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Lyrik von Jetzt 3

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Konstantin Ames

Schlafbereich der Superlative und Abflughalle - Lyrik von Jetzt 3
und die Poesie in Zeiten von „Babelsprech“



Maßgebliche Anthologien gibt es. Kurt Pinthus’ Menschheitsdämmerung ist zu nennen; Enzensbergers Museum der modernen Poesie. Glanz vergangener Zeiten? Zentren zeitgenössischer Lyrik-Anthologien heute sind die von Axel Kutsch herausgegebenen Versnetze und das von Christoph Buchwald und (mehr oder weniger kompetenten) Mitherausgeberinnen und -herausgebern besorgte Jahrbuch der Lyrik. Das erstere ein bunter und vorwiegend interessanter Haufen oft unbekannter Beiträge zur zeitgenössischen Poesie, das zweite eine Art magisches Nadelöhr für alle, die noch nicht drin waren, und eine lästige Pflicht für die alljährlich vertretenen Diven, Grandseigneurs sowie näheren Bekannten der jeweilig mitherausgebenden Person. Ausnahmen bestätigen diese Regel.

Innerhalb dieser konkurrierenden und sich selten ergänzenden Anthologisten- und Anthologisierten-Szenen versucht auch mit Tamtam die dritte Ausgabe der Lyrik von Jetzt-Reihe Fuß zu fassen. Auch gute Anthologien brauchen eine gute Werbung, weil Lyrik es sehr schwer hat; das hat seine Gründe in der Vielzahl (nicht unbedingt Vielfalt) der Lyrik und Poesie schreibenden Mitmenschen; dazu vielleicht später einige knappe Gedanken. Zunächst: Werbung ist gut. Werbung ist „Truth/Well/Told“ (unübersehbar inszeniert in der siebenten und letzten Staffel der Hipsternovela Mad Men). Es braucht also ein Narrativ, durch das sie unverzichtbar und besonders wirkt. Im Editorial der Herausgeber (keine Frau im Team, nein) um den sympathischen Wahlwiener Robert Prosser ist wohl aus diesem Grund von Netzwerken und „Schreibkollektiven“ die Rede, von Austausch und Diskussion („Babelsprech“), aus dem dieses Buch als „Ziel“ (Editorial) hervorgegangen ist.

siebtens: kollektives singulär verwenden und umgekehrt

Das Buch selbst liegt grün in der Hand; die Generation der digital natives bleibt also beim altwehrwürdigen Format, es liegt keine CD mit Hörproben bei, was verwundert, weil doch die Schirm und Förderung gewährende Literaturwerkstatt durchaus ein Herz und Händchen fürs Auditive (lyrikline.org) und Multimediale (Zebra Poetry Film Festival) hat. Eine maßgebliche Anthologie wird Lyrik von Jetzt 3 nicht sein können, obwohl sie zahlreiche Anhaltspunkte darüber gibt, was gerade für eine bestimmte Alterskohorte (ethisch-)ästhetisch so angesagt ist, weil kaum ein darin – zumeist von Debütierenden (in spe) – eingeschlagener Weg ein zwingender ist. Sobald die Stufe vom Debütanten des Literaturbetriebs zum beobachteten Teilnehmenden überschritten ist, ändern sich erfahrungsgemäß die Parameter, die Prioritäten. Wer etwas anderes behauptet, weiß es nicht besser oder lügt aus Passion sich selbst eins in die Tasche.

