autorin verdient eine Auszeichnung mit diesem Namen mehr als Monika Rinck. Ist doch die Prosa des Preisnamensspenders von einer strukturellen Widerständigkeit durchzogen, einer Widerständigkeit, die in dem, dem es zu widerstehen gilt, selbst angelegt ist. Eine Widerständigkeit die der gesellschaftlichen Architektur aber selbst auch entspringt. Der dichtende Idiot ist Sollbruchstelle.

Und so entwirft Monika Rinck in ihrem Essayband Risiko und Idiotie den Idioten als personellen und personalisierten Widerhaken, als Subjekt der Struktur entsprungen, der er fremd ist, der er jedoch anzugehören scheint, so wie sie ihm anhängt.

Der Idiot ist der Unverstandene im klassischen Sinne, also der, der unverständliches Zeug redet und tut. Aber:

Was bedeutet es, nicht verstanden zu werden auf einem Feld mit ohnehin ausgelockerter Hermeneutik, wo zu dem in Zweifel steht, ob die Bemühung, Gedichte zu verstehen, überhaupt sinnvoll ist?

Dem geht Rinck im Buch nach, wobei sie sich nicht auf eine Hermeneutik zurückstutzen lässt, denn der Idiot ist kein Idiot. Er sieht sich selbst, wie er das Gedicht, die Dichtung überhaupt, die Kunst im gesellschaftlichen Raum sieht. Unverständnis ist ein gesellschaftliches Phänomen und zur Idiotie gehören immer zwei.

Ungefähr in der Mitte des Buches (im Zentrum?) findet sich der Text: Das Gedicht ist da. Hier wird Rinck deutlich, das will heißen, thesenhaft, und das erlaubt dem Autor der Rezension zu zitieren, was ihm sonst nicht gelingen will, das Rincks Sätze in einer Vorläufigkeit formuliert sind, die jedes Zitat auf tönerne Füße stellt. Das heißt aber nicht, dass man vorsichtig lesen sollte. Mancher Elefant fühlt sich wohl im Porzellanladen:

Stellen sie sich vor, sie würden alles sofort verstehen. Es gäbe keinen Widerstand, weder innerlich noch äußerlich. Müssten sie sich dann nicht darauf versteifen, dass die Welt exakt ihrem Erkenntnisvermögen entspreche, dass sie quasi kopfförmig sei, und damit die Möglichkeit von Überraschung und Erstaunen verabschieden?

Auf der Suche nach einer Antwort umkreist Rinck den Idioten, umkreist ihn, wie er sich selbst umkreist, schafft einen epistemologischen Wirbel und manchmal gerinnt einem der Gedanke zur Gewissheit, die Autorin selbst könnte der Idiot sein, doch dann löst er sich wieder auf und wird zum allgemeineren Bild, zum Schemen und zum Schema des Dichters schlechthin.

Das Buch ist mit Streitschriften unterschrieben. Doch der direkte Angriff ist die Sache des Idioten nicht. Zunächst muss er parieren, und Rinck pariert im Stile einer Aikido-Kämpferin, die die Energie des Angreifers aufnimmt und gegen ihn selbst wendet. Der Idiot steht einer Allgemeinheit gegenüber, die ihn nicht versteht, oder zumindest nicht verstehen will. Das letzte aber, was Rinck will, ist, diesem Umstand mit Larmoyanz zu begegnen. Zentrale Begriffe sind Albernheit und Humor. Und:

Der Idiot möchte gegen die allgemeine Anspannung, die sich als bloßes Funktionieren begreift und damit gleichsam verleugnet, Überspanntheit als Konstitution setzen.

Ein wichtiges Buch im Kontext der Diskussion um die Relevanz von Lyrik, aber es wäre eben nicht so wichtig, würde es sich auf den avisierten Gegenstandsbereich beschränken. Lesen!


Monika Rinck: Risiko und Idiotie. Streitschriften. Berlin (kookbooks) 2015. 272 Seiten. 19,90 Euro.

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