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Martina Hefter: Ein paar Anmerkungen zum Format der Lese-Performance

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Martina Hefter

Ein paar Anmerkungen
zum Format der Lese-Performance.



Plötzlich blühen überall so viele Veranstaltungsformate, große und kleinere, die auf die Performativität vor allem des Gedichts und auf sein Zusammenwirken mit anderen Kunstformen setzen. Da könnte man denken, dass ich mich darüber freue. Ich war Initiatorin und künstlerische Leiterin von “Bewegungsschreiber - Dichtung trifft Tanz” und habe bei “Step-Text” mitgemacht, einer über mehrere Monate laufenden Kooperation des LCB gemeinsam mit dem Zentrum für Bewegungsforschung der FU Berlin. Ich ließ mich bei Lesungen von Stühlen fallen, während ich ein Gedicht über das Sitzen sprach, ich zog eine Kapuzenjacke auf siebzehn unterschiedliche Arten an- und aus und sagte dabei ein Gedicht vom Pulloverausziehen, und einiges mehr. Das meiste fand ich schon während ich es zeigte nicht mehr sinnvoll und künstlerisch befriedigend. Aber es musste gemacht werden, um - für mich selbst - eben herauszufinden, dass ich es nicht sinnvoll und nicht künstlerisch befriedigend finde und warum nicht. Das hat mit meiner Herkunft aus der darstellenden Praxis zu tun - lange Zeit konnte ich mir jede Darbietung vor einem Publikum, also auch das Vorlesen von Texten, nur als eine Darbietung szenischen, darstellenden, von mir aus tänzerischen Charakters vorstellen, und ich musste erst lernen, Unterscheidungen zu treffen.

Das Ganze lässt sich natürlich schon allgemeiner formulieren und, bezogen auf performatives Darbieten von Gedichten, auf einen einfachen Satz runterbrechen: Wieso sollte man es tun? Wieso Texte lesen und währenddessen wird ein Videofilm an die Wand gebeamt? Wieso Dichtung sprechen und zugleich spielt jemand Cello? Wieso sollte man zu einem Gedicht tanzen? Weil all das weniger absurd erscheint, als wenn man bei einer Lesung, während der/die Autor/in ihre Texte liest, ein zeitgenössisches Gemälde neben der/dem Lesende/n aufstellte? Das wäre doch, von der Struktur her betrachtet, das Gleiche - und die meisten Leute im Publikum würden da schon etwas komisch schauen, nicht ganz zu Unrecht. Sich auf historische Herleitungen zu beziehen, also auf (Vor-)Formen von Gedichten als kultische Handlung aus Tanz und Beschwörungsfomeln, oder später auf den Minnesang, finde ich ganz schön mutwillig, weil diese Traditionen ja schon vor sehr langer Zeit abgebrochen und verworfen worden sind. Für gegenwärtiges Arbeiten sind solche Herleitungen überhaupt nicht tauglich, finde ich.


Wieso soll ein Kunstwerk ein anderes neben sich benötigen? Um deutlicher, schöner, interessanter zu werden? Um bei Dichtung zu bleiben: Sie hat doch schon alles gesagt, was sie sagen wollte, mit ihren jeweiligen Mitteln. Stelle ich ein Musikstück daneben, oder einen Tanz, kommt viel mehr an Bedeutung dazu, als man das als Dichter/in eigentlich haben wollte.

Bei den neuen oder gar nicht so neuen Crossover-Formaten, sogenannten Lese-, Lyrik-, Literatur-, Gedicht-Performances (zum Begriff Performance sage ich später noch was) sind Autorinnen und Autoren Situationen der Präsentation ausgesetzt, denen sie sehr oft nicht gewachsen sind - manchmal, weil sie Erfahrungen und Kenntnisse für eine Präsenz, die über eine “normale” Lesung hinausgeht, nicht haben, manchmal, weil Ort und Situation nicht auf performative Arbeitsweisen eingerichtet sind. Oft auch beides. Dass sich Autorinnen und Autoren dem aussetzen, dafür gibt es hauptsächlich einen Grund: den der vorangegangenen Einladung. Es gibt ein Honorar und man erfährt Beachtung. Keinesfalls würde ich jemandem vorwerfen, eine Einladung zu einem Literaturperformance-Format anzunehmen. Das habe ich selbst schon oft gemacht, trotz meiner Vorbehalte - das Geld braucht man nun mal. Appellieren würde ich eher an die Urheber/innen solcher Formate - die häufig mit wenig Erfahrung auf diesem schwierigen Terrain agieren - sich vorher genauer mit dem Thema zu befassen und nicht - weil es gerade Mode ist, die Wasserglas-Lesung abzuschaffen - überstürzt neue Formate ins Leben zu rufen.

