Direkt zum Seiteninhalt

Klaus F. Schneider: abendkopie

Montags=Text


Klaus F. Schneider

abendkopie

eine abendphantasie fast antiquarisch wirkte sie wabernder wortstrich im säumigen dämmerlicht wimmelnd von überschminkten kokotten flüchtigen freiern vorgetäuschte frische oder fieber vielmehr fiebriger glanz ausgezehrter wörter sprachkrater kerker oder black hole der streifen abendhimmel jetzt in schmutzigen aquariumfarben wäre mit wolkendünen erschreibbar das am schattenriss einer birke dockende spiegelei als nächste losnummer in betracht zu ziehen & an massiven metaphernketten schleppst du dich durch die zeilen richtest dich auf vor dem einlaß im gemäuer der zelle umklammerst die gitterstäbe versuchst dich emporzuziehen hängst einen ausblick an den wörtern hältst dich fest lange so lang es geht ein paar minuten vielleicht sinkst herab hinkst zurück zurück zum aquarium dem minutenei aquariumfarben minuteneinfall ohne realitätsdeckung ganz im gegensatz zu der alarmanlage die losschrillt aus einem unerfindlichen grund losgeht wie ein attentat auf die musik des abendprogramms eine gerade noch rechtzeitig erfolgte beglaubigung der abendkopie             leise

orientalische klänge rhythmisch anwachsender klang klatschender hände flötentöne langgezogener schall von abendröte gebrochener takt taumelnder tambourine wogende wellen silbengellen im flügelschlag der flötentaube stammelnde leiber in atemschnellen berstende wirbel trommelnder kuppen kaum berührendes flattern über dem atemauslaß träumende finger vibrierende trance gezeitentanz kehlig schwelendes grollen anschwellendes grollen leibender atemkrater vor und zurück schwingende singende knochenpendel stammelnde trommel herz fliegender stern pulsierendes licht jäh allen abends ende nah eingestampfte silben im atemdelta pochende aneinandergekettete silben bricht die dunkle erde auf jäh ist alles denken aus hallender lichtsilbenglanz               
ya allah il allah

                            allah allah il allah stimmen brandeten von draußen an den festungsmauern hoch ya allah il allah stimmen aus der trockenen hitze die jede kehle erstickte die sträucher verdorrte das getier vertrieb und das gewürm tief unter den sand in den fels kriechen ließ der himmel war wüste und die erde feuer und dennoch kroch grabeskälte die wirbelsäule hoch strömte durchs rückenmark verteilte sich in den rippenbögen schnürte die brust ein und drang in jede alveole YA ALLAH IL ALLA-HU das blut war sand rieselte im zeitlupentempo durch sprödes geäder und die in bizarren auswürfen emporgeschleuderte gedankenlava fiel in sich zusammen das erbrochene innere sammelte sich in vorgefundenen mulden schwappte über die ränder verströmte sich träger werdend in den von jedem ausbruch gefestigten betten bildete ein delta gerann das denken wurde danken und die angst asche vom wind über das land zerstreut das wilde pochen ein ruhiger rhythmus nur noch die gezeiten der lunge der puls des meeres atmendes all ich spürte die ketten nicht mehr die sonne brach durch den winzigen einlaß im gemäuer brannte sich in die netzhaut weitaufgerissenen auges taumelte ich in den atem der derwische der kopf raste schlug gegen die schmutzigen wände begann zu kreiseln drehte sich hernach immer ruhiger reihte sich ein in den reigen tanzte mit der erde um die sonne steinerne derwische die planeten alles verdunstete erstarrte wurde stein zerfiel zu sand winzige kristalle vom wind erfaßt im atemflug emporgetragene teilchen zerstoben trieben auseinander wie sterne im rasenden wirbel wanden sich wälzten sich näher ballten sich zusammen in einem schrillen grellen lichtstoß schossen ineinandner jäh alles lautlos leer und schwarz nur noch das sirren der nerven der körper bäumte sich auf und fiel zusammen wie eine überdrehte feder etwas drückte mich zurück presste mich in den fleckigen  fauligen strohsack ein wärter kniete auf mir ein anderer hielt mir die arme fest - der auf mir kniete hatte ein feuchtes tuch in den händen, fuhr mir damit, als er sah, daß ich zu mir kam und innehielt, über das Gesicht ... Ein Mann stand rauchend in der Tür und grinste, ohne auf irgendeine Art menschlich oder auch nur beteiligt zu wirken: “Sie sind frei, Mister Pursewarden. Verstehn Sie, was ich sage: frei!”

