Lord Byron: Don Juan - Canto 1, 161-200
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George Gordon Lord Byron
Don Juan, Canto I, 161-200
Parodiert von Günter Plessow
161
Doch Don Alfonso schlug die Augen nieder
und machte eine traurige Figur.
In tausend Ecken suchen, immer wieder
sein Weib bedrängen, und nicht eine Spur!
Nur Selbstvorwürfe, die sich in perfider
Manier addieren denen, die in nur
ner halben Stunde seine Lady bitter
über ihn schüttete wie ein Gewitter.
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Er mühte sich, ein Excusez, ma Chère
zu schmieden, doch er erntete nur Tränen,
Anzeichen einer Hysterie, die der
Prolog nur ist für––soll ich es erwähnen?––
Herzklopfen, Keuchen, Schluchzen und noch mehr.
Verglich er Hiobs Weib mit seiner Schönen,
und sah er, wie sie zueinander standen––
oh weh, wie viel Geduld war noch vorhanden ?163
War dennoch drauf und dran, das erste Wort
zu stammeln, doch Antonia unterbrach
ihn weislich und verwies es ihm: ‘Sofort,
verlaßt, Sir, bitte dieses Schlafgemach,
sonst stirbt Madame.’ So ließ er denn den Ort
der Handlung ; es war keine Zeit, die Schmach
zu kommentieren; reuevoll sein Blick;
er war blamiert ; so zog er sich zurück.
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Und mit ihm zog sein ganzes Komitee;
der Anwalt nur, der hing noch an der Tür
und zauderte, bis ihn Antonia eh
hinauswarf, er mißtraute allem hier :
ein Hiatus der Faktenlage, je
nach Perspektive; welch ein komplizier-
ter Fall, er sann und sann, begriff noch nicht,
da flog die Türe zu, ihm ins Gesicht.
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Sobald der Riegel schnappte, schlüpfte––oh
du sündlich-schändlich schlaue Weibsnatur,
die solche Dinge tun kann? Wahrst du so
den guten Ruf? Blendest am Ende nur
die Welt hier und die andre auch? Oho!
Was steckt dahinter? widerstrebend nur
fahre ich fort––Jung-Juan, halb erstickt,
er schlüpfte aus dem Bett, wo er geschickt
166
verhüllt gelegen hatte––wie, geb ich
nicht vor zu wissen––hatte zweifellos
sehr eng verpackt gelegen, jugendlich
und schlank wie Juan war ; und da er bloß
beinah erstickte, hält mein Mitleid sich
in Grenzen, und auch ihres war nicht groß.
So hübsch verpackt durch dieses hübsche Paar
zu sterben––wäre es nicht wunderbar?
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Mitleid––wieso? Er tut mir gar nicht leid,
verstieß die Sünde doch, die er begangen,
gegen Moral und Gottgegebenheit,
verfrüht, wie Juan damit angefangen.
Mit sechzehn fällt Gewissenlosigkeit
viel leichter als mit sechzig, wo wir bangen,
wenn wie die Konten klären und die Schulden
verteufelt finden, aber dennoch dulden.
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In welcher Position er sich befand?
Wer weiß. Bei den Hebräern³⁵ steht zu lesen,
daß Ärzte einer Schönen allerhand
Ratschläge gaben, ein Problem zu lösen
mit Blasen statt Tinkturen, wie bekannt
sei König David schon sehr alt gewesen.
Es liegt vielleicht daran, wie mans anwendet:
wenn einer lebt, der andre fast verendet.
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Was also tun? Alfonso käm zurück,
sobald er seine Narren abservierte.
Antonia ! nun hieß es, mit Geschick
parieren, wenn Alfonso insistierte
und wieder angreift, jeden Augenblick
wirds Tag. Was tun? Antonia sinnierte.
Julia sprach kein Wort mehr, ihr war bange,
und ihre Lippen küßten Juans Wange.
170
Er wandte ihr die Lippen zu, die Hände
verloren sich in ihrem wirren Haar.
Sie kamen mit der Liebe nicht zuende,
vergaßen sich, vergaßen die Gefahr.
Antonias Ungeduld indes sprach Bände,
weil keine Zeit für Narreteien war:
Sie müsse diesen hübschen jungen Mann
im Kämmerchen verstecken nebenan.
171
‘Hebt euren Unsinn auf für andre Nächte!
Wer brachte meinen Herrn nur so in Wut?
Wer oder was? Der Schelm ist mir der rechte!