Bei vielen Einladungen, die ich angenommen habe, gab es ein Ungleichgewicht zwischen Anspruch und Bedingung. Nicht aus Habsucht der Veranstalter/innen, die in der Regel Literaturveranstalter/innen sind, sondern weil ihnen nicht bewusst war, was die Anforderungen an solche eher darstellenden oder bildnerischen Arbeiten sind.

Häufig soll man mit einem Honorar, das kaum höher ist als das für eine normale Lesung, einen Auftritt mit dem Charakter einer Bühnenarbeit hinlegen. Dafür braucht man Probezeiten und geeignete Räumlichkeiten, hat also viel mehr Aufwand als “nur” das Vorlesen vorzubereiten. Dieser Aufwand ist durch das Honorar keineswegs gedeckt. Was auch oft passiert: Man bekommt Einladungen, man solle “etwas mit Literatur und Tanz/Bewegung machen”, und dann ist der Raum, in dem die Veranstaltung stattfinden soll, eben der Raum, in dem sonst immer die Lesungen stattfinden, mit einem 2 x 2 m großen Lesepodest und zehn Stuhlreihen, die den Raum schon komplett füllen. Harten Estrichboden gibts noch als Dreingabe.

Zum ersten Mal habe ich jetzt die Einladung, an einem solchen größeren Format im nächsten Jahr in Berlin teilzunehmen, ausgeschlagen, aus allen diesen Gründen und noch einigen weiteren. Es hätte sich um den Auftrag zu einer Zusammenarbeit aus jeweils Komponist/in bzw. Musiker/in, Tänzer/in und Dichter/in gehandelt - wir sollten eine ca. 30-minütige Bühnenarbeit entstehen lassen. Meine Mit-Akteurinnen hätte ich mir nicht selbst suchen können, sondern sie wurden mir bereits mit der Einladung als meine Partnerinnen vorgestellt - ohne dass vorher geschaut wurde, ob unsere Verfahrensweisen überhaupt zueinander passen. Das wäre abseits von allen generellen Einwänden ein weiterer: Dass hinter solchen Projekten die Annahme zu stehen scheint, der (wenn man so will Berufs-) Status der Beteiligten allein rechtfertige schon eine Zusammenarbeit und vor allem auch ein Ergebnis. Egal, wie mutwillig und aus welch unterschiedlichen Ansätzen heraus gearbeitet wird, das Ergebnis hält man anscheinend immer für zumindest bestaunenswert, weil es eben diesen Adelsstatus von miteinander kooperierenden Kunstformen hat.

Aber wenn überhaupt, können solche Zusammenarbeiten doch nur gelingen, wenn die Beteiligten von selbst zueinander gefunden haben, und dann sind sie Ergebnisse längerer Prozesse, bei denen im Vorfeld, also bevor die Arbeit überhaupt losgeht, doch zuallererst eines geklärt sein muss: Was der Anlass ist für diese Zusammenarbeit. Nur mal was zusammen machen, weil es ja so spannend ist - das würde zumindest mir als Anlass überhaupt nicht genügen.

Womit ich beim Begriff “Performance” bin - für den ich eigentlich keinerlei Deutungshoheit beanspruchen mag. Aber ich merke oft, Verständigung darüber, was er bedeuten könnte, täte schon not. Was bei den Veranstaltern bzw. Akteuren (m/w) von Lyrik- Literatur- Gedicht- oder Lese-Performances oft außer Acht gelassen wird, ist, dass “Performance” eigentlich keine bestehenden Gattungen repräsentiert, sondern eine eigene Kunstform ist, die - und das macht es zugegebenermaßen schwierig, den Begriff einzugrenzen - mit vielen medialen Mitteln arbeiten kann, mit Stimme, Material, Raum, Bewegung, Klang, Form u.v.m. Niemals würde ich als Performancekünstlerin, die ich ja auch bin, als Material bereits bestehende Kunstwerke oder als Modul andere Kunstformen hernehmen, das schließt sich meiner Meinung nach beim Begriff Performance aus. Deswegen ist für mich der Begriff der Literatur- (oder Tanz- oder Musik-) Performance auch einer, den es gar nicht geben kann, die Bestandteile löschen sich gegenseitig aus. Genauso wie vielleicht Begriffe wie “Malerei-Musik” oder “Gedicht-Tanz” völlig absurd wären. Darüber kann man vieles in der einschlägigen Literatur nachlesen, und es gibt bestimmt auch Leute, die sich theoretisch viel besser auskennen als ich.

