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Lord Byron: Don Juan - Motto, Widmung

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Originaltext, zitiert nach: Lord Byron: Don Juan, ed. by Steffan and Pratt, Penguin Classics (1973) 1996. Don Juan (1819–1824) umfaßt 17 Cantos und blieb unvollendet. Canto I erschien 1819. Wir stützen uns auf die umfangreichen Kommentare dieser ausgezeichneten Ausgabe.


Byrons Motto:

Ein Buch mit einem Horaz-Zitat zu beginnen und es unübersetzt zu lassen, gehörte einst zum guten Ton. Zu Byrons Zeiten konnte man Latein, sofern man überhaupt lesen konnte. Byron wählte dieses Motto für die beiden ersten Ausgaben: 1819 erschienen Canto I und II, und 1821 folgten Canto III und IV.

Die stupende Knappheit des lateinischen Verses ist selbst im Englischen kaum zu erreichen. Byron notierte auf einem seiner Manuskripte eine zweizeilige Umschreibung :

‘Whate’er the critic says or poet sings,
’Tis no slight task to write on common things.’

Zu deutsch :

‘Was immer uns die Kritiker empfehlen,
es ist nicht einfach, einfach zu erzählen.’


Difficile est proprie communia dicere
Horaz: Epistola ad Pisones

Byrons Privatfehde mit den Lakers im allgemeinen und mit Robert Southey, dem Poet Laureate, im besonderen nimmt in seinem Werk ei­nen erstaunlich breiten Raum ein. Seine Prosavorrede, die wir hier ausklammern, und sein 17strophiges Widmungsgedicht befassen sich ausschließlich mit diesem Thema. Die Lakers waren die Dichter der ersten Romantiker-Generation in England, die in Keswick im Lake District residierten: Samuel Taylor Coleridge, William Wordsworth und unter anderen eben Robert Southey, der Intimfeind. Byron kri­tisierte (wie Shelley in seinem Sonett To Wordsworth), daß diese mitt­lerweile akkreditierten Dichter von Revolutionären zu Reaktionären geworden waren und dem Tory-Regime der Zeit (insbesondere Lord Castlereagh, dem Prime Minister) zum Munde redeten.
    Die historischen Details und der Anspielungsreichtum, mit dem Byron ebenso witzig wie boshaft auf sie eingeht, sind viel zu umfangreich, um in extenso deutsch referiert werden zu können, und setzen eine so ver­sierte Kenntnis englischer Literatur und englischer Tagespolitik voraus, wie sie selbst ein native speaker kaum mehr parat haben dürfte. Deshalb mag es erlaubt sein, den deutschen Leser heute lediglich auf die reich kommentierte Textausgabe in den Penguin Classics zu verweisen und eine ‘Übersetzung’ vorzulegen, die frei genug paraphrasiert bzw. par­odiert, um dem Witz und Brio des Originals wenigstens nahezukom­men.


Dedication / Widmung

1

Bob Southey, du Poeta Laureatus
    repräsentierst die ganze Zunft, obwohl
du eigentlich nicht mehr als ein Adlatus
    der Tories bist, ein Renegat, Symbol
des Überlebten, Intendant des Status
    quo ante, hoch romantisch, aber hohl;
ein Nest ‘zwei Dutzend Amseln, die zur Pye¹
verbacken sind, und du bist auch dabei.

2

‘Trägt man sie auf, fangen sie an zu singen’
    (das alte Liedchen trifft es ja perfekt),
‘dem König etwas Leckeres darzubringen’,
    unserm Regenten, wenn es ihm denn schmeckt.
Selbst Coleridge bekommt inzwischen Schwingen,
    ein Habicht, den die Haube hemmt, entdeckt
Metaphysik, um sie uns zu erklären:
Erklärungen, die noch zu klären wären.

3

Du, Bob, bist, weißt du, ziemlich insolent,
    wenn du beanspruchst, nun in dieser Pye
den andern vorzusitzen permanent
    als einzige Amsel in der Leckerei.
Du überforderst doch nur dein Talent,
    ein Fisch, der fliegt und taumelt und dabei
aufs Deck stürzt; Bob, du willst zu hoch hinaus,
und ohne Nass² geht dir die Puste aus.

