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Katharina Schultens: ich dachte wir hätten ihn getötet, er ist überall

Gedichte > Gedichte der Woche


Katharina Schultens

ich dachte wir hätten ihn getötet, er ist überall


findest du es nicht bemerkenswert, nach jahren phantastischer uniformen, sternenbesetzt
in immer denselben rebellischen kombinationen von olivgrün und gold, silber, blau, purpurrot
nach jahren in bärten, baretten, krawatten, fremden talaren, jetzt: ist es das haar, ist es das haar
hat er sehnsucht: nach akkuratesten scheiteln, pomade, coiffage in orange, sommersprossen
taucht aus adretten schachteln auf, kugelsicher stehn sie zum andenken in fiesen vitrinen
er sprengt sie von innen, springt aus der gaspistole meines onkels, sorgsam
reinigt meine tante das, sie funktioniert und er wars

er schickt sich an

zur multiplikation, springt, wackelt vor und zurück, auf den krönungspodien seiner parteitage
sticht unterm studiotisch seinen moderatorinnen geschickt in den unterleib, zieht sein blutiges stilett
direttamente aus seinem eigenen rücken, wenn seine nägel wachsen schrumpfen seine hände mitten
in der nächsten geste hat er tonnen voll gas in mehreren wüsten, einen plan zur schuldlosen auf-
kündigung aller völkerverträge und ist es nicht komisch, ist es nicht komisch, klingt es hysterisch
liebster, wenn ich ihn liste, ich muss ja nicht einmal lügen oder kreativ wahrhaftig sein, alles davon
ist unlängst mitten unter uns, ist ein lied, ist ein rhythmus, hörst du: schon geschehen


Katharina Schultens:
unveröffentlicht, 2016.

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