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Johannes Witek: Oskars Abgang

Gedichte > Zeitzünder



Oskars Abgang



Oskar war einen Meter vierundneunzig groß und und hat
fünfundfünfzig Kilo gewogen,
Oskar war ein Freund von Martin und Martin hatte
eine kleine IT-Firma gegründet und Oskar dort einen
Job gegeben,
aber das war eher eine Alibi-Beschäftigung,
Oskar pflegte zu scherzen, wenn er besoffen war,
dass er keine Ahnung habe,
was er da eigentlich mache, in seinem Job,
und hauptsächlich saßen Oskar und Martin
seit Jahren zusammen
und haben gemeinsam getrunken.

Martin hat dann irgendwie Nadine kennengelernt
eine junge Frau mit bunten Fingernägeln
die im Dänischen Bettenlager als Verkäuferin gearbeitet hat
und quasi einen Augenblick später war sie schwanger.
Irgendwann ist auch Nadines Schwester dazugestoßen,
Jennifer.
Das Kind kam und sie gaben ihm den  interessanten Namen Sören,
aus unerfindlichen Gründen für alle.

Nach der Geburt saßen Oskar, Martin, Nadine, und Jennifer
immer bei Nadine und Jennifers Mutter zuhause und haben
gemeinsam getrunken.

So wie sich uns das Ganze von hier aus darstellt,
hat es an einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte
jeder mindestens einmal mit jedem getrieben
die Mutter war definitiv auch involviert
und alles immer satt eingelegt in Alkohol,
versteht sich.

Dadurch lag viel Potenzial brach für eine schöne Art von Reibung,
die sich immer öfter und motivierter entlud.
Eines Abends kam es zu einer besonders dynamischen Szene
mit viel Geschrei, geworfenen Gläsern, zerschellten Tellern
und geballten Fäusten die sich in Handvoll Haare krallten
als wäre das letzte Ankerpunkte der
geistigen Gesundheit.

Es ging weiter und weiter und wurde dynamischer und dynamischer
bis Martin schließlich Jennifer packte, sie vor die Tür schleppte,
die Tür hinter ihr zuschlug und sie aussperrte.
Jennifer warf sich schreiend gegen die Tür,
dann lief sie halb und halb fiel sie durchs Treppenhaus drei
Stockwerke nach unten und rannte hinaus in die Nacht.

Dort trank sie mehrere Stunden in diversen Lokalen und kehrte dann gegen
fünf Uhr früh zum Haus ihrer Mutter zurück
mit einem langen schmalen Messer, das sie entweder von jemand bekommen
oder irgendwie schon länger für diese Gelegenheit vorbereitet hatte.

Da sämtliche der Beteiligten bereits darnieder lagen
öffnete niemand auf ihr Klopfen und Läuten hin.
Nachdem sie sich versuchsweise erneut ein paar Mal gegen die Tür geworfen hatte,
kletterte Jennifer sechseinhalb Meter die Regenrinne hoch,
schwang sich über das Balkongeländer,
schlug mit dem Ellbogen das Glas der Balkontür ein
betrat die Wohnung und stach achtunddreißig Mal
auf den schlafenden Oskar ein,
der kaum mehr Gelegenheit hatte,
richtig wach zu werden ...

So sind die nackten Fakten,
aus der Zeitung,
nachlesbar für jeden.

Das Messer in Jennifers Zähnen,
in dem sich das Mondlicht reflektiert während sie klettert,
eine dunkel aufplatzende schwarze Blase,
nächtliches Straßenlampenlicht in weit aufgerissenen Augen,
stoßweiser Atem in der Nacht
verschwitzte Bäuche,
die gegeneinander klatschen und sich reiben
und alles, was sonst noch dazugehört

das kommt
von mir

als kleine Zusatzleistung
an diesem ruhigen,
so völlig mondlichtfreien
Donnerstagabend.

Gesucht und gefunden:

Wahre Leidenschaft.

Ah.


Johannes Witek: unveröffentlicht, 2016.

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