Des Teufels ist er, und das tut nicht gut.
Ist Zeit für Albereien? Nein, ich möchte
nicht wissen, wie es endet; meist in Blut.
Ihr laßt das Leben, und Madame läßt alles
um eines Milchbarts willen, besten Falles.
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Viel Mühsal––und für keinen Kavalier
von fünfundzwanzig, dreißig (Kommt, es eilt),
nein, für ein Kind! Madame, wo ließet Ihr
Euren Geschmack, den ich so gern geteilt.
(Hinein, Sir). Steht mein Herr doch vor der Tür.
Hier sitzt er wenigstens fest eingekeilt
bis morgen früh, das wird das Beste sein
(nur bitte, Juan, schlaft uns hier nicht ein).’
173
Alfonso machte dem Sermon ein Ende;
er kam herein, allein, und hieß sie gehn.
Sie zauderte, ob sie nen Ausweg fände,
den Wink vielleicht nicht richtig zu verstehn,
jedoch sie hatte leider leere Hände
und käme übel an, bei Licht besehn.
Da warf sie einen langen Seitenblick
auf beide, knickste und zog sich zurück.
174
Alfonso wartete minutenlang,
eh er sich zu entschuldigen begann:
was er getan in seinem Überschwang,
sei unverzeihlich, künde Unheil an,
wenn er auch Gründe habe… Es gelang
ihm aber nicht, sie anzugeben. Man
nennt so was unter Kennern wohl ein Bei-
spiel hochrhetorischer Salbaderei.
175
Julia sagte nichts, obwohl––es wär
für eine Frau so leicht, überzugehn
zu ihres Hausherrn Schwächen, die sie sehr
gut kennt, und seinen Spieß schlicht umzudrehn,
was, wenn nicht Stille stiftet, ihn doch schwer
verwirren muß––Histörchen durchzustehn
braucht Festigkeit: wenn einer eine nennt,
bekommt er drei zurück, die jeder kennt.
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Julia hatte Gründe, in der Tat:
Alfonsos Liebschaften mit Donna Inez
warn wohlbekannt, jedoch sie fand sie fad;
Apologien hatte sie, so schien es,
im Überfluß. So schwieg sie. Obligat
wars Rücksicht auf Don Juans Ohr, Intimes
über die Frau Mama nicht auszubreiten,
schon um ihm keinen Kummer zu bereiten.
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Ein weiteres Motiv gabs; mithin zwei;
Alfonso hatte niemals angespielt
auf Juans Glück als Liebhaber in sei-
nem eignen Hause, hatte ganz gezielt
vorbeigesehn und alle seine Ei-
fersucht für sich behalten––da empfielt
sichs einfach nicht, von Inez anzufangen,
der Schuß wäre nach hinten losgegangen.
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In zarten Fällen reicht ein kleiner Wink;
besser ist Schweigen, oder eben Takt
(moderne Phrase, die mir nur bedingt
behagt, doch hält sie hier den Vers kompakt),
womit es einer Lady leicht gelingt,
Distanz zu wahren zu dem rohen Fakt.
Holde Geschöpfe lügen so charmant,
daß ihnen nie etwas noch besser stand.
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Sie werden rot, und wir––zumindest ich
habs so gehalten––glauben ihnen dann.
Auf Antwort dringen, das verbietet sich,
es regt die Eloquenz unnötig an,
sie kommen außer Atem, scheuen nicht
davor zurück zu seufzen, irgendwann
fällt eine Träne oder zwei––und dann––
und dann––und dann–– ist es um uns getan.
180
Alfonso bat am Ende um Pardon,
den Julia halb versagte, halb gewährte,
unter Bedingungen, hart wie Beton,
zumal er doch so einiges entbehrte:
ein Adam, dem sie Eden à la longue
zur Buße vorenthielt. Oh, er beschwerte
sich bitterlich und ließ ihr keine Ruhe,
da stolperte er über ein Paar Schuhe.
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Ja, ein Paar Schuhe. Was ist denn dabei?
nicht viel, sofern sie Damenfüße zieren,
doch diese waren maskulin (das sei
bedauerlich, doch nicht zu ignorieren).
Sie sehn und sie ergreifen waren zwei
Momente eines Augenblicks. Mir frieren
die Adern, meine Zähne fangen an
zu klappern, denn Alfonso, nun als Mann
182
gefordert, lief hinaus, um seinen Degen
zu holen, Julia flog zum Kämmerchen:
‘Flieh, Juan, flieh! Gleich kommt er Dir entgegen,
die Tür ist offen, lauf den Gang lang, denn
du kennst ihn gut, geh, geh mit Gottes Segen!