4

Und Wordsworth? gibt in seiner Exkursion³
    (der Quartband hat bestimmt fünfhundert Seiten)
Exempel seiner neuesten Version,
    die Weisen zu verwirrn––Weitschweifigkeiten.
Gedichte, sagt er, seien es; was schon
    die Frage ist; der ‘Hundsstern rast’; wir gleiten
zurück zum Turm zu Babel: er erbaute
ihn abermals und sagt uns, was er schaute.

5

Ihr, Gentlemen, lebt längst zu isoliert,
    habt bessere Gesellschaft stets gemieden
in euerm Keswick, habt fusioniert
    und schließt nun, mit euch selber hochzufrieden
und äußerst logisch, daß nur euch gebührt,
    den Dichterkranz zu tragen, was entschieden
zu kurz greift. Tauschtet ihr dort eure Seen
gegen die See, dann wärs um euch geschehen.

6

So selbstverliebt ich bin, ich möcht mich nicht
    wie ihr erniedrigen: eure Bekehrung
und aller Ruhm, den sie euch brachte, spricht
    nicht nur von Gold ; was war die wahre Währung?
Euer Salär? und dafür das Gedicht?
    Wordsworth zahlt Steuern und genießt Verehrung.
Seid schäbige Gesellen––doch Poeten,
ihr sitzt zu recht bei den Zelebritäten.

7

Um zu kaschiern, wie kahlköpfig ihr seid,
    dafür mag euer Lorbeer nützlich sein.
Doch weder Frucht noch Zweig weckt meinen Neid,
    noch, daß ihr euren Ruhm nun allgemein
überallhin und unermeßlich weit
    verbreiten werdet. Schließlich zählt allein,
was Scott und Rogers, Campbell, Crabbe und Moore
dagegen setzen, als Literatur.

8

Ich geh mit meiner Muse gern zufuß
    und überlasse euch das Flügelpferd,
ich wünsch euch, daß besagter Pegasus
    Ehrgeiz belohnt und Fähigkeit beschert;
weiß ich doch, daß man nichts einbüßen muß,
    wenn man die Leistung anderer Dichter ehrt;
weiß aber auch: die Gegenwart verklagen
ist nicht der Weg, um Ruhm davonzutragen.

9

Die ihren Lorbeer für die Nachwelt aufbewahren
    (was sich dann oft ins Gegenteil verkehrt),
die haben meist nicht viel, um es zu sparen,
    setzen sich selbst ins Unrecht. Man erfährt
zwar hier und da von rühmlichen (doch raren)
    Ausnahmen, wie die Sonne aufgefahren
aus tiefster See, doch sie verlieren sich
Gott weiß wohin, sonst niemand, nicht mal ich.

10

Wenn Miltonböse Tage, böse Zungen
    verklagte bei der Rächerin, der Zeit,
und sie, die Zeit, seine Erniedrigungen
    zum Ausdruck machte der Erhabenheit,
so nicht, weil Er, vom Gegenteil durchdrungen,
    sich selbst verbog bei der Gelegenheit.
Er haßte nicht den Herrn des Sohnes wegen
und trat Tyrannen bis zum Schluß entgegen.

11

Ja, denkst du denn, der blinde alte Mann
    ersteht wie Samuel aus seinem Grabe
und fängt noch einmal mit Monarchen an?
    lebt auf––ergraut, geschlagen mit der Gabe,
herzlosen Töchtern ausgesetzt––um dann
    so einen Sultan anzubeten? Habe
ich recht gehört? Er sollte hörig sein
und fiele auf Lord Castlereagh hinein,

12

den geistigen Eunuchen? kaltes Blut,
    glattes Gesicht, sanftmütiger Verräter!
Taucht seine Hand in ErinsWunden, tut
    das Seine dafür, daß nur wenig später
die Tyrannei hinübergreift, und ruht
    und rastet nicht, um als ein Folgetäter
Fesseln, die andre schufen, zu ergänzen
und Gift, das andre mischten, zu kredenzen.

13

Ein Redner? Phrasendrescher, würd ich sagen,
    unsägliches Geschwätz, wer wird es loben,
wenn selbst die gröbsten Schmeichler es nicht wagen
    noch Gegner es belächeln und die groben
Verfehlungen nicht einmal Funken schlagen
    am Wetzstein jenes Ixion da oben?
Er wälzt ihn um und um und demonstriert
der Welt, wie man Tortur perpetuiert.