Es ist die Kamerasituation: Scheinwerfer an – Unbefangenheit weg. Die verbreitete Manier einer überwiegenden Mehrzahl der Beitragenden, auf Bewährtes, bereits Publiziertes, oder immerhin Überschaubares und Geordnetes (Zyklus, tradierte Formen, Pointen, probate Motivik) zurückzugreifen – ist von daher nur allzu verständlich; wirkt aber eben auch verzagt und geht nicht selten schief. Interessanter sind allemal Beiträge, in denen ein Repertoire gezeigt wird. Eine nicht geringe Herausforderung, angesichts von maximal fünf Seiten Raum pro Kopf; erst recht mit dem Bewusstsein (bei Texteinreichung), dass es sich so oder so um einen Ort der Vielstimmigkeit handeln wird. Warum sich also die Extramühe machen, und selbst zum Chor werden? Irgendwer stellte mal fest, dass dichtende Menschen auf die Momente pfeifen, in denen zu glänzen wäre. Irgendwo zwischen „Lirumlarum Löffelstiel“ und „dérèglement de tous les sens“ wird diese Haltung vermutlich anzusiedeln sein, es ist nicht kerzengerade. Wer als Beitragender zu einer derart flamboyant beworbenen Sammlung auf Cleverness bewusst verzichtet und stattdessen den eigenen Zirkus rauslässt und nicht nur zynisch versifiziert, was er vorhat, der wagt nicht wenig. Diese Chance haben aber nur Niklas L. Niskate und Linus Westheuser voll ausgereizt. Ihr weiteres Schaffen dürfte nicht nur deshalb von Interesse sein. Das Gros des Teilnehmerfeldes ergeht sich hingegen entweder in kosmischer Schau (Himmel, Berge, Meer, Heimat und Gliedmaßen von Großmüttern), zeilenumbrochenen Reiseimpressionen (wäre ein Gedankenbuch nicht ästhetisch redlicher und ergiebiger gewesen?), Datumsspäßchen und poetischen Fingerübungen, die sich selbst als politisch zu verstehen geben und nicht lange fragen. Ich habe mich noch nie so sehr nach Diskurspop gesehnt wie nach beinah jedem Reinblättern ins Klassenzielbuch von „Babelsprech“ und dem damit verbundenen Unbehagen. All dieser Beschwur von Alleinstellungsmerkmalen, verhauchter Innerlichkeit! Tiraden und Stänkereien, die ich so läppisch noch nie gelesen hab!


Nur kein Kundengesicht

Wirkliche Begeisterung kommt bei der Lektüre der Poesie derjenigen Beiträge auf, die mit poetischen Mitteln etwas kommunizieren. Und es nachgerade nicht beim Kommunikationsversuch und der Ästhetisierung von Wahrnehmungsproblemen und dem Problematisieren von Kommunikationskanälen und Sinnen (bis in die krudeste Metaphysik hinein) gut sein lassen. Es ist für mich schier unbegreiflich, wieso die drei Herausgeber den Begriff Kommunikation nicht in den Mittelpunkt ihrer konzeptionellen Überlegungen gestellt haben. Kommunikation ist doch, fern von populären Container-Metaphern, immer ein (wie pessimistisch auch immer gestimmtes Experiment) in und mit Gemeinschaftsformen und -formationen, in diesem Zusammenhang ist das doch kaum zu übersehen. Ein elaborierter performativer Zugang zu diesem Teil Kunst, Sprachkunst, ist also unerlässlich. Wo Mündlichkeit auf dem Papier eine lebendige Konkretion sucht, muss nicht nur Skepsis walten
¹, es braucht auch sprachphilosophische Expertise („Akademismus! – Ach, Stammtisch …“), sonst wird jeder Motivballast (Himmel, Ich, Nebel, Wir, Tiere, Meer, Ficken) unerträglich; Germanistikstudium hin, Germanistikstudium her. Nicht von ungefähr sind es die Beiträge von Richard Duraj, Jan Skudlarek, Sonja vom Brocke, Sascha Kokot, Sophie Reyer, Georg Leß und Léonce Lupette, die (obwohl anscheinend auch gehörig Autobiographisches mitnotiert wird) nicht aufs Niveau naiver Bekenntnislyrik oder aufgesagter Gedankenlyrik herabsinken.

Es könnte auch passieren, dass die boshaften Meisterwerke von Jenny-Mai Nuyen, Charlotte Warsen, Maren Kames und Irmgard Fuchs ebenfalls als Bekenntnislyrik passieren oder eine vampiristische Art der Verballhornung davon.
² Die vier Dichterinnen machen aber etwas ganz anderes, wodurch ihre Texte dem Sich-Verheddern in hubernd kleingeschriebenem Parlando entgehen. Anders das Gros, dessen Texte sich an Authentizitätsfetzchen aufwickeln und klebenbleiben, sobald sie versuchen Erlebtes und Geschehenes in eine Form zu bringen, die ihnen lyrisch-atmosphärisch oder originell deucht. Herauskommen Lyrismen und augenblicklich verblassende Metaphern, die durch keine Schwäne (pardon: „(schwäne)“), keinen „fensterblick aus porzellan“, kein „klärschlammbecken“, durch keine „buchführung“ und erst recht nicht durch „Wort[?]vergießen“ oder mit einem „Messerschmidt“-Sagen („Unbeflecktt von Flugzeugen“ [sic]) auf- bzw. abzufangen sind. Es sind Bausteine zu einem Schlafbereich der superlativen Stimmungskunst.