“Der Konsul hat alles in Bewegung gesetzt, um Sie zu finden!” stand auf der Karte, die Pursewarden auf seinem Schreibtisch fand. Sie trug den Stempel des Hellenic Department of Information in Kairo! Die Schrift sagte ihm nichts. Wie auch das Gesicht des Mannes, der ihn mit diesem alten, zum Taxi umfunktionierten Vaughall zurück nach Alexandria gefahren hatte, ohne ein Wort zu reden. Überhaupt hatte er sich gewundert, wie mitten in der verlassenen Wüstenei, aus einem dieser alten Kampagnezelte, die lose um die Festung verstreut waren, dieser Wagen, ein ebenso ramponiertes Bezinfahrzeug aufgetaucht war. Und der Fahrer paßte überhaupt nicht zu dem Auto; korrekt gekleidet wie ein Beamter, ein scharf gezogener Scheitel im eher schütteren Haar, trotz der erdrückenden Hitze, kein offenes Knopfloch, keine Spur von Schweiß, nichtmal am gestärkten Kragen. Kein einziges Mal eine Regung, egal ob Pursewarden ihn englisch, französisch, arabisch italienisch oder griechisch ansprach. Auch nicht als er ihn auf deutsch fragte, woher zum Teufel er das Auto habe. Kein Hinweis, der auf ein Verstehen hätte schließen lassen. Wie auch die Wohnung keinen Hinweis auf einen Eindringling bot. Bis auf diese Karte:

Durrell ist seit 1941 in Ägypten und arbeitet im British Information Office. In einem Brief an Miller, mit dem er nach fast dreijähriger Unterbrechung wieder in Kontakt tritt, findet sich, neben einem Auszug aus dem Manuskript seines neuen Romans, diese wie durch einen merkwürdigen Zufall zwischen zwei Durchschlagbögen geratene Notiz - jedenfalls enthält der Brief keine einzige Stelle, die auf eine Absicht schließen ließe. Eher beiläufig muten die eilig hingekritzelten Zeilen auf der verkehrten Weihnachts- und Neujahrskarte des Hellenic Department of Information in Kairo an:     “les femmes comme les peintres d'Alexandrie ont trop de technique mais peu de tempérament.“ Sie klebte quer über der letzten Seite und ließ sich nicht von dem darunterliegenden Papier lösen ohne die Schrift des Durchschlags in Mitleidenschaft zu ziehen:


Horizonte dehnten sich aus und zogen sich zusammen, bis man dachte, die Welt spiegele sich in einer Seifenblase, die gleich vergehen würde. Und jetzt wurde in kurzen Synkopen



auffing. Seine Empfindungen erinnerte ihn an nichts, was ihm je widerfahren war; sie waren vollkommen neu.



ein auto kam die straße hochgefahren. vor einer dieser weißen oder braunen häuserfronten mit drei fenstern und überdachtem eingang hielten sie. die rechte vordertür ging auf. ein mehrfacher piepton war zu hören. dann eine stimme, die die zeit ansagte. man sah die beiden im licht der spiegellampe. worüber redeten sie? die stimme nannte den namen einer hauptstadt. alles andere war nicht zu verstehen. während er eine zigarette anzündete, stieg sie aus und ging, hielt ein, wollte sich umdrehen, ging weiter. etwas schneller. ihre tür war offen geblieben. der schatten hing wie ein gebrochener flügel über dem gehsteig. in einem haus sprang licht an. es war der treppengang. dann erhellten sich die fenster des ersten stockwerks. die anderen häuser waren erloschen. nur über der einmündung der querstraße stand noch ein helles rechteck. gelborange. eine katze sprang über den zaun, huschte über die straße, verschwand unter einem geparkten wagen. unter ihren dunklen spitzhüten kamen ihm die fassaden wie bleiche masken vor. getrennt durch gesträuch und niedrige zäune. der mond schimmerte hinter wolkenschleiern. mal silbrig, dann bleiern. in einem leck glomm in regelmäßigen abständen ein roter punkt auf. wie die zigarette, dachte er, gleich  wieder verwoben. dann war auch das geräusch zu hören. danach zu urteilen, mußte sich das flugzeug mit erheblicher geschwindigkeit bewegen. die stimme sagte nun „Das Wetter“ – es war dieselbe stimme, die auch aus den lautsprechern seiner anlage kam: „In der Nacht bewölkt, später aufklarend“, nur leicht zeitversetzt …            als verdoppele sie das geschehen im intervall einer sekunde.

Zurück zum Seiteninhalt