14

Abscheulich, was und wie ers treibt, wir spüren
    das Stümperhafte, sucht er doch zu stemmen,
was wahre Meister eher minimieren:
    Staaten zu gängeln, Denken einzudämmen,
zu konferieren und zu konspirieren,
    uns Fesseln anzulegen, uns zu hemmen,
indem er alte Sklavenketten flickt
und die Gewinne einstreicht, sehr geschickt.

15

Versuchen wir, sein Handeln zu ergründen,
    entmannt bis auf die Knochen, wie er denkt!
Ihm gehts darum, zu dienen und zu binden:
    Eunuch, der selber an der Kette hängt
so vieler Herren, wird den Wert nicht finden
    der Freiheit, nicht den Witz, den Weisheit schenkt;
ist furchtlos, weil er fühllos ist wie Eis,
ist couragiert, weil lasterhaft––ich weiß

16

tatsächlich nicht, wohin mich wenden, denn
    in seine Bande will ich nicht geraten.
Selbst du, spätrömisches Italien,
    bist angehaucht vom Geist der Potentaten
wie Irland, dessen Wunden grünen, wenn
    bei dir die Ketten klirrn. Europas Staaten
versklavt von Allianzen und Armeen––
und Southey lebt und lobt es unbesehen.

17

Und nun, Sir Laureate, widme ich sie dir,
    die offnen schlichten Verse dieses Lieds.
Ich schmeichle nicht, dafür behalt ich mir
    mein Gelb und Blau vor, denn politisch ziehts
mich ins Erziehliche, eines Gebiets
   so glaubensfern wie hochmodern, und hier
brauchts einen Herkules, sein Selbst zu wahren––
nichtwahr, mein Tory? hast es selbst erfahren.
 

¹ Doppelbödige Anspielung auf Henry James Pye (1745–1813), den Vorgänger Robert Southeys als Poet Laureate, über dessen Oden Witze gerissen wurden mittels eines alten Kinderreims über eine pie = Pastete/Obstkuchen.
²  Original: Dry Bob: Anspielung auf dry bob’ = Coition without emission.
³  William Wordsworth: The Excursion (1814), philosophische Reflexionen.
Sir Walter Scott (1771–1832), Samuel Rogers (1763–1855), Thomas Campbell (1777–1844), George Crabbe (1754–1832), Thomas Moore (1779–1852) : romantische Dichter, die in Byrons Gradus ad Parnassum (1813) die oberen Ränge einnehmen.
John Milton (1608–1674), Dichter, Denker, Puritaner unter Oliver Cromwell, schon zu Lebzeiten weltberühmt dafür, kein Opportunist zu sein, appellierte in Paradise Lost an die Rächerin Zeit: ‘the avenger, Time’.
⁶  Robert Stuart, Viscount Castlereagh (1769–1822), kooperierte als Außenminister Englands mit Metternich und betrieb die Unterwerfung Napoleons. Erins Wundensind Wunden, die England unter seinem Einfluß dem unterdrückten Irland schlug.


Anfangen, wo es anfängt ––––––
 
Aber wo fängt es an?
  Wir haben es gelesen. Byron hatte sich so einiges von der Seele zu schreiben. Hatte dem restaurativen England 1816 den Rücken gekehrt, um nie heimzukommen, aber seinen Intimfeind Robert Southey hatte er mitgenommen ins italienische Exil und nicht umhingekonnt, sein neues großes satirisches Epos mit einer 17-strophigen Widmung an ihn und seine Lakers zu beginnen.
  In diesem Ton –– so boshaft wie amüsant, so pointiert wie weitschweifig –– wird er fortfahren und uns seinen Freund Don Juan als neuen Helden präsentieren, natürlich nicht ohne vorher noch einmal ins Allgemeine zu geraten und uns den geschichtlichen Moment vor Augen zu führen. 4 Strophen lang wird er umreißen, wie wir uns die nach-napoleonische Restauration und ihre Heldenverehrung vorzustellen haben. Dann aber, in der 5. Strophe, wird er wieder literarisch und auf dem Umweg über Homers Agamemnon und Horaz zielstrebig auf Don Juan zusteuern, denn er liebe es, mit dem Anfang anzufangen



Aus George Gordon Lord Byron: Don Juan, Canto 1. Ins  Deutsche übertragen und parodiert von Günter Plessow. Deutsch. Dozwil  (Edition Signathur) 2017. 101 Seiten. 15,00 Euro.
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