Hier ist der Gartenschlüssel. Flieh doch, wenn
Alfonso kommt ! Ich hör schon seinen Schritt.
Noch ist nicht Tag, und niemand kriegt was mit!’
183
Man sage nicht, dies war kein guter Rat.
Nur kam er viel zu spät. Der Preis, die Steuer,
die das Geschick verlangt für diese Tat, ´
war fällig wie bei jedem Abenteuer.
Im Nu war Juan an der Tür und trat
den Rückweg an, da traf er, ungeheuer
erregt, auf Don Alfonso, der den Tod
verhieß––und schlug ihn nieder in der Not.
184
Ein gräßliches Gerangel. Licht ging aus.
Antonia rief ‘Einbruch’, Julia ‘Feuer.’
Kein Diener rührte sich im ganzen Haus.
Alfonso bezog Schläge, aber neuer-
lich schwor er Rache. Juan stach ihn aus
und schmähte ihn; da wankte das Gemäuer,
da wallte Juans junges Blut: er war
kein Märtyrer, war eher ein Tartar.
185
Alfonso fiel der Degen aus der Hand,
eh er ihn ziehen konnt, so rauften sie
denn weiter, was ein Glück war; Juan stand
nicht an, nach ihm zu greifen, hätt er die
Gelegenheit, die sich da bot, erkannt
und ausgenutzt. Alfonso wäre nie-
mals alt geworden. Oh, geliebte Leiber,
doppelt zur Witwe könnt ihr werden––Weiber!
186
Alfonso sucht, den Feind dingfest zu machen,
und Juan würgt, er will nur eines: weg,
die Nasen bluten (was bei solchen Sachen
normal ist), beide liegen sie im Dreck,
Juan holt aus, da reißt sein Hemd (zum Lachen
ist keine Zeit) entzwei, und er flieht keck
wie Joseph einmal floh vor Potiphar
(obwohl der Fall gar nicht vergleichbar war).
187
Man kam mit Licht und fand––ein Satyrspiel:
Antonia hysterisch, kurios,
Julia in Ohnmacht (ja, das hatte Stil!),
Alfonso an der Türe, atemlos,
zerrissene Draperien, Blut (nicht viel),
Fußstapfen auf dem Boden––grandios.
Juan, am Tor, drehte den Schlüssel um
von außen. Ende, liebes Publikum!
188
Hier schließt mein Canto: Muß ich singen––sagen––
wie Juan nackt, begünstigt durch die Nacht
(warum begünstigt sie so ein Betragen?),
nachhause fand nach dieser Kissenschlacht?
wie der Skandal ans Licht kam? Das Behagen
war allgemein (wer hätte das gedacht?) !
Alfonso prozessierte, wollte Scheidung;
es stand sogar in England in der Zeitung.
189
Wollt ihr denn wirklich das, was nun passierte,
wer alles ausgesagt, genauer lesen?
die Namen aller Zeugen? wer plädierte
für Abweisung der Klage? wers gewesen,
der diese Ehe endlich annullierte?
Das steht geschrieben und ist nachzulesen
bei Gurney³⁶, wie ich weiß, und teile mit:
er reiste deshalb extra nach Madrid.³⁷
190
Nur Donna Inez machte kaum Aufhebens,
war Spanien doch stets voll von Skandalen,
das war ein Teil des öffentlichen Lebens
im Lande seit dem Rückzug der Vandalen.
Sie weihte (und sie weihte nie vergebens)
der Jungfrau Kerzen, die sie überstrahlten.
Und schickte, dazu rieten alte Ladys,
den Sohn auf Reisen, eingeschifft in Cadiz.
191
zu Lande und zur See, moralisch reifen,
Manieren lernen, Frankreich und noch mehr
Italien, um die Kanten abzuschleifen.
Julia wurde verbannt. Ein Kloster wär
der rechte Ort, dort werde sie begreifen
und fühlen––was sie fühlte, vorzuführen,
werd ich wohl besser ihren Brief kopieren:
192
‘Es sei entschieden, sagen sie; du scheidest.
Ein weiser Rat und dennoch eine Pein!
Dein junges Herz ist frei, nun du mich meidest,
meins war das Opfer und wärs wieder––nein,
nur eine Kunst, an der auch du gern leidest,
hab ich geübt––zu viel geliebt. Selbst ein
benetzter Brief ist nicht das, was er scheint.