Der poetische Nihilismus von Irmgard Fuchs, Maren Kames, Jenny-Mai Nuyen und Charlotte Warsen hält das Niveau dieses Buchs hoch, ich traue ihrer Poesie, vielleicht gerade weil es sich um Kommunikationsharakiri handelt. Ihre Texte bilden den Kern desjenigen Bereichs der Sammlung, der nicht Schlafsaal ist, sondern wohl eher die Abflughalle. Ich habe in diesem Zusammenhang Schwierigkeiten, den Begriff ‘Lyrik’ sinnvoll zu verwenden.
³


Die Beckmesserfamilie stellt erfahrungsgemäß an solche Schreibarten als erste die Formfrage
 und als zweite die Dekadenz-Frage, die sie beide eher richten sollte an die blindwütigen Paratexte (Überschriften, Motti, Bilder) ungezählter Beiträge, in denen eine feiste Art von Leserlenkung am Werk ist, die das Bedürfnis nach Pose und das rhetorische Geschick des Subjekts mehr zeigen als dessen Poesie. Die Extremformen solch junger zeitgenössischer Lyrik sind ein verdruckster Traditionalismus und ein linkischer Aushilfsexpressionismus, der sich vielleicht nicht mal als Tweet witzig läse, aber unbedingt als genial gelten will, und jetzt als Teil der „neuen Lebendigkeit“ firmiert. Der Vogone wartet schon.


Di Crâ ’guen zint tsou


Hervorzuheben sind außerdem die visuellen Arbeiten von Andreas Bülhoff und die Collagen von Dagmara Kraus. Als „maßgeblich“ würden die geschätzte Kollegin und der geschätzte Kollege ihre Beiträge aber vielleicht selbst nicht einschätzen. Ihre Arbeiten überragen auch keineswegs die Arbeiten auf dem Grenzbereich von Grafik und Poesie von Simone Kornappel, die in der Anthologie nicht vertreten ist. Überhaupt: Es fehlen viel zu viele entwickelte poetische Positionen
 (nicht Beitragende), um den Ruf, den die Anthologie gern genösse in irgendeiner Weise zu rechtfertigen. Es ist viel zu viel desselben drin, um von einem „Verzeichnis maßgeblicher deutscher Dichtung“ oder auch nur von „größtmöglicher Aufmerksamkeit für das weite Spektrum poetologischer Zugänge innerhalb der Gegenwartsdichtung“ seriös die Rede führen zu können. Es ist auch ruchbar geworden (lyrikzeitung.com), dass viele Eingeladene sich dem Projekt ostentativ verweigert haben oder (noch eilig herbeigerufen) dem Unterfangen kein Interesse zollten. Wie sehr muss Herausgeberstolz gekränkt sein, um zu einer derartig abgehobenen Behauptung wie der von der eigenen Maßgeblichkeit zu kommen?

Das reine Buchformat schließt überdies wenig erprobte mediale Zugänge zu Poesie, z.B. kollektive Arbeit an Clips, Poesiefilmen, Literaturguerilla (Sean Bonney war doch immerhin mal kurzzeitig Thema im Babelsprech-Diskurs), Lautpoesie völlig aus. Es hätte ruhig etwas mehr angewandte Kunst sein dürfen, etwas mehr von dem im Vorwort angepriesenen Feature „[N]eue Lebendigkeit“. Wo sind die Texte, die einen zerstreuten Best-Ager fragen lassen, ob der Drucker „spinnt“? Alles Versäumnisse, die  insofern schwer wiegen, als ein Gutteil der Beitragenden Schreibschulen von innen gesehen hat. Wo Raum zur Erprobung von Schreibkollektiven und gemeinsamen Projekten ist, der auch (zu meiner Zeit in Leipzig zumindest) genutzt wurde und offenbar noch genutzt wird (http://www.politischschreiben.net/). Wenn die Schreibschulen in Biel und Wien Erweiterungen und Ergänzungen des DLL und des Hildesheimer Studiengangs sind, dann kann ein Buch nicht alles gewesen sein, oder?


