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Manfred Chobot: Nur Fliegen ist schöner

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Timo Brandt


Gewöhnlich ist im Gedicht nichts



„wie geht es dir?

fragen sie dich
& verstopfen sich die ohren
wenn du loslegst

erwiderst du
danke gut
kann die konversation
unbehindert fortgesetzt werden“


Vieles könnte sich, was den Inhalt dieses Buches betrifft, an der Frage scheiden, ob es eine schmeichelhafte oder zweifelhafte Ehre ist, wenn man jemanden als massentauglichen Dichter bezeichnet, als Gebrauchslyriker, als Gewohnheitspoeten. Lyrik strebt selbstverständlich nicht nur nach dem Hochgeistigen und bedarf auch nicht unbedingt einer visionären Ausdrucksform, um Leserinnen und Leser zu finden, die davon berührt werden, die Aspekte ihrer Wahrnehmungswelt darin wiederfinden oder Aspekte einer möglichen Weltwahrnehmung entdecken. Vielleicht findet sie sogar mehr davon, wenn sie gar nicht erst bis zum Geistigen oder Revolutionärem vorstößt, wenn sie gar nicht erst so stark beschleunigt, dass die Achsen der Sprache nicht mehr zu sehen sind, sondern sich stattdessen mit Aufge- und Erzähltem, mit schnellem Besingen und Befinden und Bestimmen zufrieden gibt.


Dass bei einer solchen Lyrik oft der Lustfaktor fehlt, der für mich (und ich nehme an auch für viele andere) die Erfahrung eines komplexen, ambivalenten Gedichts – das den ersten und zweiten und eigentlich jeglichen Auffassungsversuch sprengt – mit ausmacht, ist das Eine. Geschmackssache könnte man da noch sagen. Dann wird halt weniger stimuliert und mehr simuliert, schwadroniert, systeminhärent transformiert und somit weniger erschlossen. Aber die viel wichtigere Frage im Hintergrund ist für mich: wenn man mit Sprache deuten kann, wie leicht oder stark, wie schnell oder wie beiläufig darf man sie auf die Phänomene auftragen, ohne dass dabei der Anstrich überflüssig oder zu deutlich als rein sprachliche Einfärbung kenntlich wird?


„am besten alle wörter in eine schachtel
legen wie zündhölzer mit geordneten
köpfen vom zahnarzt küssen lernen“


Manfred Chobot hat bereits 15 Lyrikbände veröffentlicht, eine stattliche Anzahl. „Nur Fliegen ist schöner“ ist eine Art Best of, eine Sammlung von 200 Gedichten aus allen Bänden, unterteilt in Kategorien wie Liebe, Sport, Worte, Reisen, Frust, Manfred, Politik, Seinerzeit. Chobot schreibt sowohl auf Hochdeutsch, als auch im Dialekt. Er lebt in Wien.

Was hat mich veranlasst, seinem Gedichtband eine solche Einführung vorauszuschicken? Einfach gesagt: Die häufige Wendung darin zum Einfachen, zum leichten Sinn, zur klaren Kontur. Eine Art, sich einen geregelten Grundton zu suchen und nach einer bestimmten Manier zu verfahren. Einem Ton, der ein paar Fanfaren, schöne Schnörkel und schnelle bis langsame Läufe kennt, aber keine größeren Soli, meist nur eine einfache, sicherlich meist schöne und oft auch aufmerksame Melodie, die ein bisschen ausgeformt wird.

Über den Gedichten stehen geschickte, gekonnte Titel, allerlei Anspielungen und Referenzen schmücken ihre Räumlichkeiten wie hohe, breite Bücherregale. Ich glaube, dass wenig bis nichts in diesen Gedichten künstlich ist, auch nicht gestellt oder unehrlich. Aber man erkennt das Gebastelte daran, spürt, wie sehr das Gedicht ein Gedicht sein will und deshalb auffährt, was es auffährt. Ein Krug soll gegossen werden, für ein Gefühl oder eine Idee, und der Gedichtofen ist schnell angeworfen und ein bisschen Tonmaterial schnell gebrannt. Wild greifen die Texte im gewöhnlichen und außergewöhnlichen Repertoire nach Motiven, Metaphern, Spiegeln. Und finden immer wieder zu einer erstaunlichen Leichtigkeit, die Existenz wiedergeben will. Und das auch tut, deutlich bis zärtlich.

„jahre gewichten sich zu einer summe
als wäre fliegen noch nicht erfunden
heben sich ab vom horizont
der sich krümmt wie zwei mal zwei
die rippen zeigt allemal verlötet
das lot wäre jeder waage gerecht“


Ich will es nicht zu einem wirklichen Vorwurf kommen lassen, der ungerechtfertigt und außerdem leichtfertig wäre, und auch nicht einfach ein Lob anbringen. Vielleicht lieber ein großes Lob oder einen groben Verriss schreiben? Beides wenig verlockend.  Wahrscheinlich scheitere ich an einer Einschätzung des Bandes, weil hinter dieser Lyrik nicht die Ausformulierung, sondern die Momenterscheinung steht, sie wirkt wie aufs Papier geworfen; manchmal einer Idee verpflichtet, die für ein Gedicht reicht, und manchmal nicht. Dadurch weist sie eine Form von Wirklichkeit und Daseinsnähe auf, die nicht gerade ästhetisch ist, aber dafür eine lebendige Note in sich trägt, einen zur Welt hingewandten Blick, der sich nicht einen Moment aus sich herausbegeben und die höhere Warte einnehmen will, sondern das Nächstliegende aufgreift, in sich selbst sucht, grabend und schaufelnd und sein Erleben zutage fördernd. Ein Erleben, das ebenso unbeständig wie gewöhnlich, so wiederkehrend wie besonders ist.

Chobots Gedichten fehlt ein wenig jene eigene Sprache, die bei Dichter*innen auf irgendeine Art und Weise vorhanden sein sollte. Aber dieser Fehler kann, so würde ich behaupten, ebenso gut ein Feature sein, eine Stärke. Denn egal, wer diese Gedichte liest, er oder sie wird immer ein paar Fäden finden, die auch in seinem/ihrem Kopf ausgefranst sind. Ob das ausreicht, sei dahingestellt. Obgleich viele Texte etwas routiniert wirken, haben sie bei genauerem Hinsehen auf ihrer tiefsten Ebene immer etwas Bewegtes – bewegt vom Fahrtwind, vom reißenden Fluss, von der Fallhöhe, vom Aufschwung, vom Wegdämmern des Lebens.

„wenn es zu spät geworden
sein wird
               unwiderruflich
wirst du
ins leere begreifen“



Manfred Chobot: Nur Fliegen ist schöner. Wien (Löcker Verlag) 2017. 236 Seiten. 19.80 Euro.

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