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Johannes Jansen: Wegzehr

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Jan Kuhlbrodt

Zu Johannes Jansen „Wegzehr“



Der Titel des Bandes ist Programm, denn die Texte funktionieren so, wie ich mir früher Kosmonautennahrung vorgestellt habe. Hoch komprimierte Energie.

Lange nichts von Jansen gehört, dachte ich, als ich eher zufällig auf eine Ankündigung stieß, nicht des Buches, sondern der Premierenlesung. Der Autor wird anwesend sein, hieß es dort lapidar. Er würde seine Texte also nicht selbst lesen. Ein Bruch eigentlich in der eingeführten Authentizitätserwartung des literarischen Betriebes, die gewissermaßen unterstellt, dass wenn ein Autor selbst seine Texte liest, er ihnen dann einen Klang der Wahrheit verleiht.


Aber was heißt Anwesenheit? Der Anzeigentext meinte wohl, dass Jansen sich im Raum befinden würde, während seine Texte gelesen werden. Physische Anwesenheit dessen, der seine Physis im Grunde schon verbraucht hat, indem er ihr eine textliche Entsprechung spendierte. Eine doppelte Anwesenheit gewissermaßen. Oder eine sich aufhebende, da Autor und Text sich zwar im Raum, aber nicht an der gleichen Stelle befinden.


Die Einweihung findet im Kollektiv statt. Man separiert sich und hat doch den andern im Blick. Keine Solisten, so sagt man, und die Ergänzung ist innen. Weltweit.


So lautet einer der Texte, auf Seite 30, also ungefähr in der Mitte des Buches.

    

Und es ist diese Verschränkung der Blick- und Denkrichtungen, diese eigenartige Jansensche Dialektik, die mich schon beindruckt hatte, als ich das erste Mal Texte von ihm las. Das war vor vergleichsweise langer Zeit in einem Suhrkamp-Bändchen.
    Ok. Zeit ist schwierig, und konkret war das um die Jahrtausendwende. Damals noch wurde Jansen als jüngster Dichter der Prenzlauer Bergszene apostrophiert. Was seinerzeit vielleicht stimmte aber an Aussagekraft nicht viel bereithält. Und gleichzeitig stellte sich mir schon damals die Frage, welcher Gattung die Texte zuzuordnen sind. Prosagesten, die auf den einen oder anderen Binnenreim nicht verzichten. Aphoristisch vielleicht, aber ohne die altkluge Geste, die Aphorismen so gern vor sich hertragen. Im Grunde aber ist die Antwort ganz einfach, es handelt sich um Dichtungen im klassischen Sinne. Eine Erregung quillt darin zur Ruhe. Erkenntnis. Epiphanien.

Die Verwandlung der Landschaft. Der Anblick ändert die Gegend. Aus Bedrohung wird Harmonie. Der Anblick ist die Entspannung.


So heißt es an anderer Stelle. Und ich fühlte mich bei der Lektüre an den amerikanischen Dichter Keith Waldrop erinnert, der formuliert: Unser Auge schafft Land.

Ich glaube genau hier, in dieser Wendung liegt etwas, was zum Kern gehören könnte dieser Art Dichtung, was sie einzigartig macht und auch etwas von dem bereithält, warum sie für mich eine Art Elixier ist. Sie nimmt Energien auf, die sich aus Verwerfungen der außertextlichen sogenannten Realwelt ergeben. Zuweilen aus grausamen feindlichen Verhältnissen resultierend. Aber sie nimmt die Energien als Energien auf und nicht als Feindschaften und zieht aus ihnen, ähnlich der Bewegung einer fernöstlichen Kampfkunst, Kraft.


Johannes Jansen: Wegzehr. Berlin (Distillery) 2017. 60 Seiten. 9,00 Euro.

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