PROJEKT/ ABGESCHLOSSEN

An wem es gelegen hat, dass am Ende der gut gemeinten Kooperative („Babelsprech“) als Botschaft bloß ein Prestigeobjekt mit ISBN (Lyrik von Jetzt 3) und ein paar Auftritte zum Abverkauf stehen, das ist mit Blick auf zukünftige Projekte dieser Art und angesichts der Debatte um diese Publikation sicher keine ganz müßige Frage. Das erklärte Ziel von „Babelsprech“, eben die Buchpublikation, erscheint doch, wie anstrengend auch immer der Weg dahin war, ziemlich banal; gleicherweise der PR-Kitschsprech von den Netzwerken, der Sprachgrenzen überschreitenden Produktion (beides gab es angeblich vorher überhaupt nicht), der Rückversicherung der eigenen Position innerhalb der Tradition. Die Kenntnis der nach 1980 geborenen Herausgeber/Kuratoren darüber, wie es mit der Netzwerkarbeit, der Poetik, deren Realisierung, der Professionalisierung all der nicht nach 1979 geborenen Kolleg_innen bestellt ist: Sie ist entweder nicht vorhanden oder aus guten (hier: schlechten, weil kleinkarierten) Gründen totgeschwiegen worden. – Wer sich für poetologische Einsichten in das Schaffen der etwas erfahreneren Generation interessiert, wird wohl eher auf die Aufsatz- und Manifestsammlung Metonymie (Verlagshaus J. Frank, 2014) zurückgreifen, die übrigens komplett ohne institutionelle Unterstützung zustande kam.

Zugutezuhalten ist dem Projekt „Babelsprech“: Es gibt einen Blog, zwar unangenehm dem Eigenlob dienlich und mit Marketingdenk deutlich durchsetzt („Projekt/ abgeschlossen“ ist da obenan in Stempelversalien zu lesen), jedoch die Rubrik „Lyrik im Grenzgebiet“ enthaltend, und damit einige vielversprechende Ansätze zu kollektiven Produktionsweisen von Poesie. Eine maßgebliche Anthologie macht das aus dem vorliegenden (sehr abgeschlossenen) Buch nicht. Und doch steht es in einer Reihe wichtiger Maßnahmen, der Poesie per Buch etwas mehr Aufmerksamkeit über die Szeneränder hinweg zu verschaffen; etwa die beiden Bände der Anthologie Der gelbe Akrobat (poetenladen, ³2011 und 2016), die von Christian Lux edierte Anthologie freie radikale lyrik (luxbooks, 2010) oder das von Ron Winkler herausgegebene Neubuch (yedermann, 2008). Das bleibende Verdienst des mit Lyrik von Jetzt 3 verbundenen und sicherlich nicht abgeschlossenen Projekts ist es, eine beachtliche Anzahl verschiedener Akteur_innen lokaler Szenen unübersehbar miteinander ins Gespräch gebracht zu haben. Das versuchen diverse Literaturhäuser, Verlagsblogs, Festivals selbstverständlich auch – „Babelsprech“ ist es gelungen. Das ist ein nachhaltigeres Verdienst als so ein blassgrünes Buch.

Gut möglich, dass eine vierte Ausgabe der Lyrik von Jetzt mehr Warngedichte und bitterböse Satire enthielte, vielleicht aber auch Poesie für Kinder, Zaubersprüche, Verwünschungen. Es ist auffällig, dass lakonische Fügungen in der Sammlung selten (und selten gekonnt) vertreten sind; Ausnahmen sind die Epigramme von jopa jotakin und die anagrammatischen Texte und Palindrome von Titus Meyer.


