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Kerstin Preiwuß: Gespür für Licht (Kurzfassung)

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Alexandru Bulucz


Zu Kerstin Preiwuß' Gespür für Licht

Ist das verständige Wort eine Verschwendung? Nicht, wenn es expliziert ist und zugleich verschweigt; nicht, wenn es sich zurückhält, während es sich expliziert; und vor allem dann nicht, wenn es sich unter Zwang expliziert, aus Bedürfnissen und Notwendigkeiten heraus. In diesem Sinn ist Kerstin Preiwuß’ Gedichtband Gespür für Licht beeindruckend. Ihre Gedichte sind zugänglich und stringent. Sie schafft es qua Licht hinters Licht, das heißt qua Aufklärung/ Verarbeitung in die stummen Tiefen der Literatur als Ausdruck von Leiden und Leidenschaft zu führen. So viel Schmerz, auch Verlust, und so viel dann doch wieder Aufgehobenes in der Sprache, die – und das wusste schon Montaigne – die Mutter geistiger Kinder ist; die sind den Kindern aus Fleisch und Blut ebenbürtig, können diese nicht kompensieren, aber auch nicht von diesen kompensiert werden. Preiwuß drückt dies wie folgt aus: „Höre / alle Welt sagt noch geht der Wind. / Ebenso erhebt er sich. / Er legt sich auch nieder. / Die Sprache bekommt dann ein Kind. / Höre / was ich denke ist ein Weizenfeld / was ich fühle der Wind. / Ich bin ein Weizenfeld / durch das August geht / August und Wind.“ (79) Früh in der Lektüre des Gedichtbandes wird deutlich, dass die großen Themen, die behandelt werden, Geburt, Fehlgeburt oder Kindstod, Kindeserziehung sind. In einem Gedicht wird das „Walnusskind“ angesprochen: „Mein Kind ich weiß nicht wann dein Atem riss. / Ich war vergebens um dich.“ (95) In anderen Gedichten rücken Apathie und Gefühlstaubheit ins Zentrum: „Durch das Fenster hört man die Rufe von Kindern. / Es ist Zeit für den Schmerz. / Er ist am Anfang nur ein leises Ziehen. / Ein Wiederhall inmitten der Lautlosigkeit. / Aber er erinnert mich ständig ans Fühlen.“ (105) „Bin von innen wie von außen unberührt. / Nur noch Stimme ihr Gerede. / […] / Nur ein Tropfen fällt von der Nase aufs Kinn. / Wie kann man sich den so verfühlen.“ (133)

Bisweilen liest sich der Gedichtband wie ein trauriges Kinderbuch. Er führt durch alle Jahreszeiten hindurch, ist in vier Teilen gegliedert. Die Stimmung verdüstert sich hin zum Winter. Aber der inhaltlichen Traurigkeit/ Trauer prägt sich formal durchgehend eine kindliche Leichtigkeit ein, die ihren Ausdruck findet in einem – ja, wie sollte das am besten bezeichnet werden? – exzessiven, aber meisterhaften und modernen Umgang mit Assonanzen und reinen wie unreinen Reimen. Die Assonanzreihen und die Reime (ob verschleppte Reime, Binnenreime, Endreime etc.) werden keineswegs forciert eingesetzt – es gibt keine erkennbaren Reimformen, die systematisch verwendet würden –, sondern nur dort, wo die Wörter es erlauben. Zumindest ist dies der Eindruck. Als ob dies gar nicht gemacht sei. Jedenfalls finden sich im Gedichtband keine lästigen Wortumstellungen, etwa wegen einzuhaltenden Metrums oder Rhythmus’.

Im Deutschen Wörterbuch liest man unter dem Lexem „Sprache“ unter anderem: „mnd. sprāken ‚Funken sprühen‘, mnl. sparken, aengl. spearcian, anord. schwed. spraka ‚knistern, prasseln‘“. Durch ihre Assonanzenreihen und Reime bringt Preiwuß ihre Sprache buchstäblich zum Funkeln. Ihre Sprache glitzert. It sparkles, ab und an nüchtern, in den meisten Fällen aufgeladen, nicht nüchtern. Wörter und Redewendungen erhalten neue Bedeutungen, und zwar nicht nur durch die inhaltlichen, sondern auch die klanglichen Kontexte.