Ich schreibe rasch, hab Tränen nie geweint.
193
Ich liebte, liebe, um der Liebe willen
verlor ich, was ich galt und wer ich war,
doch mag ich nicht bereuen, denn im Stillen
bewahr ich meinen Traum. Die Schuld sogar
ist kostbar hier, ich will es nicht verhüllen,
bin ja mein schärfster Richter. Habe zwar
nun nur noch diese Krakel––Ruhe werde
ich gleichwohl nicht mehr finden auf der Erde.
194
Dem Mann ist Liebe etwas Separates,
der Frau ist sie die ganze Existenz.
Der Mann reiht ein: den Hof, den Stolz des Staates,
Gewand, Gewinn und Waffen mindestens,
sein Herz ist voll davon, kaum einer tat es
beiseite, sagte dieser Kontingenz
Ade. Der Mann verfügt––was haben wir?
nur unsre Liebe, und nun starb sie mir.
195
Du nimmst nun zu und kommst als Mann voran,
geliebt und viele liebend. Doch für mich
ists aus auf Erden; Jahre stehen an
der Scham, des Kummers; alles könnte ich
ertragen––was ich nicht verleugnen kann,
ist meine große Leidenschaft für dich.
Leb wohl denn und vergib mir, liebe––nein!
dies Wort ist eitel nun, mag es so sein.
196
Mein Herz ist schwach gewesen; ist es noch;
ich streng mich an, möcht mich in Ruhe fassen:
mein Blut, es rast, es rollt wie Wogen, doch
der Wind, er legt sich nicht; kann dich nicht lassen.
Mein Hirn, es hält dein Inbild himmelhoch,
ist feminin und blind und wird verblassen,
doch wie die Nadel ihrem Pol zu-strebt,
lebt meine Seele dir, für den sie bebt.
197
Mehr hab ich nicht zu sagen; wage ich,
mein Siegel auf das Blatt zu setzen? Nein.
Wieso? Mein Elend kann doch eigentlich
vollkommener und elender kaum sein.
Hab nicht gelebt bisher; ach, könnte mich
mein Kummer töten, willigte ich ein!
Ich lebe, überlebe und ertrage
sogar, daß ich dies Lebewohl dir sage.’
198
Das stand auf goldgerändertem Papier,
die Krähenfeder kratzte, doch es ging,
die Finger zitterten, versagten ihr
beinahe, als sie Wachs und Siegelring
ergriff. Und keine Träne. Lesen wir
das Motto: Elle vous suit partout umfing
die Sonnenblume, die ein Edelstein
dem Wachs einpreßte, scharlachrot, hochfein.
199
Dies also war Don Juans erster Streich;
doch ob ich fortfahre und mehr erzähle,
werden wir sehn, wenn einige von euch
ihr Placet geben, was ich sehr empfehle;
denn eure Gunst kommt einer Feder gleich,
auf meiner Narrenkappe, ich verhehle
es keineswegs und mach einstweilen klar,
was ich so plane für das nächste Jahr.
200
Mein episches Gedicht ist eingeteilt,
es zählt zwölf Bücher,³⁸ jedes Buch enthält
so Krieg wie Liebe, die ein Sturm ereilt
auf See, nennt Schiffe, Kapitäne, stellt
neue Figuren, Episoden, feilt
am Panorama einer Unterwelt
im Stile des Vergil und des Homer,
ein wahres Epos nicht von ungefähr.
³⁵ Könige I, 1.1-3.
³⁶ William Brodie Gurney (1777–1855) war ab 1813 Parlamentsschreiber in London und protokollierte Prozesse und Rededuelle.
³⁷ An dieser Stelle hatte Byron sieben weitere Strophen eingefügt, die er später wieder verwarf.
³⁸ Statt zwölf sollten es 17 Cantos werden, und doch blieb das Werk unvollendet.
³⁶ William Brodie Gurney (1777–1855) war ab 1813 Parlamentsschreiber in London und protokollierte Prozesse und Rededuelle.
³⁷ An dieser Stelle hatte Byron sieben weitere Strophen eingefügt, die er später wieder verwarf.
³⁸ Statt zwölf sollten es 17 Cantos werden, und doch blieb das Werk unvollendet.
Aus George Gordon Lord Byron: Don Juan, Canto 1. Ins Deutsche übertragen und parodiert von Günter Plessow. Deutsch. Dozwil (Edition Signathur) 2017. 101 Seiten. 15,00 Euro.
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