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Lea Menges: Mitlesebuch

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Timo Brandt

Zu erkennen die Weite und zu glauben, darin sei überall Nähe, wenn man nur nah genug herangeht …



„es war
an deinen Haaren
herbeigezogen
seitdem ich sie
das erste Mal
durch meine Finger
gleiten ließ“


Wenn ich die Gedichte von Lea Menges lese, fühle ich mich an viele eigene Impulse erinnert; Impulse, die darauf hinausliefen, einer Erinnerung oder einem geliebten Menschen mit einem Gedicht ein individuelles, besonderes Antlitz zu verleihen – oder besser gesagt: dieses besondere Antlitz, diese Aura, in Worte zu fassen. Und ich weiß nicht, was schlimmer ist: die Angst, dass die Vermittlung der Dinge, die man ausdrücken will, scheitert, oder die Angst, dass der Ausdruck der Dinge, die man ausdrücken will, scheitert.


„die Frage ist doch:
verstecken wir unsere
Gefühle hinter unseren
Worten oder unsere Worte
hinter unseren Gefühlen?“


Diese Zweifel, diese Gedanken, vorweg. Die nostalgische Wirkung, die Menges Lyrik auf mich hat (und die damit einhergehende Sympathie), spielt bei meiner Rezeption natürlich eine Rolle. Aber obgleich ich mich den Entstehungsimpulsen der Gedichte oft nah fühle, sind diese Impulse bei Menges zu Gedichten geworden; bei mir blieben sie oft Skizzen oder zogen Gedichte nach sich, mit denen ich aufgrund des oben geschilderten Zwiespalts nie wirklich zufrieden war.

Zunächst fallen bei diesen Gedichten, die oft mit einem „Du“ kommunizieren, das Schwärmerische und das Schmerzliche auf; Insignien der Bekenntnislyrik, des Emotionsgedichts. Mal sind die Verse haltlos, mal gesetzter, mal regelrecht frohgemut. Doch die emotionale Lage des lyrischen Ichs wird ausgestellt, zelebriert – nicht selten mit Wortspielen, die für verdichtete, aber auch komische Passagen sorgen.


„gebeutelt vom Abwarten
und Tee trinken,
dessen Satz
nicht die erhofften Antworten enthält“


Mit solchen Wortspielen bewegt man sich nah am Kalauer, mit dem Schwärmen und dem Sich-Ausstellen nah am Kitsch; ein riskantes Spiel also. Meistens kommt es bei einer Dichtung, die mit solchen Themen operiert, darauf an, ob der Ton dennoch etwas Fesselndes, etwas Authentisches, Aufgreifendes hat; ob man in den Bann des Existenziellen gerät, mit einem Mal in den weitläufigsten Gefühlen steht oder sich am Ende in die Formulierungen zwängen muss, was einen irgendwann davon abhält, die Gedichte zu betreten.

Bei Lea Menges ist es jedoch oft so, dass man mit einem Mal weitläufigen Gefühlen gegenübersteht. Denn mit ihrer Sprachartistik und ihrer Direktheit (um nicht zu sagen: Rotzigkeit) erschafft sie eine gute und unverbraucht wirkende Balance, in welcher sie die emotionalen Szenarien aufwerfen, formen, sie wirklich ergründen oder scharf umreißen kann. In den einzelnen Zeilen wirken die Gedichte meist unspektakulär – aber ist man einmal drin, nimmt die Eindringlichkeit immer weiter zu. Und feinste Verschiebungen wie etwa:


„weißt du überhaupt
was von mir du halten sollst?“


bekommen durch ihren Verlauf eine Wucht, ein ungeahntes Potential. Das „du“ wird nur leicht verschoben, kommt nicht hinter dem „was“, sondern hinter dem „mir“. Würde das Gedicht sich im Folgenden nur in dieser Spielerei ergehen, wäre das ermüdend. Aber eben genau das passiert nicht, diese Verschiebung bleibt etwas Singuläres, ein Teilstück. Lea Menges prägt nicht ein Bild im Glauben, darauf ein Gedicht gründen zu können – sie bewegt sich durch ihre Gefühlswelten in Bildern, Wortspielen, einfachen Feststellungen und Formulierungen, die sich irgendwo zwischen diesen Kategorien bewegen.

All dies soll natürlich nicht verhehlen, dass diese Gedichte Aufzeichnungs- und Tagebuchcharakter haben. Sie entstanden für einen Tumblr-Blog der Autorin und in ihnen werden die Erlebnisse und Begegnungen eines Jahres aufgerollt: die Freundschaften und Liebschaften, die großen Gefühle und die kleinen Unfassbarkeiten (und umgekehrt)


„innen den Hals voll von dir,
kommen nur ungestillte Bedürfnisse hoch“

„wo An-dich-Denken eh nur noch
Andenken an Gedanken ist.“

„habe mit vergangenen Gefühlen
in der Gegenwart gelebt.“


Es gibt ein Lied von der italienischen Musikerin Gianna Nannini, das „Bello e impossible“ heißt, zu Deutsch: „schön und unmöglich“. Dieser Refrain wird im Verlauf des Liedes noch variiert, heißt dann auch mal „bello e invincibile (schön und unbesiegbar)“, sowie „bello e irraggiungibile (schön und unerreichbar)“ oder „bello e incredibile (schön und unglaublich)“.

Ich hab gleich zu Anfang der Lektüre an dieses Lied gedacht. Weil viele von Lea Menges‘ Gedichten beides sind: unbesiegbar und gleichsam besiegt, denn sie formen und zeichnen noch, was einmal war und doch nicht vergehen kann. Gelungen sind sie und doch wohnt ihnen ein Scheitern inne, weil sie nur ein Rahmen für die Momente sind, auf die sie sich beziehen. Aber in dem Moment, wo etwas eindringlich und doch unmöglich, schön und unmöglich, Gefühle freisetzend und unmöglich ist, hat man wahrscheinlich gerade ein gutes Gedicht gelesen.

„und vielleicht war das alles
ein viel größerer Schritt für
mich als wir dachten

die Art von Schritt die niemand
physisch geht, und die man nur
beim Blick über die Schulter erkennt

eine Distanz, die man,
einmal genommen,
nicht zurücklegen kann

und man wird sich dessen
bewusst, weil die Dinge nicht
in ihrer Größe, aber in ihrer
Bedeutung geschrumpft sind“



Lea Menges: Mitlesebuch. Gedichte. Berlin, München (Aphaia Verlag) 2017. 60 Seiten. 9,90 Euro.

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