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Katharina J. Ferner: nur einmal fliegenpilz zum frühstück

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Timo Brandt

Atmosphären aufzäumen


„es warten
die grillen auf ihren einsatz
stellen die flügelchen auf und zähnchen zum schrillen
es waren die blütenfresser auf den abgang
meinen nämlich der aber nicht kommt
ich rühre mich kaum
tue so als würde ich dazugehören“            

Katharina J. Ferners Gedichtbanddebüt kommt in etwas braver Verpackung daher – womit ich das Cover nicht schlechtmachen will, es ist schön, aber es passt in seiner Schlichtheit, seiner Reduktion (die eher an die Aufmachung von Haiku- oder Tanka-Sammlungen erinnert) nicht ganz zu dem vielfarbigen Flirren, den stechenden und stimulierenden Reizen und all den klammen bis leuchtenden Feinheiten, die Ferner in ihrem Band versammelt hat.

Die Gedichte sind zweisprachig abgedruckt, einmal in Hochsprache und einmal in ostösterreichischer Mundart, und obgleich ich in letzterer nicht bewandert bin, merkt man, wie lustvoll Ferner diesen Kontrast teilweise auskostet und den jeweiligen Sprachversionen ganz eigene Nuancen eingibt und abgewinnt. Ich werde im späteren Verlauf noch einmal auf diese Zweisprachigkeit zurückkommen (und bitte um Nachsicht dafür, dass ich bis dahin ausschließlich die hochsprachlichen Texte zitieren werde).

„nachtfalterleichen im laternenschein
[…]
brunnenkalte herzhitze flirrt in den morgen hinein
wimpernfedern stechen zedern
fallen
nadelweise
kaffeesatz am sonnennährboden
erste ameisenspuren am himmel“                

So wie der Band in zwei Sprachen geteilt ist, so ist er auch in zwei Regionen geteilt. Bis Seite 51 gibt es „almpoetik/ oimgstanzln“, im zweiten Teil befinden wir uns dann „im schwarzwoid“ (schön, dass hier der mundartliche woid nah an das englische void herantritt) und hören „schwarzwaldlyrik“, wozu auch ein Gedicht mit alemannischer Mundartversion (Region Bodensee) gehört. Ein bisschen unterscheiden sich die beiden Teile dahingehend, dass sich in der almpoetik narrative und lyrisch-verknappte Elemente die Waage halten, im schwarzvoid die narrativen Elemente dann überwiegen.

Man könnte einige Motive herausgreifen, die wiederkehrend sind. In der almpoetik ist das bspw. die Gefahr, von Jägern erschossen zu werden, die mal bedrohlich, mal morbid-komisch eingeflochten wird und hinter der die tiefe Angst, als Tier (und der Natur zugehörig) erkannt und bestraft zu werden, hervorblitzt. Die Natur wird in Ferners Poesie rundheraus (aber natürlich nicht ohne Ambivalenzen) zelebriert, als Flucht- und Energieraum, aber vor allem als unbeugsames Gemenge. Das lyrische Ich ist mal die Beobachtungen aufwerfende Instanz, mal ein Subjekt im Konflikt mit der Natur, aber immer wieder erkundet es Ferners vages Wesen aus Harmonie, Gleichgültigkeit, Reibungsflächen und Reizgenerierung, auf unterschiedlichsten Wegen.

„es gibt keine monster im see haben sie immer gesagt aber
[…]
auch wenn
ich allen mut zusammennehme und hineinspringe oder von ufer zu ufer schwimme
bleibt immer das klopfen in herz und hals
und ich schwimme: tapfer mit kräftigen zügen bis ich nicht mehr weiter kann
die beine aufsetzen muss im schlamm
und die algen hasse ich“

In ihren stärksten Momenten summen diese Gedichte auf eindrückliche Art Atmosphären herbei, die die Haut mit Wohligkeit, Schrecken und Erwartung überziehen und wie ein ganzer Kosmos ans Ohr dringen. Das passiert vor allem dann, wenn sich die Gedichte ein bisschen Zeit lassen – es gibt auch ein paar wenige, die es ein bisschen zu eilig haben und in meinen Augen als Verkapseltes nicht das erreichen, was den anderen in ihrer Entfaltung gelingt.

