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Mascha Kaléko: In meinen Träumen läutet es Sturm

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Timo Brandt

Mit Heimweh belegt, mit Sehnsucht gescheucht, von Gram gezogen


„Kein Wort ist groß genug, es ganz zu sagen,
Kein Ton so rein, dass es in ihm erklingt.
Wir müssen alles in uns weitertragen,
Tief wissend, dass es endlich uns bezwingt.“

Mascha Kaléko starb am 21. Januar 1975 in Zürich in einem Hotel, während sie darauf wartete, dass in ihrem Wohnhaus in Israel der Lift repariert würde, in dem Wissen, dass sie in ihrem schlechten gesundheitlichen Zustand die Treppen der sieben Stockwerke nicht mehr bewältigen konnte. Dies und mehr schildert Gisela Zoch-Westphal, die von Kaléko zur Nachlassverwalterin ernannt wurde (und der wir eine superbe Werkausgabe und die lyrische Biographie „Die paar leuchtenden Jahre“ verdanken), in ihrem anrührenden Nachwort.

Das Nachwort trägt die Signatur 1977/2017. Vor mehr als 40 Jahren ist dieser Band mit Gedichten und Epigrammen aus dem Nachlass zum ersten Mal erschienen und wurde nun (ebenso wie „Verse für Zeitgenossen“, die ich auch hier besprochen habe) von dtv neu aufgelegt. Es ist ein Konvolut, das bereits publizierte (oft leicht modifizierte, abgeänderte) Texte enthält, aber auch Texte, die vielleicht nie veröffentlicht worden wären, hätte Kaléko die letzte Durchsicht vornehmen können. Diesen letzten Satz möchte ich nicht als Kritik missverstanden wissen. Keines der abgedruckten Gedichte ist wirklich schlecht oder peinlich, vielmehr handelt es sich bei manchen um sehr persönliche Bewältigungsgedichte, bei anderen eindeutig um Gelegenheits-verse.

„Drei Dinge sind’s, sprach der Poet,
aus denen die Musik besteht:
Die Melodie, der Rhythmus und
das Schweigen auf dem Erdenrund.“

Wobei das eigentlich stimmig ist, schließlich hat Mascha Kaléko die persönlichen Gelegenheitsverse zur Kunst erhoben wie kaum jemand anders. Im Fokus lagen bei ihr nie Luftschlösser oder Abstraktionen, sondern die heftigsten und banalste Gefühle des Alltags, des täglichen Lebens.

Allen voran: die Liebe, die sie sich „zur Heimat erkor“. In ihren ersten Gedichten besang sie die Liebe in der Großstadt, die Unfähigkeit zur Kommunikation, die Sehnsucht, die sich an leeren Hüllen reibt, an Schemen und Erinnerungen. In den nachgelassenen Gedichten befinden sich mit den „Liedern für Liebende“ einige ihrer bekanntesten Gedichte über das Vermissen und die Trennung.

„Warten heißt Welken. Nichts kehrt so zurück,
Wie’s einmal war. Wer kann das wohl ergründen?
Du wirst mich treffen, aber nicht mehr finden.
So wird es sein. Ich kenne dieses Stück.“

Das zweite große Thema war nie ein Wunschthema, sondern ein Schicksal, mit dem sie sich immer wieder auseinandersetzte: das Exil. Fast 20 Jahre lebte Mascha Kaléko in New York, nie heimisch, zu gleichen Teilen von Fern- und Heimweh heimgesucht. Hier wandelte sich die verhaltene, spitze Ironie ihrer Verse langsam in eine ebenso verhaltene, spitze Bitterkeit.

Als sie in späteren Jahren nach Berlin zurückkehrte, um Vorträge zu halten (einmal wollte man ihr auch einen Literaturpreis verleihen, aber sie lehnte ab, weil ein Mann mit SS-Vergangenheit in der Jury saß, woraufhin man ihre Vorbehalte als lächerlich abtat), war es nicht mehr ihr Berlin. Ein nachgelassenes Gedicht handelt davon, wie sie bei ihrer alten Adresse vorbeischaut:

„Hier war mein Glück zu Hause. Und meine Not.
Hier kam mein Kind zur Welt. Und musste fort.
Hier besuchten mich meine Freunde
Und die Gestapo.
Nachts hörte man die Stadtbahnzüge
Und das Horst-Wessel-Lied aus der Kneipe nebenan.
Was blieb davon?
Die rosa Petunien auf dem Balkon.“                

Neben den Exil- und den Liebesgedichten, die viel Bekanntes enthalten, gibt es noch die „Zeit- und Unzeitgedichte“ (ein Titel, der eher an Erich Fried erinnert), sowie ein Kapitel, das mit „Das letzte Jahr“ betitelt ist, außerdem eine Sammlung von Epigrammen.

