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Laudatio auf Birgit Birnbacher

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Laudatio auf Birgit Birnbacher


11. Januar 2015, Kloster Irsee



Unsere Gratulation und Anerkennung gilt heute Birgit Birnbacher, die von den 18 Autoren des diesjährigen 17. Irseer Pegasus zur Preisträgerin gewählt worden ist. Nach ausgiebigen Diskussionen in den letzten zwei Tagen hat die geheime Wahl der Diskutanten ihren Text aber wir mit dem Autorenpreis gekürt.


aber wir
schildert den Gang zweier Menschen durch eine nächtliche Stadt, er präsentiert sie uns durch ihre Rede, die zugleich ihren Charakter und ihre Beziehung zeichnet. Beziehung, darum geht es: Ihre Konfrontationsformen zwischen den Geschlechtern und den sozialen Schichten. Die Protagonisten reden über die Notwendigkeit des Engagements für ihre Nächsten, kristallisiert in der Gestalt eines Bettlers, der aus der Stadt hinausgekehrt zu werden droht – aber es kommt zu keiner Aktion. Die Protagonisten verwickeln sich in ein gefährliches Terrain amouröser Besitzansprüche und amouröser Sprachlosigkeit – allerdings, deshalb gefährlich, kommt hier die Tat dem Diskurs zuvor und der männliche Protagonist bekommt erheblich eine auf die Goschn.

Birgit Birnbachers Erzählung überzeugt durch die virtuose Inszenierung einer mündlichen Rede, die sich einer exakten Komposition verdankt. Diese Rede ist von einem eindringlichen, aber nie aufgesetzten Ton getragen, der im Wechsel verschiedener Erzählweisen nicht verloren geht.
Die Erzählerin spricht: Sie spricht zu ihrem Kumpel, dessen Auseinandersetzung mit zwei Männern – die Erzählerin nennt sie „Hooliganhippies“ –, die seine bis auf einen Mantel nackte Freundin begleiten, in einer Demütigung mündet. Gestützt an eine Mauer weint er, spuckt, rotzt und blutet, alles mischt sich zum Eindruck, mit dem die Geschichte auch endet: „dass alles kaputt ist“. Mit diesem Ende einer nächtlichen Unternehmung auf der Suche nach kooperativen Handlungen, die erdacht und beabsichtigt werden, aber nur Wunsch, Phantasie und bloße Möglichkeit bleiben, setzt die Geschichte aber wir ein. Dadurch wird programmatisch das Grundgefühl der Vergeblichkeit, das die Erzählung bestimmt, erkennbar, doch etwas tun und an der sozialen Wirklichkeit samt eskapistischer Lebensformexperimente ändern zu wollen, ohne einen Anfang zu machen. Es bleibt beim „eigentlich“ und beim Konjunktiv: „dass man das schon könnte, irgendwas machen, also mit Aktionen, konkret.“

Geschickt verknüpft Birgit Birnbacher Passagen einer direkten Anrede der Erzählerin an ihren Kumpel, dem sie ihren gemeinsamen Abend rekonstruiert, Passagen einer kritischen Selbstreflexion der Erzählerin und geradezu atemlose Dialoge. Diese unterschiedlichen Abschnitte werden überzeugend montiert und verflochten; und es ist erstaunlich, wie es der Autorin gelingt, im Wechsel des Erzähltempos unterschiedliche Grade an emotionaler Beteiligung, Brüche, Sprünge und Komik zu erzeugen, ohne den mitreißenden Fluss des markant rhythmisierten Parlandos und die spürbare Energie des eigenwilligen sounds zu verlieren, der die Leser in die Erzählsituation hineinzieht.
Birgit Birnbachers Mittel sind geschickte Ellipsen, Auslassungen von Verben, Beschleunigungen durch eine erhöhte Dichte von Wörtern mit wenigen Silben und durch Verkürzung von Sätzen, retardierende Passagen der Selbstbefragung oder der sparsame und gezielte Einsatz von Bildern. Andeutungen werden im Lauf der Erzählung expliziter, wobei der Text immer wieder Abweichungen vollzieht und der Einbildungskraft der Leser neue Räume eröffnet.

Gelingen den Figuren auch nicht ihre Handlungen, die sie doch „eigentlich“ und „konkret“ wollen, so führt Birgit Birnbachers Erzählung vor, wie doch die Sprache, in der Tristesse und Komik zusammenschießen, das Medium des humanen Kontaktes ist. Die zärtliche Berührung zwischen der Erzählerin, dem Protagonisten und dem Obdachlosen Havel durch die Hand ist auch das Berühren durch das Sprechen, die Zärtlichkeit, mit der die Erzählerin ihrem Kumpel gegenüber das Kaputte einsammelt – in einem solidarischen „aber wir“.

Die Energie des Textes speist sich auch aus dem genauen Blick auf die Figuren, ihre Zeichnung und Ziselierung. Unversehens, das wurde in den Diskussionen klar, weitet sich hier das, was man Milieuschilderung nennen könnte, hin auf das Portrait eines größeren Zusammenhangs: Sei es einer Generation, eines Gesellschaft oder eine Geographie.
Die Wirkung, die von aber wir ausgeht und die sich kraftvoll auf die Autoren erstreckte, liegt nicht zuletzt in der Unbestimmtheit der Aussage. Die manifeste Gesellschaftskritik des Textes lässt sich nicht dazu hinreißen, den moralisierenden Zeigefinger zu erheben und einseitig Partei zu beziehen. Irritierend und mitreißend, humorvoll und traurig: In dieser Ambivalenz der Ansprache wird nicht nur eine genuin literarische Möglichkeit ausgeschöpft, sondern auch der Leser und Hörer gepackt, involviert, gestoßen. Es wird spürbar, gibt zu denken – und die Problematik, die verhandelt wird, setzt – ein bekanntes Paradox – ästhetische Freude frei.


Asmus Trautsch und Tobias Roth

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