Beeindruckend ist, wie Ferner es schafft, dass ihre Sprache manchmal krass, fein und karg zugleich daherkommt und mehrere Merkmale auf sich vereint (oder es wirkt zumindest so). Dabei hatte ich selten das Gefühl, dass Ferners Sprache fragil ist, meist ist sie sehr klar, selbst wenn sie Ambivalenzen mit sich trägt.

Es gibt einige phantastische Elemente in dem Band, und in wenigen Momenten naschen die Gedichte vielleicht sogar an Märchenstoffen, aber meist bleibt Ferner bei dem, was da ist, was sich in der unmittelbaren Wahrnehmung auftut. Und auch wenn das nicht die Botschaft des Bandes oder dieser Gedichte ist, schwingt oft mit: sieh das Nahe, erfahre und spüre es.

„möchte mir dir im schatten sitzen und dir zuflüstern
was ich sonst nur den bäumen anvertraue
dir eine ginsterkrone aufsetzen
dass du unsichtbar für streifende blicke
niemandem vor den lauf fällst
dir ab und an eine himbeere zurollen
lippen auf lippen legen“

Es gibt auch einige wunderbare sehr narrativ angelegte Gedichte, das längste ist eine Art Liebesgedicht an einen Garten, aber die Leser*innen können auch eine Maus beim Übersetzen (also das von Land zu Land über Wasser-Reisen, nicht das Übersetzen von Sprache) in einem Schwimmbad erleben.

Aber ich wollte ja noch auf die Zweisprachigkeit zurückkommen:

in deim haus klescht da rengn aufs doch
bumpert von obn und i von untn mit de feist
klopf auf hoiz und moi an wunsch an d’deckn
im haus regiert schoiplattanarchie
und friahsommanächt san da bsundas schee
zum nächstn see sans nua a boa fuaßobdrück
und mozart heart ma do nia

in deinem haus schlägt der regen auf das dach auf
klopft von oben und ich von unten die hände zu fäusten geballt
klopfe auf holz und zeichne mir einen wunsch an die decke
im haus herrscht längst vergessene schallplattenanarchie und
frühsommernächte sind dort besonders schön
zum nächsten see sind es nur wenige fußabdrücke
und mozart hört man hier nie“
Wenn man die Mundartgedichte liest, hat man öfter den Eindruck, dass sie womöglich zuerst da waren und die hochdeutschen Versionen später daraus entstanden sind. All die Vorzüge, die ich oben aufgezählt habe, treffen auf beide Versionen zu, aber bei den Mundartversionen hatte ich noch zusätzlich den Eindruck, dass die Ausarbeitung auf der sprachlichen Ebene noch feiner, die Kommunikation unter den Worten, ihr Gespinst, noch enger und energetischer ist. Im Hochdeutschen wirken die Gedichte offener, etwas unbestimmter, in den Mundartversionen gibt es eine klare, eingefleischte Dynamik.

Auf ein paar Verpuppungen und Entlarvungen bin ich jetzt nicht eingegangen, es gibt noch einige Motive und Aspekte zu entdecken, man könnte sich bestimmt auch noch genauer auf die Momente der Morbidität und der Komik in diesen Gedichten einlassen. Aber da bliebe ja für die Leser*innen nichts mehr übrig, an die ich das Lyrik-Debüt von Katharina J. Ferner hiermit weiterreiche.

„die bienen schießen mit honigkanonen
die kühe kuratieren
hingeworfene erdabdrücke
sie durchschauen mich
nehmens mir aber nicht übel“


Katharina J. Ferner: nur einmal fliegenpilz zum frühstück. Gedichte. Innsbruck (Limbus Verlag) 2019. 96 Seiten. 13,00 Euro.
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