In den ersten beiden Abteilungen finden sich viele, für Kaléko eher untypisch ausufernde Gedichte über das Weltenchaos und seine Abgründe. In ihnen wendet sich die Dichterin dem Tagesgeschehen zu, weil sie nichts anderes mehr hat (ihr Sohn war vor einer Weile bereits gestorben und ihr Mann vor kurzem) und wird von der ganzen Wucht der schlechten Nachrichten getroffen. Aus dieser Erschütterung entstanden Verse, die auch heute geschrieben werden könnten:

„Wie kommt es nur, dass wir noch lachen,
Dass uns noch freuen Brot und Wein,
Dass wir die Nächte nicht durchwachen,
Verfolgt von tausend Hilfeschrein.
[…]
Wie kommt es nur, dass du am Morgen
Dies alles abtust wie ein Kleid
Und wieder trägst die kleinen Sorgen,
Die kleinen Freuden, tagbereit.
Die Klugen lächeln leicht ironisch:
Ça c’est la vie. Des Lebens Sinn.
Denn ihre Sorge heißt, lakonisch :
Wo gehn wir heute abend hin?

Und nur des Toren Herz wird weise.
Sieh, auch der große Mensch ist klein.
Ihr lauten Lärmer, leise, leise.
Und lasst uns sehr bescheiden sein.“                

Wie bereits gesagt gibt es hier auch viele Gelegenheitsverse, Gedichte, die das private Unglück hin und her wälzen, es wieder und wieder vergegenwärtigen. Dazwischen aber immer Glanzstücke, wie etwa die „Elegie auf Steven“, die sie für ihren bereits mit 31 Jahren verstor-benen Sohn schrieb.

„Kein Wort vermag Unsagbares zu sagen.
Drum bleibe, was ich trage, ungesagt.
Und dir zuliebe will ich nicht mehr klagen.
Denn du, mein stolzer Sohn, hast nie geklagt.

Und hätt’ ich hundert Söhne: Keiner wäre
Mir je ein Trost für diesen, diesen einen!
Sagt ich: hundert? Ja, ich sagte hundert
Und meinte hundert. Und ich habe keinen.

Daß man doch lernte, sich vor ihm zu neigen,
Der grausam nimmt, was er so zögernd gab.
Solang mein Herz schlägt, ist darin dein Grab.
Ich setze dir ein Mal aus purem Schweigen.

Kein Wort. Kein Wort, Gefährte meiner Trauer!
Verwehte Blätter, treiben wir dahin.
Nicht, daß ich weine, Liebster, darf dich wundern,
Nur daß ich manchmal ohne Träne bin.“

Auch viele Gelegenheitsverse sind in sich gelungen, erreichen aber selten die Intensität und Innigkeit von Kalékos besten Gedichten. Die Epigramme wiederum sind oft wunderbar kurzweilig, clever, heiter, bissig, schön und nicht selten kritisch.

„Es hat sich nichts geändert hier:
Stets gab es Arme und Reiche.
So oft es sich geändert hat,
So oft blieb es das gleiche.“

Wenn ich Leuten, die ich mag, Gedichte schicke, schicke ich ihnen immer zuerst „An mein Kind“ von Mascha Kaléko; sogar wenn ich am tiefsten Punkt bin, ist mir dieses Gedicht noch ein Trost. Wenn man mich nach Gedichten für Liebeskummer fragt (gegen Liebeskummer gibt es keine Gedichte, oder?), dann empfehle ich Mascha Kaléko. Ich mag sie mehr noch als Tucholsky, mehr noch als Kästner. Warum?

Weil sie sich offenbart. Weil sie sich ohne Zögern öffnet in ihren Gedichten. Weil sie ihr Leid klagt und gleichsam das Leid ihrer Leser*innen. Weil ihr Lieben und ihre Sehnsucht ungeschönt und nicht stilisiert sind. Die Worte „ehrlich“ und „authentisch“ sind entkernt und haben ideologische Beigeschmäcker, leider, denn im Kern ist Kalékos Poesie, auch im Nachlass, genau das: offen, ehrlich, innig, authentisch.

„Man braucht nur eine Insel
allein im weiten Meer.
Man braucht nur einen Menschen,
den aber braucht man sehr.“


Mascha Kaléko: In meinen Träumen läutet es Sturm. Gedichte und Epigramme aus dem Nachlass. München (dtv) 3. Auflage (1978) 158 Seiten. 8,90 Euro.
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