Selbst als ein Beitrag zu der durch Orna Donath ausgelösten Debatte um „regretting parenthood“ ließe sich der Gedichtband lesen. Aber den Fehler, schon im Titel Raum für Missverständnisse zu offerieren, macht er nicht. Donaths Studie heißt Regretting Motherhood. Das größte Missverständnis, auch wenn es inzwischen aus dem Weg geräumt wurde: zu verstehen, dass das Kind selbst gemeint und bedauert werde, das heißt der Mensch als Mensch in seiner Existenz, wie auch immer er sei. Das wäre eine Relativierung des Menschen.

In Preiwuß’ Gedichten kann von Bedauern keine Rede sein. Ihre Gedichte sind wie seismische Wellen, die zwischen Erschöpfung, Glück und Wut alles erfassen, was die Kindeserziehung an lebendigen Kräften freisetzt: „Vieles kann ich aushalten / aber du argwöhnische Kröte / hältst meinen Nistplatz besetzt. / Hast mir jeden Bissen aus dem Mund gelesen / und ihn mit deinem Speichel verätzt. / Alle Herrlichkeit mit der ich dich versah / machst du klein bin ich nur da. / Mein Stern geht nicht auf. / Ich hänge schwer daran. / Die Sonne ist ein Luftballon. / Ganz heliumarm. / Du beschwerst mich. / Ich gehe gerade. / Du krumm. / Du Beigewicht sagst noch dazu / du liebst mich so.“ (109) Oder: „Du hast ein Zerrbild von mir aufgestellt / in das du mich stürzen lässt. / Aber ich umarme es. / Du hast mir Linien in die Hand geritzt / mit denen du mir die Zukunft nimmst. / Aber ich kratz sie aus und leg sie neu fest. / Angst du Gespenst im Frolleinskleid. / Meine eiserne Eisheilige / wie du dich an mich hängst. / Ich scheiß auf dich.“ (127).

Und doch steht bei Preiwuß das ein oder andere Gedicht manchmal auf null, so, wenn die Resignation zu stark ist und resignierte Zustände nur noch wiederkehren. Aber sie schreibt vom Tod her, und das ist selten in der Literatur. Das Zentralgedicht des Bandes, und das überrascht nicht, ist eines der letzten Gedichte, ein eher langes, und zudem ein Celan-Gedicht, das wie folgt anfängt: „Heute ist gar nicht schon der vierundzwanzigste. / Heute ist immer noch der einundzwanzigste Januar. / Der heißt doch Januar nicht Jänner. / Aber dort wo ich war am einundzwanzigsten Januar / hieß er Jänner. / Das ist die größte Kraftanstrengung meines Lebens. / Ich bin immer noch da aber auch von gestern.“ (155) „Ich hatte mich, das eine wie das andere Mal, von einem ‚20. Jänner‘, von meinem ‚20. Jänner‘, hergeschrieben. Ich bin … mir selbst begegnet“, schreibt Celan in seinem Meridian via Büchners Lenz. Preiwuß’ lyrisches/ grammatisches Ich ist „auch von gestern“. Das sagt es heute: Wir haben den 21. Januar/ Jänner. Es ist „noch da“, hat irgendwie überlebt. Es kommt von Büchners Lenz, von Celan, von sich, vom Tod her … zu sich, mit einer persönlichen historischen Notwendigkeit. Ein furchteinflößendes Gedicht, ein beeindruckendes.

Dieser Gedichtband? Wie ein Gebäude, dessen Architektur mit Gespür für Dunkelheit, Licht und Schatten entworfen wurde; das setzt ein Gespür für Witterung und Jahreszeiten voraus. Seismographisch Stimmungen erfassend. Düster und heiter zugleich. Von Räumen und Träumen, von Glück und Schrecken. Märchenhaft. Manchmal impressionistisch, manchmal surreal. Im Selbstgespräch, das doch immer auch eine Wendung zum anderen bedeutet, zum unbedarften „Däumling“ (95). „Ich habe kein Gespür für mich selbst / aber ein Gespür für Licht.“ (9) Auf der Klippe zur Selbstaufgabe. „Jeden Tag springe ich / über die Klippe deiner Gegenwart.“ (53) Vielleicht geschrieben von einem Fisch, „bleich und blind“: „Er hatte keine Augen aber ein Gespür für Licht.“ (145)

Und immer diese auf der geraden Zahl freigelassene weiße Seite … vielleicht für weitere (Kalender-)Geschichten (auch der Leser), unverblümt, direkt und klar, nicht an Nüchternheit interessiert, verschwiegen …


Kerstin Preiwuß: Gespür für Licht. Gedichte. München und Berlin (Berlin Verlag) 2016. 18,00 Euro.

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