jopa jotakin

sardinenparty

die gäste
dicht gedrängt
es stinkt
und alle
voll im öl



¹  Bei den Klagenfurter Metzgereifachtagen mag es keine Rolle spielen, ob das Subjekt in der Lage ist, seine Kunst ohne Mätzchen und ohne Manier darzubieten. Im echten Leben spielt das sehr wohl eine Rolle. Die eigene Bedingtheit (nicht ein gebildetes Referieren auf die conditio humana) zum Thema von Poesie werden zu lassen, wo es Lyrik schier um die Evokation von Befindlichkeit geht, letztlich ein Psychologisieren, letztlich ein Großteil Rhetorik, bloßes Konzept ist. L-Y-R-I-K – das klingt im Auslaut schon nach einem über den Kasernenhof oder den Amtsflur geschnodderten Befehl. Ich habe die Hoffnung aber längst aufgegeben, dass die Böhmermannfans unter den Polizisten- und Arztsöhnen und -Töchtern aus der interpretierend-dichtenden Klasse den Unterschied zwischen Poesie und Lyrik je kapieren werden.
² Die Beiträge dieser Autorinnen sind die einzigen Beispiele für Auszüge aus längeren Textstrecken, die nicht in irgendeiner Weise verdrießlich stimmen. Es handelte sich sonst um bloße Teaser (fürs erhoffte bzw. zu bewerbende Buch), demnach aus dem Zusammenhang Gerissenes oder um schiere Ideensammlungen ohne einen Anhub dessen, was Endler und Mickel (als Herausgeber der blockierten Anthologie In diesem besseren Land) etwas drastisch „Stoffvernichtung“ genannt haben. Dieser Makel an nicht wenigen Beiträgen der Anthologie mag herrühren von der verfeinerten Exposéschreibkunst des jüngsten Nachwuchses, der sich in einigen Fällen ein halbes oder ein volles Dutzend Stipendien Zeit lässt, bevor er die erste Publikation (nie ohne ISBN) publiziert. Hier ist dann auch der Grund zu suchen, warum es um den Ruf der Dichtkunst von heute nicht allzu bestellt ist: Etwas mehr Poesie wäre vonnöten, weniger Routinen, Manierismen im Schreibakt und durch Arroganz und Diventum überspielte Selbstzweifel bei öffentlichen Auftritten. Jedem halbwegs intelligenten Menschen muss doch klar sein: Mit Poesie ist kein Geld zu verdienen. Wer mit Poesie Karriere machen will, muss sich auf das Niveau der Lyrik herablassen, sich mit Konzept, moderater Rhetorik, mit adretten Pointen begnügen, nur dann gibt es Applaus, Auszeichnungen, Autorenreisen für eine gewisse Zeit, dann ändert sich die Mode.
³ Die Verlegenheit im Umgang mit solchen Texten kommt ganz schön im Platzhalterterm „Postpoetry“ zum Ausdruck. Dazu an anderer Stelle mehr.
… und den PROSAGEDICHT-Stempel zücken; und im Winkel von näherungsweise 90° dem Text aufdrücken.
Diese Zwischenüberschrift ist einer Collage von Dagmara Kraus entnommen (236), die davor einem Gedicht von Jenny-Mai Nuyen (285), die erste der Sentenzsammlung 21 Punkte von Niklas L. Niskate (297).
Elegien von Kerstin Preiwuß aus Rede und Mara Genschels Referenzfläche fehlen; beide waren zwar bereits in der zweiten Ausgabe vertreten, haben aber im Vergleich zu ihren Arbeiten aus den 2000er Jahren völlig neue Schreibansätze begonnen; die threnetische Lakonie aus unbekannt verzogen von Levin Westermann fehlt oder die Partiturpoesie von Thomas Havlik aus Syllables Shooter; auch künstlerisch überzeugende politische Poesie, etwa von Christian Filips oder Walter Fabian Schmid; das tänzerische Crossover von Ulrike Feibig fehlt, um nur einige derjenigen zu erwähnen, die vom Geburtsjahrgang her in das U-35-Raster gepasst hätten. Der Respekt vor dieser Altersgrenze ist, nebenbei sei’s angemerkt, auch eine schöne Verdoppelung des Literaturbetriebs in die Nachwuchsabteilung hinein. Brav! was ein Häkchen werden will, muss sich beizeiten krümmen.


Lyrik von Jetzt 3 - Babelsprech. Hrsg. von Max Czollek, Michael Fehr und Robert Prosser. Göttingen (Wallstein Verlag) 2015. 360 Seiten. 19,90 Euro.

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