Aber Klarheit über die Begriffe würde ja vielleicht auch mehr Klarheit in die Projekte bringen. Bei dem Projekt, das ich jetzt ausschlug, wurde eine Probenwoche unmittelbar vor der Vorstellung anberaumt. Übernachtungskosten würden gar nicht, Fahrtkosten nur einmalig übernommen, da sich das Projekt - wie man mir in der Einladungsmail wortwörtlich mitteilte - eigentlich nur an in Berlin lebende Künstler/innen richte (wieso schreibt ihr mir dann überhaupt? dachte ich durchaus beim Lesen der Einladungsmail). Das heißt, entweder hätten wir unsere “Sache” in dieser einen Woche stemmen müssen, oder ich hätte die Fahrtkosten für zusätzliche Treffen alle selbst bezahlen müssen - die Übernachtungen und meine Lebenshaltungskosten ja sowieso. Die Höhe des Honorars lag übrigens unter tausend Euro. Ich wäre, grob überschlagen, nach Abzug von Fahrt- Übernachtungs- und Kosten des täglichen Bedarfs mit vielleicht fünfhundert Euro am Ende nach Hause gefahren, hätte aber mit Sicherheit mehr als eine Woche dafür gearbeitet.

Das alles klingt vorwurfsvoll allen Veranstaltern (m/w) solcher Formate gegenüber. Das soll es nicht sein. Ich merke aber, diese in meinen Augen fehlschlagende Praxis ist Ausdruck von Hilflosigkeit gegenüber einem Sachverhalt, den sie eigentlich gerade überwinden will: Dass die Künste jeweils gegenseitig voneinander nichts wissen und ihre Akteure ohne Bezug zueinander vor sich hin arbeiten. Zweitens ist sie auch Ausdruck dafür, dass zwar genreübergreifend gehandelt wird, wenn es um Veranstaltungsformate geht, aber genreübergreifend gedacht wird eben meistens nicht. Die Künste sollen gemeinsam agieren, aber aus ihren festgelegten Bedeutungen, Verfahrensweisen heraustreten sollen sie nicht. Ein Text ist demnach immer der Literatur zuzuordnen, eine Bewegungssequenz immer dem Tanz.
Dabei verwendet man ja in der Bildenden Kunst oder in der Performancekunst genauso Text, zum Beispiel.

Es stimmt, nichts finde ich für zeitgemäßes künstlerisches Arbeiten so essentiell wie die Beschäftigung mit anderen Kunstsparten. Ich finde es als Autorin und Performancekünstlerin unabdingbar zu wissen, wie die Diskurse, z.B. in der bildenden Kunst, verlaufen und welche Arbeiten gerade entstehen – nicht nur, weil ich neuen Input bekomme, sondern weil ich Vergleiche ziehen kann zu meinen eigenen Gebieten und künstlerische Lösungen anwenden kann, auf die ich nicht so schnell gekommen wäre, bliebe ich nur in meinem eigenen Feld.

Eine Lösung wäre vielleicht, anstelle von erzwungenen Zusammenarbeiten Akteure (m/w) aus unterschiedlichen Sparten einzuladen - und zwar keineswegs mit ihren Arbeiten, die dann zu zeigen wären, denn das wäre logistisch und finanziell gerade für Literaturveranstaltungen nicht machbar - sondern zu Gesprächen zu einem Thema. Das könnten auch die anderen Veranstalter (m/w) tun, natürlich – wieso nicht zu einem Performancefestival auch Autoren (m/w) einladen, Bildende Künstler, Musiker usw. (m/w), die dann über bestimmte Aspekte ins Gespräch finden können? Das klingt vielleicht naiv oder überdidaktisch, aber in Wirklichkeit ist es doch einfach nur pragmatisch. Ein Ansatz, eine Möglichkeit, undurchdachte Ergebnisse zu vermeiden.

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